28.07.2023
It’s the End of the World as We Know It?
Ein kurzer Hinweis auf einen Mastodonbeitrag, von Matthias Hüttmann
Den Titel von R.E.M. kennen sicher fast alle, ist er doch so schön melodisch. Aber das ist ja bekanntlich nicht alles, Texte von R.E.M. haben meist jede Menge Tiefe, weshalb auf so manches Lied eigentlich gar nicht mehr so sorglos fröhlich getanzt werden kann. Dass mir bei dem Beitrag von Lars Fischer auf Mastodon, diesem sozialen Netzwerk, zu dem viele enttäuschte Twitternutzer abwandern, gerade diese Melodie einfiel, ist wohl kein Zufall. Ein anderer User hatte die gleiche Assoziation. Fischer ist Chemiker, als Wissenschaftsjournalist Redakteur bei Spektrum und eifriger Blogger. Das Stück von R.E.M. nennt sich „It’s the End of the World as We Know It (And I Feel Fine)“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Zu dem „Thread“: Dieser dreht sich um die Themen: Antarktisches Meereis, Klimawandel und das (statistische) Ende der Welt. Klingt jetzt sehr hochtrabend, aber der Inhalt hat es in sich.
Eine kurze Zusammenfassung (gekürzter Text): Der Mathematiker und Professor Eliot Jacobsen erstellt Grafiken über den Eisschwund auf dem Meer um die Antarktis (siehe auch hier im Detail). Die aktuelle dramatische Situation verdeutlicht die Grafik oben. Die Darstellung zeigt nicht, dass dort derzeit Eis schmilzt: In der Antarktis herrscht tiefster Winter, und jeden Monat wächst die Eisfläche um ca. zwei Millionen Quadratkilometer (qkm). Das Eis wächst aber langsamer als üblich. Normal wären rund drei Millionen qkm. Mit etwas über zwei Mio. qkm sind es etwa 15 Prozent weniger als normal (siehe Grafik). Jacobson arbeitet außerdem mit Standardabweichungen. Das ist eine statistische Maßzahl für die Wahrscheinlichkeit von Messwerten unter bestimmten Annahmen, diese hängen nur sehr indirekt mit der physischen Entwicklung der Eisfläche selbst zusammen.
Die Abbildung zeigt letztendlich, dass dort etwas sehr ungewöhnliches passiert: unter der Annahme, dass alle Bedingungen konstant sind, ist die Wahrscheinlichkeit für den gemessenen Wert rund 1:13 Milliarden. Dieser Wert ist sehr unwahrscheinlich, sprich äußerst ungewöhnlich. Aber es ist - vermutlich - kein statistischer Ausreißer, sondern etwas, das zeigt, dass die Welt, aus der die bisherige Statistik stammt, so nicht mehr existiert.
Aber was geschieht da im antarktischen Meereis genau?
Meeresströmungen, Wind und die Temperaturen von Luft und Wasser beeinflussen gemeinsam, wie das Meereis wächst und schrumpft. Welche Rolle genau die einzelnen Faktoren spielen, ist bisher kaum bekannt. Die Klimamodelle bilden die Eisentwicklung bisher nur schlecht ab, und es gibt insgesamt zu wenig Daten. Klar ist, dass sich die Klimakrise in der Antarktis deutlich zeigt. Aber das Meereis ist - ganz anders als auf der Nordhalbkugel - ein schlechter Indikator dafür.
Deswegen gibt es auch zwei mögliche Erklärungen für den Eisrückgang seit 2016: Möglicherweise war das einfach der Zeitpunkt, ab dem der Klimawandel alle anderen Faktoren so stark dominiert, dass wir jetzt einen Abwärtstrend wie in der Arktis sehen. Das würden wir daran erkennen, dass es langfristig mit den Eisflächen weiter abwärts geht.
Oder aber der Rückgang seit 2015 ist eine natürliche Schwankung durch atmosphärische Zyklen, möglicherweise in Kombination mit wärmerer Luft und wärmeren Wasser. Die Daten reichen vermutlich nicht weit genug zurück, um die tatsächliche Schwankungsbreite über Jahrzehnte und Jahrhunderte wiederzugeben. In dem Fall nimmt das Eis irgendwann wieder zu.
Jedoch hängt ein Teil der geringeren Eisausdehnung definitiv mit wärmerer Luft und wärmerem Wasser zusammen. Beides sind klare Klimasignale, die über die nächsten Jahre und Jahrzehnte noch stärker werden. Selbst wenn natürliche Faktoren wieder mehr Eis begünstigen, werden sie den allgemeinen Klimatrend nicht durchbrechen. Insofern zeigen die Abbildungen wohl nicht, dass wir zu wenig Daten haben, sondern was ganz anderes. Und Nein, diese Beobachtung ist nicht singulär; sie kann auch im die Nordatlantik gemacht werden, die dort zu beobachtende Temperaturanomalie (siehe Grafik unten), passt wie die Faust auf’s Auge.
Zurück zum Lied: Es gibt jede Menge Lösungen um der Klimakatastrophe zu entgehen. Jedoch fehlt es leider immer wieder an der Bereitschaft, grundlegende Änderungen vorzunehmen, weshalb R.E.M. auch singt: "Offer me solutions, offer me alternatives and i decline!"