28.06.2019
Es fährt kein Brennstoffzellenzug nach Kiel
Es klingt ja erst einmal positiv: Ab Dezember 2022 sollen 55 Akku-Triebzüge des Typs Stadler Flirt Akku die heutigen Diesel-Züge auf einer ganzen Reihe Regionalbahnstrecken in Schleswig-Holstein (SH) ersetzen. Mit der Lieferung hat der Nahverkehrsverbund SH den Schienenfahrzeug-Hersteller Stadler beauftragt. Doch was für die Batterie-Fraktion ein Erfolg, ist für den Wasserstoff-Brennstoffzellen- Antrieb „ein herber Dämpfer“, kommentiert der H2-Branchendienst Hydrogeit. Denn eigentlich hatte sich der auf genau diesem Sektor sehr aktive Stadler-Konkurrent Alstom gute Chancen ausgerechnet, bei der Ausschreibung für „emissionsfreie Triebwagen“ zum Zug zu kommen.
Doch schon im Februar dieses Jahres zeichnete sich ab: „Der Wasserstoff mit der Brennstoffzelle als Antriebsart ist raus“, wie die Lübecker Nachrichten damals berichteten. Aber durch die Art der Ausschreibung hatte sich Alstom benachteiligt gefühlt. Einen Grund nennt das Bahnmagazin Rail Business: Der Hersteller hätte für „die gesamte Infrastruktur der Energieversorgung“ sorgen müssen, also auch für Wasserstofftankstellen und deren Versorgung. Die Anbieter von Batterie-Antrieben „könnten hingegen auf die vorhandene Strom-Infrastruktur zurückgreifen. Diese Ungleichbehandlung sehe Alstom durch entsprechende Aufschläge bei der Bewertung nicht hinreichend kompensiert“, so das Bahn-Fachmagazin im Februar.
Auch Nina Scheer, SPD-Bundestagsabgeordnete kritisierte damals dieses „Vergabeverfahren. Insbesondere, wenn es dabei auf technologie-eigene Infrastruktur, wie etwa Ladesäulen, spezielle Tankvorrichtungen, Speicher oder auch Netzinfrastruktur ankommt“, sei Technologieoffenheit eine wichtige Voraussetzung für die Weiterentwicklung, sagte Scheer im Februar der örtlichen Tageszeitung.
Und so musste es nicht verwundern, dass Alstom sich gegen die Ausschreibung des Nahverkehrsverbunds SH einen offiziellen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Schleswig-Holstein stellte. Den hatte die Kammer Ende Januar 2019 abgelehnt. Und die dagegen gerichtete „Beschwerde des Anbieters wird zurückgewiesen“, beschloss nun am 13. Juni das Oberlandesgericht Schleswig in zweiter Instanz. So können die Gewinner jetzt jubeln: "Stadler konnte sich damit bei der ersten Green-Technology-Ausschreibung (kein Diesel) über Fahrzeuge mit alternativen Antrieben in Deutschland erfolgreich durchsetzen".
Alstom dagegen „bedauert die Entscheidung des OLG. Denn für die Ausschreibung in Schleswig-Holstein wäre ein Elektrozug mit einer Batterie und einer Wasserstoff-Brennstoffzelle als Reichweitenverlängerer die beste Lösung für Betreiber und Fahrgäste“. Und außerdem hätte ihr Fahrzeug „verschiedenen Sektoren - in diesem Fall Erneuerbare Energie aus Windparks und Mobilität - zur Umsetzung einer schnellen und effektiven Energiewende am besten vernetzt“.
Ulrich Jochimsen, ein erfahrener Regenerativ-Energie-Verfechter aus Flensburg, vermutet sogar ganz andere Kräfte hinter der Entscheidung des Landes-Bahnverbunds pro Batteriezüge. Das Geschäftsführende Vorstandsmitglied im >Netzwerk Dezentrale EnergieNutzung e.V.< in Potsdam nennt „wirtschaftliche Interessen, sehr viel Geld, das nicht in teure Hochspannungsanlagen und -trassen investiert werden müsste“, würde Wasserstoff via „Power to Gas“ als Speicher für (überschüssigen) Regenerativ-Strom genutzt.
Für Jochimsen ist diese Entscheidung pro Batterie schon vor sechs Jahren gefallen. Damals, 2013, hatte selbst die Eon-Tochter Hanse für „weniger Hochspannungsleitungen und mehr Wasserstoff“ plädiert. Aber Hartmut Euler, der einflussreiche frühere Leiter der Energieabteilung im SH-Wirtschaftsministerium, stemmte sich vehement gegen die chemische Speicherung von Strom. Für Euler war und ist „Power to Gas der verlustreiche, teure und unnötige Weg“. Er führt diesen Kampf trotz Ruhestand bis heute.
Und nun also Batterie- statt Wasserstoffzüge in SH. Deren „Batterien werden vor allem in den Bahnhöfen Kiel, Neumünster, Flensburg, Lübeck, Lüneburg aufgeladen“, heißt es aus dem des SH-Wirtschafts- und Verkehrsministerium. Unterwegs sein sollen die Züge auf den Strecken Kiel-Lübeck-Lüneburg, Bad Oldesloe-Neumünster-Heide-Büsum, Kiel-Husum, Husum-Bad St. Peter Ording, Kiel-Rendsburg und Kiel-Eckernförde-Flensburg. Für jeweils 150 km soll eine Stromladung reichen, heißt es vom Ministerium zur Auftragsvergabe an Stadler.
Doch wer diese Presseerklärung weiterliest, könnte zumindest vermuten, Ulrich Jochimsen hat recht mit seiner Strom-Lobby-These. „Das Land wird die DB Netz AG beauftragen, an einigen Stellen im Land zusätzliche Ladevorrichtungen zu bauen und bestehende Oberleitungen zu verlängern.“ Und: "Gestartet war das Vergabeverfahren im August 2016“ Im Jahre 2016 war Ministerialdirigent Euler noch Beamter dieses Ministeriums.
Und dann noch eine Hürde für die Brennstoffzellenzuganbieter: Die hätten die Wasserstoff-Infrastruktur selber aufbauen müssen. Für Ulrich Jochimsen jedenfalls ist diese Entscheidung in SH gegen Brennstoffzellen-Züge der Beweis für die Forderung, die er seit langem vertritt: „Nach 70 Jahren Grundgesetz wird es höchste Zeit, im Energiebereich Demokratie zu schaffen, anstatt das Oligopol der Stromdiktatur weiter zu stärken.“