BEE-Energiewende-Szenario 2030
Nachdem bereits im Februar diesen Jahres in Berlin drei für die Energiewende wichtige gesellschaftliche Institutionen eine Vergleichsstudie [1] ihrer innerhalb der letzten zwei Jahre publizierten Grundsatzstudien vorgestellt hatten – die DGS-News berichteten[2] – trat nun im Mai der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) mit einem eigenen „BEE-Szenario 2030“ in die Diskussion um den weiteren Weg der Energiewende ein.[3] Der Untertitel heißt zwar „65% Erneuerbare Energien bis 2030“. Doch die Studie bezieht sich auf den Stromsektor, für den im Koalitionsvertrag der derzeitigen, von Union und SPD getragenen Bundesregierung für 2030 ein Anteil Erneuerbarer Energien (EE) von 65 % festgeschrieben ist. Dabei hängt natürlich die insgesamt anzusetzende Menge der EE (in Terrawattstunden/TWh) von der angenommenen Höhe des Gesamtstromverbrauchs ab.
Der BEE geht bei seinem Szenario zuerst davon aus, dass die im deutschen „Klimaschutzplan 2050“[4] vom November 2016 für das Jahr 2030 als Meilensteine beschlossenen Ziele alle erreicht werden. Dazu bedürfe es großer Anstrengungen auf den Gebieten Effizienz, Ausbau der EE und Sektorenkoppelung. So nimmt das BEE-Szenario 2030 an, dass auf dem Gebiet der Effizienz gemäß der Szenarien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) 65 TWh Strom eingespart werden können. Zugleich erfolge auf dem Gebiet der Sektorenkoppelung, d.h. der Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors, ein Mehrverbrauch 206 TWh Strom, was sich aus den Sektorenzielen der „Klimaschutzplans 2050“ für den Meilenstein 2030 ergäbe. Insgesamt würde der Stromverbrauch also um 141 TWh auf insgesamt 740 TWh steigen, wobei 33 TWh auf Wärmepumpen, 68 TWh auf Elektromobilität und 105 TWh auf PtX - d.h. strombasierte Roh-, Brenn- und Treibstoffe – entfielen. Dazu geht die BEE-Studie für 2030 von 7 Millionen Wärmepumpen, 12 Millionen E-Autos sowie PtX-Installationen von 11,5 Gigawatt/GW aus (S. 8). Dem gegenüber führt die o.a. Vergleichsstudie auf S. 6 für 2050, also 20 Jahre später, folgende Annahmen aus: zwischen 7 und 17 Millionen Wärmepumpen, 12-42 Millionen E-Autos, 0-112 GW PtX-Kapazitäten.
Auch wenn sich die Zieljahre und Zahlen teilweise deutlich unterscheiden, so wird doch klar, dass der BEE hier ein realistisches und kein Wünsch-Dir-was-Szenario vorgelegt hat.
Bei einem Gesamtstromverbrauch von 740 TWh in 2030 müssten bei Beibehaltung des 65%-EE-Ziels dann 481 TWh Strom mit Erneuerbaren Energien abgedeckt werden – deutlich mehr, als jene 384 TWh EE aus den Berechnungen der Übertragungsnetzbetreiber zum Szenariorahmen B des aktuellen Netzentwicklungsplans. Um das 65%-Ziel in 2030 zu erreichen, „ist gemäß BEE-Szenario 2030 eine jährliche Installation von 4.700 MW Windenergie Onshore, 1.200 MW Windenergie Offshore, 10.000 MW Photovoltaik, 600 MW Bioenergie, 50 MW Wasserkraft und 50 MW Geothermie notwendig.“ Das ist ebenfalls deutlich mehr als der nur insgesamt mindestens 6 GW umfassende jährliche Zubau für PV und Wind, wie er aus der o.a. Vergleichsstudie hervorgeht (dort S. 5). Und es ist meilenweit entfernt von den traurigen Zubauraten unter der Regie der derzeitigen Bundesregierung, welche z.B. in diesem Jahr bei der Windenergie gerade einmal 1.000 MW betragen dürften.[5] Angesichts der CO2-Reduktionsziele des Klimaschutzplanes wird trotz allem nach Einschätzung des BEE in den Bereichen Verkehr und Wärme eine Energielücke verbleiben. „Die Lücke wird sowohl mit national produzierten als auch importierten synthetisch erzeugten Gasen und Flüssigkeiten (Power to Gas, Power to Liquids) geschlossen (30% Inland, 70% Import).“ (S. 5)
Abschließend vergleicht die BEE-Studie verschiedene Szenarien. Bei den Erwartungen zur Entwicklung des Bruttostromverbrauchs im Jahr 2030 in verschiedenen Studien zeigt sich z.B., dass eine im Ganzen zwar unveröffentlichte, in ihren Ergebnissen jedoch präsentierte Studie vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur/BMVI („Rechtliche Rahmenbedingungen für ein integriertes Energiekonzept 2050 und die Einbindung von EE-Kraftstoffen (IEK 2050)“) von 2018 einen durchaus noch höheren Gesamtstromverbrauch als der BEE annimmt. Ein weiterer Vergleich mit früheren Studien zeigt, dass deren Prognosen für den deutschen Strombedarf des Jahres 2017 – zum Teil erheblich – zu tief gelegen waren. Daraus lassen sich auch Rückschlüsse für die aktuellen Bedarfsanalysen der Übertragungsnetzbetreiber bzw. aus dem Szenariorahmen 2030 der Bundesnetzagentur ziehen, die in ihren Festlegungen meist um über 100 TWh unter den Annahmen des BEE (740 TWh) liegen. Den Abschluss bildet ein Vergleich der „Projektionen des Bruttostromverbrauchs in aktuellen Energiesystemstudien“. Der lässt nochmals deutlich werden, dass das BEE-Szenario mit seinen Einschätzungen eher im Mittelfeld liegt, aber keinesfalls eine Extremposition darstellt.
Fazit:
Wie bereits zu Anfang angemerkt, verschleiert der Titel ein wenig, dass es sich bei dem BEE-Szenario und dem dort aufgeführten Ziel von 65% EE in 2030 primär um ein Szenario des Stromsektors handelt. Zwar wird Strom zweifellos die „Lingua Franca“ [6] des künftigen Energiesystems sein und einen erheblichen Anteil auch bei den Sektoren Verkehr und Wärme an sich ziehen. Dennoch werden diese Sektoren nicht gänzlich elektrifiziert werden: Bim Verkehr werden die Segmente Fußgänger und Radfahrer ohne Strombedarf erhalten bleiben; auch dürften im Seeverkehr künftig Windschiffe eine größere Rolle spielen. Bei der Wärme wird trotz aller Elektrifizierung das Heizen mit Biomasse und Solarthermie seinen Platz haben – die Solarthermie insbesondere auch, weil sie z.B. in unserem nördlichen Nachbarland Dänemark so erfolgreich ist, dass dort in Neubauten Öl- und Gas-Heizungen inzwischen verboten sind. Zudem darf man nicht aus dem Blick verlieren: Bei Einführung einer CO2-Abgabe „werden die Karten eh‘ nochmals neu gemischt“, etwa weil die Sonnenwärme vom eigenen Dach dann u.U. günstiger ist als die Wärmepumpe mit dem beaufschlagten Netzstrom.
Noch ein weiterer Punkt fällt auf: Wie die meisten in der o.a. Vergleichsstudie aufgeführten Einzelstudien geht auch das BEE-Szenario davon aus, dass man einen großen Teil des Power-to-X-Bedarfs importieren könne/solle – in diesem Fall sogar 70%! Da unsere (EU-)Nachbarländer selbst Industriestaaten mit einem hohen Energiebedarf sind, können diese Importe nur aus Übersee kommen. Ob allerdings diese fernen Staaten in der zunehmenden Klimakrise bereit und in der Lage sein werden, Energie für die Deutschen statt z.B. für die eigene Landwirtschaft etc. zu erzeugen, darf durchaus bezweifelt werden. Deutschland muss endlich auch in energiepolitischer Hinsicht erwachsen werden und lernen, sich selbst zu versorgen.
Insgesamt jedoch ist das BEE-Szenario 2030 eine informative, gut gemachte, und im Gegensatz zur ideologischen Getriebenheit mancher Naturschutzverbände [7] sogar neutral-sachliche Energiestudie.
Götz Warnke
[1] www.energiesysteme-zukunft.de/fileadmin/user_upload/veranstaltungen/2019-02-20_Studenvergleich/Gemeinsame_Empfehlungen_von_ESYS__BDI_und_dena.pdf
[2] www.dgs.de/news/en-detail/290319-energiewende-jetzt/
[3] www.bee-ev.de/fileadmin/Publikationen/Positionspapiere_Stellungnahmen/BEE/20190606_BEE_Szenario_2030_online.pdf
[4] www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimaschutzplan_2050_bf.pdf
[5] https://www.erneuerbare-energien-hamburg.de/de/news/uebersicht/details/4041.html
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Verkehrssprache
[7] www.dgs.de/news/en-detail/240519-der-bund-ev-bremser-der-energiewende/