28.05.2021
Klage stoppt Tagebau - vorerst
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Genau das hatten die Kritiker auf der tschechischen Seite der Grenze gehofft: Eine Klage der Tschechischen Republik hat den Braunkohletagebau Turów bei Bogatynia in Polen gestoppt. Das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union hat eine einstweilige Anordnung zur sofortigen Stilllegung des Tagebaus Turów erlassen (Beschluss des Gerichtshofs in der Rechtssache C-121/21 R Tschechische Republik ./. Polen). Die Anordnung gilt, bis das endgültige Urteil des Gerichtshofs verkündet wird.
Polen verlängerte Konzession bis 2044
Bisher plante der Betreiber des Tagebaus, die PGE Polska Grupa Energetyczna S.A., bis 2044 Braunkohle zu fördern. Die polnische Regierung genehmigte die Erweiterung des Tagebaus Turów am 28. April dieses Jahres. Zwei Tage später trat in Polen ein neues Gesetz in Kraft, „dass entsprechend der EU-Regeln auch Nichtregierungsorganisationen in solche schwerwiegenden Entscheidungen einbezogen werden müssen“, wie die Stadt Zittau berichtet. Der polnische Energiekonzern PGE wird in Medienberichten oft als Staatskonzern bezeichnet, da er nach eigenen Angaben zu knapp 60 Prozent dem polnischen Staat gehört – das ist auf Seite 66 dieses Berichts nachzulesen.
Trinkwasserversorgung gefährdet
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) prüft eine Klage, die die Tschechische Republik (CZ) Ende Februar dieses Jahres mit der Begründung eingereicht hatte, Polen habe gegen EU-Recht verstoßen. In ihrer Klage hatte CZ unter anderem kritisiert, dass das Nachbarland die Lizenz für den Tagebau ohne erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfungen verlängert hatte. Die Argumente der CZ scheinen auf den ersten Blick begründet zu sein, so die Richterinnen und Richter (O-Ton: „Consequently, the arguments put forward by the Czech Republic appear, prima facie, to be well founded”). Die Vizepräsidentin des EuGH, Rosario Silva de Lapuerta, stellt fest, „dass es hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Fortsetzung des Braunkohlebergbaus in Turów vor dem endgültigen Urteil negative Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel auf tschechischem Gebiet hat“, wie der Pressemitteilung des EuGH vom 21. Mai zu entnehmen ist.
Diese Aktivitäten würden einen ununterbrochenen Fluss eines beträchtlichen Wasservolumens vom tschechischen Gebiet zum polnischen Gebiet erzeugen, so de Lapuerta, was zweifellos zu einer Verschlechterung des Grundwasserspiegels im tschechischen Gebiet führe. Folglich könnte das die Trinkwasserversorgung der Menschen gefährden, die auf diese Wassereinzugsgebiete angewiesen sind. De Lapuerta bezeichnet diesen Schaden als „schwerwiegend“.
EuGH-Maßnahme ein Novum
Im März 2020 hatte die Umweltbehörde in Wroclaw die auslaufende Lizenz für den Tagebau zunächst um sechs Jahre verlängert, wie der MDR berichtete. Zudem bestätigte die Europäische Kommission im Dezember 2020 gegenüber CZ, dass die Erweiterung des Tagebaus EU-Recht verletze. Für die Grüne Europageordnete Anna Cavazzini ist der EuGH-Beschluss „eine gute Nachricht für all diejenigen, die in der Region seit Jahren gegen das unrechtmäßige Weiterbeitreiben des Tagebaus kämpfen“. In einem Beitrag für die Leipziger Zeitung sagt sie auch: „Zum allerersten Mal hat der Gerichtshof eine solche Maßnahme auf Grundlage der Beschwerde eines anderen Mitgliedstaates aus Gründen des Umweltschutzes erwirkt.“ Cavazzini weist aber auch darauf hin, dass die Europäische Kommission es versäumt habe, ein Vertragsverletzungsverfahren in die Wege zu leiten.
Grubenbetrieb geht dennoch weiter
Der Abbaustopp gilt ab sofort. Nach Ansicht des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki sei der Tagebau mit „vier bis sieben Prozent der Energieerzeugung in Polen verbunden“ und „unerlässlich für die Energiesicherung des Landes“, berichtet der MDR. Wie die Sächsische Zeitung schreibt, will CZ prüfen, ob sich Warschau an die einstweilige Verfügung des EuGH hält. „Sollte dies nicht so sein, könne das Land einen Antrag beim Gerichtshof einreichen, der den Verstoß feststelle“, so eine Meldung von Mittwoch dieser Woche. Derzeit laufe der Grubenbetrieb jedoch weiter, „als wäre nichts geschehen“. Wenn ein Verstoß vorliegt, würde das „Zwangsgelder“ für Polen bedeuten. Höhe: 100.000 Euro pro Tag.
Und was bedeutet die vorläufige Entscheidung des EuGH für Sachsen?
Thomas Zenker, der Oberbürgermeister von Zittau, habe sich diese Woche an die Bundesregierung gewandt, ist auf der Internetpräsenz der Stadt zu lesen. „Neben der Feinstaub- und Lärmbelastung sind für die Zittauer vor allem der Grundwasserverlust, der zu Senkungen des Bodens führen könnte und die unklare Perspektive des Tagebaus Anlass zur Sorge“, so Zenker. Er hoffe, dass die vorläufige Entscheidung des EuGH auch den Freistaat Sachsen und die Bundesregierung zum Handeln bringe.