27.08.2021
Energiekonzernchef: „Den Ökostrom nutzen, nicht abregeln!“
Ein Aha-Erlebnis von Heinz Wraneschitz
„Der Klimaschutz wird die politische Agenda der nächsten Jahrzehnte beherrschen!“ Darüber war sich Josef Hasler, der Vorstandsvorsitzende des Nürnberger Energiekonzerns N-Ergie bereits vor der Veröffentlichung des neuesten Weltklimaberichts sicher.
Und so stellte Hasler Anfang August „Handlungsfelder und Ansätze“ seines Unternehmens vor, ohne das erschreckende Szenario des Weltklimarats IPCC bereits zu kennen. Doch seine konkreten Ideen, wie er die Energiewende mitgestalten will, trafen die Forderungen genau jenes Wissenschaftler*innen-Gremiums.
Viele von Haslers Vorschlägen sind das genaue Gegenteil dessen, was hierzulande offizielle Energiepolitik ist. „Wir brauchen flächendeckend in Deutschland wie in Europa einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien Wind- und Solarstrom“, erklärt er. Drei Tage später wird Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) propagieren: „Wir werden auch künftig 80% der Primärenergie importieren. Wir brauchen einen Atlas für Westafrika. Wir suchen Industriepartner in Amerika. Wir kooperieren beim Wasserstoff mit Australien.“
Ja, Wasserstoff (H2): Zwar sieht auch Josef Hasler Positives in dem allgemein herrschenden „H2-Hype“. Aber er will H2 aus den Solar- und Windstromüberschüssen gewinnen, statt diese abzuregeln. Doch für ihn steht nicht die verlustbehaftete Rückumwandlung von H2 in Strom oder dessen Einsatz in Fahrzeugen vorn dran, sondern in der Fernwärme. Die müsse nämlich ebenfalls wie der Strom „Grün“ werden.
„Bei der Wärmeversorgung birgt H2 das größte Potenzial, da ist H2 die Lösung“, postuliert der N-Ergie-Chef. Auch um die Lücken bei der Ökostromerzeugung zu schließen, müssten Gaskraftwerke „als Backup vorhanden und mit H2 oder anderen klimaneutralen Gasen betrieben werden“. Doch beide Themen „sind derzeit nicht auf der Agenda der Regierung. Das finden wir als großen Fehler.“ Dabei sei das Nürnberger Heizkraftwerk Sandreuth „bereits H2-Ready“, also auf den Wasserstoffeinsatz anstelle von Erdgas vorbereitet.
Und auch wenn die Bundesnetzagentur für den brandaktuellen „Netzentwicklungsplan Strom 2021-2035 derzeit eine weitere Gleichstrom-Verbindung zwischen Niedersachsen und Hessen für notwendig“ hält und „darüber hinaus zusätzlich Wechselstromverbindungen verstärken oder neu errichten“ will: Für Hasler ist „nur ein Ausbau der Übertragungsnetze nicht die Lösung. Ohne flächendeckenden Ausbau der Verteilnetze nützt auch der Ausbau der Übertragungsnetze nichts.“
Im Gegenteil: „Am Stromverteilnetz (VN) entscheidet sich die Energiewende“, ist Josef Hasler überzeugt. Denn 95 Prozent aller Ökostromerzeugung würde schon bislang dorthin eingespeist. Deshalb sind für ihn neben H2-Erzeugung Batteriespeicher in VN unverzichtbar.
An einer Stelle wirkt Hasler ziemlich verärgert: Stadt- wie Gemeindewerke mit ihrer „Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten, hohen lokalen Problemlösungskompetenz, die zuverlässigen Partner der Kommunen“ seien von der Politik nicht so in die Energiewende eingebunden, wie es ihnen aus seiner Sicht zustehen würde.
Sein Unternehmen beispielsweise habe „den Anspruch, sektorenübergreifende Strategien für klimaneutrale Kommunen umzusetzen“. Beispiele seien der massive Ausbau von Lademöglichkeiten für Elektroautos oder eigener Ökostromerzeugung. Aber sehr stark denkt er an den „Sektor Wärme: Hier entscheidet sich, ob wir die Klimaziele erreichen“. Deshalb setzt er auf H2 statt Gas für die Beheizung der Städte – „hier sind Wärmepumpen (WP) wegen der Vervielfachung des Strombedarfs nicht geeignet“ – und die Umstellung würde zu lange dauern. Anders als für die Hausheizung auf dem Land oder im Neubau: hier sind WP für ihn wohl erste Wahl.
Blick auf die Region gerichtet
Ohnehin propagiert der N-ERGIE-Konzernchef „eine Energiewende, die regional stattfindet“. So bleibe die Wertschöpfung vor Ort, was Akzeptanz bei Bürger*innen wie Kommunen schaffe. „Sie verträgt sich auch besonders gut mit Umwelt- und Naturschutz“, sagt er.
„Unglaubliche Potenziale“ sieht Hasler in Bayern aktuell vor allem beim Ausbau von Photovoltaikanlagen (PV). „Aber wenn das Erreichen der Klimaschutzziele die Prämisse ist, muss der Gesetzgeber einiges verändern. Die Verfahren müssen einfacher werden, sonst wird das nichts.“ Damit meint der Energiemanager aber nicht nur PV auf Dach- oder Freiflächen. Wenn es nach ihm ginge, gäbe es sicher in Bayern keine 10H-Windabstandsregel, das ist ihm anzumerken. „Seit 10H ist in Bayern der Windausbau tot“, konstatiert er. Aber wenigstens an bisherigen Windstandorten sollte Repowering möglich sein: „Darum überhaupt Diskussionen führen zu müssen, ist traurig.“