26.11.2021
Zeichen der Zeit: Klimaklagen gegen die fossile Industrie
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Im September teilte der Gas- und Ölproduzent Wintershall Dea AG, ein Joint Venture der Unternehmen Wintershall Holding GmbH und DEA Deutsche Erdöl AG (Pressemitteilung), mit, dass es vom Verein Deutsche Umwelthilfe (DUH) aufgefordert wurde, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. „Wie einige Unternehmen der deutschen Automobilindustrie hat auch Wintershall Dea im Vorfeld der Internationalen Automobilausstellung (IAA) Post bekommen“, wird der Vorstandsvorsitzende Mario Mehren zitiert. Er lässt erkennen, dass für ihn das Unternehmen der falsche Adressat für Kritik am Verbrennungsmotor sei, da „Wintershall Dea keine Raffinerien oder Tankstellen“ habe. Für die Aufforderung der DUH „ab 2026 keine neuen Öl- und Gasfelder mehr zu eröffnen“ sehe das Unternehmen keine Grundlage, so Mehren („Statement DUH“). Das Unternehmen, das in Deutschland mehrere Öl- und Gasfelder betreibt, lehnte die Forderungen der DUH ab. Daraufhin reichte der Verein Anfang Oktober die angekündigte Klage beim Landgericht Kassel ein.
„Für mehr CO2-Emissionen verantwortlich als ganz Österreich“
Inhalt der Klage ist ein klimaschützender Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB analog, mit einem Streitwert von 90.000,- Euro. Wie der Klageschrift zu entnehmen ist, sind es die Geschäftsführenden der DUH, die die Klimaklage eingereicht haben. Die Klage basiert – wie die „Klimaklagen gegen die Autobauer BMW und Mercedes-Benz“ (Pressemitteilung) – auf dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (die DGS-News berichteten).
Für die DUH ist Wintershall Dea „durch die Förderung von Erdöl und Erdgas für mehr CO2-Emissionen verantwortlich als ganz Österreich“. Der Umweltverein fordert vom Energiekonzern, „seine Erdgas- und Erdöl-Förderung im Einklang mit dem verbleibenden CO2-Budget gemäß des Pariser Klima-Limits“ zu reduzieren. Demnach soll Wintershall nur noch eine bestimmte Menge an Erdgas und Erdöl fördern dürfen: Erdgas und Erdöl zu fördern, das bei seiner Verbrennung mehr als 0,62 Gigatonnen (Gt) CO2 (Erdgas) oder mehr als 0,31 Gt CO2 (Erdöl) ausstoßt (ab dem 1. Januar 2021), „sofern die Beklagte für die darüberhinausgehenden CO2 -Emissionen keine Treibhausgasneutralität nachweisen kann“. Beziehungsweise „hilfsweise“, in Bezug auf das Deutschland zugeordnete CO2-Budget: „in Deutschland Erdgas und/oder Erdöl zu fördern, das bei seiner Verbrennung mehr als 14,7 Millionen Tonnen CO2 (Erdgas) bzw. mehr als 21,7 Millionen CO2 (Erdöl) emittiert“.
Andererseits soll der Konzern auch unterlassen „nach dem 31. Dezember 2025 neue Öl- oder Gasfelder, national oder international, zu eröffnen oder sich mittels Unternehmensbeteiligung an derartigen Eröffnungen zu beteiligen“. Beziehungsweise „hilfsweise“, in Bezug auf Deutschland: „in Deutschland neue Öl- oder Gasfelder zu eröffnen oder sich mittels Unternehmensbeteiligung an derartigen Eröffnungen zu beteiligen.“
Der Handlungsdruck steigt
In der Unternehmenskommunikation wird die Firma als „Europas führender unabhängiger Erdgasproduzent bezeichnet. In der Pressemitteilung erklärt Wintershall Dea, dass es 2020 das Ziel definiert hat, „die Treibhausgasemissionen bei der Suche und Förderung von Erdgas und Erdöl (Scope 1 und 2 für eigenoperierte und nicht eigenoperierte Aktivitäten entsprechend der anteiligen Produktion) bis 2030 auf netto-null zu reduzieren“. Hier sind somit keine Scope 3-Emissionen enthalten, diese entstehen bei der Verbrennung von Erdöl und Erdgas.
Es ist erkennbar, dass nun auch Unternehmen Druck spüren, die Klimaziele aus dem Übereinkommen von Paris einzuhalten, auch wenn das eine Vereinbarung zwischen Staaten ist. Neben den Erwartungen aus der Zivilgesellschaft, steigt auch der Handlungsdruck seitens des Bankensektors, der „weg von Öl und Kohle“ möchte.
So schreibt Wintershall Dea in einem öffentlichen Antwortschreiben an den Rechtsanwalt der DUH: „Bei Wintershall Dea sind wir fest entschlossen, unseren Beitrag zur Energiewende und damit zum globalen Klimaschutz zu leisten und möchten dazu gern im Dialog bleiben.“ Das Schreiben bezieht sich direkt auf die Klimaziele des Paris Agreement: „Seit der Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens im Jahr 2015 setzen viele Länder auf Strategien und Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen, um die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen. Dem folgend richtet sich auch die Industrie in diesen Ländern auf diese Ziele ein und setzt entsprechende Maßnahmen um, so auch Wintershall Dea.“ In dem Antwortschreiben behauptet das Joint Venture, dass es derzeit „noch an der nötigen Infrastruktur für die Erneuerbaren“ fehle. Zudem argumentiert es für den Einsatz von Erdgas beim Kohleausstieg und für Investitionen in die Speicherung von Kohlenstoff (CCS) und zur Herstellung von Wasserstoff.
Bereits das Urteil des Bezirksgerichts in Den Haag gegen den Ölkonzern Royal Dutch Shell im Mai diesen Jahres zeigte den Druck, dem sich Unternehmen stellen müssen, sich „Paris-konform zu verhalten“, also entsprechende unternehmerische Klimaziele umzusetzen. Der Ölriese wurde verurteilt, die CO2-Emissionen in die Atmosphäre, die mit den Geschäftstätigkeiten der Shell Gruppe und den verkauften energiehaltigen Produkten verbunden sind (Scope 1, 2 und 3), bis Ende 2030 gegenüber 2019 um mindestens 45 Prozent netto zu reduzieren, und nicht nur um 20 Prozent (die DGS-News berichteten)
Ein Ausblick
In diesem Zusammenhang ist sehr erfreulich im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes, dass im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ausdrücklich das Aus für Öl- und Gasbohrungen festgelegt wurde: „Wir wollen keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen jenseits der erteilten Rahmenbetriebserlaubnisse für die deutsche Nord- und Ostsee erteilen.“