26.08.2022
Halten die Erneuerbaren Energien ihr Preisversprechen?
Ein Appell von Jürgen Wilhelm (Name geändert; Autor ist der Redaktion bekannt)
Oder überlässt die EE-Branche das Billigmacher-Image nun RWE und Shell? Die Erneuerbaren Energien (EE) sind einst angetreten mit dem Versprechen, nicht nur eine umweltfreundlichere, sondern eine preiswerte und vor allem preisstabile Energieversorgung zu sichern. Obwohl ökonomische Daten seit längerem belegen, dass die betriebswirtschaftlichen Kosten Erneuerbarer Energien inzwischen am günstigsten sind, war der Preissenkungseffekt für die wenigsten Menschen bisher direkt nachvollziehbar.
Momentan leiden in Deutschland Millionen von Menschen an explodierenden Preisen, nicht nur von Erdgas und Erdöl, sondern auch von Strom. Es wäre also die perfekte Gelegenheit, nun zu demonstrieren, dass die Erneuerbaren Energien die Menschen vor unbezahlbaren Energiekosten bewahren.
Doch leider tritt das für die allermeisten Menschen in der Realität nicht ein. Durch das Strommarktdesign, das allen Stromerzeugern die gleiche Vergütung zugesteht, liegen die Vergütungen von sehr vielen EE-Anlagen aktuell teils um ein Vielfaches über der gesetzlich ja ohnehin garantierten Vergütungshöhe. Die EE-Branche macht dadurch derzeit Milliarden an Extra-Gewinnen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW schätzte diese bereits vor Kriegsbeginn auf sechs Milliarden Euro für 2022. Vermutlich liegt der tatsächliche Betrag zu Ende des Jahres bei einem Vielfachen davon. Dazu kommen natürlich die vermutlich noch höheren Extra-Gewinne der Atom- und Kohlekraftwerksbetreiber. Dabei sind auch bei denen die Stromgestehungskosten nicht wesentlich gestiegen. Die soziale Sprengkraft dieser gesetzlich bedingten Kostensteigerungen haben bislang nur wenige verstanden.
Und nun verzichten in diesen teuren Tagen ausgerechnet zwei Unternehmen, die über Jahrzehnte hinweg als Hauptverhinderer der Erneuerbaren Energien galten, der Kohlekonzern RWE und der Ölmulti Shell nämlich, angesichts ihrer sprudelnden Einnahmen darauf, die Gasumlage zu kassieren. Dieses Signal und auch die damit verbundene Botschaft sind aus Sicht der Erneuerbaren Energien verheerend. Es wirkt so, als würde sich die EE-Branche mit Milliarden die Taschen füllen, während die Öl- und Kohlekonzerne die Bürger:innen vor übergroßen Belastungen bewahren. Und am Ende bleibt vielleicht sogar in manchem Kopf der Eindruck hängen, dass Kohle und Öl eben doch zuverlässiger und auch noch billiger seien.
Die Erneuerbare-Energien-Branche muss auf diese Herausforderung schnellstmöglich reagieren und die Preisvorteile bzw. Extragewinne an die Verbraucher:innen weitergeben. Sei es, indem billige Stromtarife angeboten werden. Oder sei es, dass sie auf exorbitante Vergütungen einfach verzichten. Entsprechende Regelungen hatte etwa das DIW vorgeschlagen. In anderen Ländern wie in Spanien sind sie seit langem üblich.
Es sollte eigentlich eine Warnung sein: Schon einmal, vor etwa zehn Jahren, hat kurzfristige Profitorientierung verbunden mit den nicht mehr den gesunkenen Kosten entsprechenden Einspeisetarifen für PV letztlich dafür gesorgt, dass die Solarindustrie aus Deutschland fast verschwunden ist: Als Reaktion darauf hat die Politik zu sehr einschneidende, gesetzliche Maßnahmen beschlossen. Und bis heute hat die EE-Branche noch genug Gegner, die die jetzige Situation wieder liebend gerne nutzen würden, um der deutschen Wind- und Solar-Industrie und -Wirtschaft den Garaus zu machen.
Dass aber Kohle, Erdöl, Erdgas und Atomenergie und ihre Konzerne die Oberhand behalten: Dass eine solche Situation eintritt, können wir uns heute ganz sicher nicht noch einmal leisten. Die Erneuerbaren Energien sind preiswert. Doch das muss auch bei allen Menschen ankommen.