26.07.2024
Lokale Strompreise – gut oder schlecht?
Ein Diskussionsbeitrag von Heinz Wraneschitz
„Lokale Strompreise bedeuten auch, dass neue Industrieinvestitionen vom lokalen Grünstromüberschuss profitieren können. Wer heute in Mecklenburg in Wasserstoffherstellung, Rechenzentren oder grüne Stahlfabriken investiert, zahlt ja immer den deutschlandweiten Preis, selbst wenn der Strom regional im Überfluss vorhanden ist und der Windpark nebenan abgeregelt wird. Weil Investoren in Deutschland keinen günstigen Strom bekommen, zieht es sie immer häufiger ins Ausland: beispielsweise nach Schweden, wo es schon lange regionale Strompreise gibt.“ Das ist nur einer von zwölf Absätzen aus dem Gastbeitrag „Der deutsche Strommarkt braucht lokale Preise“, den „zwölf führende Wirtschaftsökonomen“ am 10. Juli in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – kurz: FAZ – veröffentlichen durften.
Jetzt könnte man sich natürlich fragen: Warum steht der FAZ-Beitrag hinter der Bezahlschranke, wenn derselbe Text bei der TU München ohne Einschränkungen und komplett zu lesen ist? Bei der Hinterschrankenveröffentlichung müsste man jedenfalls mindestens 99 Cent bezahlen, um zu erfahren, wer hinter diesem sogenannten Aufruf steckt: Lion Hirth (Hertie School und Neon), Axel Ockenfels (Uni Köln und MPI Bonn), Martin Bichler (TU München), Ottmar Edenhofer (PIK und TU Berlin), Veronika Grimm (TU Nürnberg), Andreas Löschel (Ruhr-Uni Bochum), Felix Matthes (Öko-Institut), Christoph Maurer (Consentec und FAU Erlangen-Nürnberg), Karsten Neuhoff (DIW), Karen Pittel (Ifo), Achim Wambach (ZEW), Georg Zachmann (Bruegel).
Denken bekannte Ökologen wirklich ökologisch?
Haben womöglich gerade solche sonst als fundamental-ökologisch geltenden Leute wie Edenhofer oder Matthes Angst, dass herauskommt: sie haben dieses Papier gemeinsam mit Hirth, Grimm, Pittel und Co fabriziert? Nicht nur die letztgenannten Drei gelten inzwischen als sehr wirtschaftsorientiert – bei Prof. Veronika Grimm beispielsweise lässt dies ihr Aufsichtsratsmandat bei Siemens Energy stark vermuten.
Eine Woche nach dem Gastbeitrag war in der FAZ in ähnlicher Aufmachung eine Art Leserbrief zu finden. Zwar ohne Schafe im Bild-Vordergrund, aber inhaltlich die genaue Gegenposition: „Die Energiewende braucht ein stabiles Fundament“, steht über diesem „Aufruf gegen eine Aufspaltung des Strommarkt“. Bei der FAZ ist der Aufruf diesmal ohne Schranke zu lesen. Und: er sei unterzeichnet von „führenden deutschen Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften“. Denn untendrunter sind neben BEE, BDEW, BDI, Deutschem Bauernverband, VKU und anderen Wirtschaftsverbänden auch der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB, die Industriegewerkschaften IG Metall und BCE sowie die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di explizit aufgelistet.
Gewerkschaften und Arbeitgeber Seit` an Seit`
Wirtschaftsverbände wie Gewerkschaften warnen ausdrücklich „vor der Aufteilung der einheitlichen deutschen Stromgebotszone: Die negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind nicht abzusehen und überlagern etwaige Vorteile. Wir sind überzeugt, es gibt bessere Möglichkeiten, um die Energiewende voranzutreiben, gleichwertige Lebensverhältnisse zu fördern und hochwertige Beschäftigung sicherzustellen.“ Und weiter: Der gesamtdeutsche, einheitliche Gebotszone leiste gar ihren „Beitrag zur Wahrung der Wirtschaftseinheit“.
Irritierend dabei: DGB und Co sind nur unter dem FAZ-Text gelistet; in der pdf-Langversion oder auf der Webseite des BEE ist nichts von einer Gewerkschaftsbeteiligung zu finden. Als Grund für deren optisches Verschwinden nennt Thomas Bachmann, Referent für Ver- und Entsorgungspolitik bei ver.di das Entstehen des Langpapiers. Denn als die DGB-Gewerkschaften sich entschlossen, sich der Gegenpositionierung zu den Wirtschaftsprofs anzuschließen, beriefen sie sich auf das kurz zuvor gemeinsam erarbeitete, zehnseitige DGB-Positionspapier „Energiewende vorantreiben – Bezahlbare Strompreise sichern“. Darin steht klipp und klar: „Aus Erwägungen der Verteilungsgerechtigkeit wie auch zur Gewährleistung der weiteren politischen Unterstützung der Energiewende in besonders betroffenen Regionen erscheint dringend notwendig, die regional anfallenden Kosten der Netztransformation konsequenter bundesweit umzulegen.“ Eine andere Formulierung für „Erhalt der einheitlichen Stromgebotszone“.
Kein Wunder also, dass die Gewerkschaften mit den Wirtschaftsverbänden schnell beim FAZ-Text einig waren. Nur beim Ausarbeiten jenes Langpapiers hätten so viele mitgeschrieben, dass eine Abstimmung in Gewerkschaftskreisen nicht so schnell zu schaffen war, ist unter der Hand zu hören – deshalb fehlen dort die Logos von DGB, IG-M, IG-BCE und ver.di.
Die Position des Autors
Auch der Autor dieses Diskussionsbeitrags kann mit der Forderung der Wirtschaftsprofessor:innen wenig anfangen, lokale Strompreismärkte politisch vorzugeben. Denn anders als die Energieökonomen werfe ich der abwanderungswilligen Geldindustrie vor, ihre eigenen Hausaufgaben nicht gemacht zu haben. Die Manager:innen hätten nämlich schlichtweg nicht darauf warten dürfen, dass der regional erzeugte Ökostrom woanders hinfließt oder wegen Überproduktion abgeregelt und trotzdem EEG-mäßig vergütet wird: Selber in Wind- oder Solarkraft plus Speicher zu investieren und sich damit mit billigem, klimaneutralem Ökostrom zu versorgen - das ist nicht erst seit heute erlaubt.
Innovativ denkende, zukunftsorientierte Macher:innen wie beispielsweise jene des Baukonzerns Bögl haben das in ihren Betrieben umgesetzt. Und sie sind heute ziemlich frei von Strompreiszonen-Diskussionen, mit denen sich aus meiner Sicht rückwärts gerichtete Wissenschaftler:innen in genauso denkenden Medien selbst beweihräuchern.