26.05.2023
Normen für die Kreislaufwirtschaft
Ein Bericht von Götz Warnke
Normen sind wichtig. Sie sind ein Produkt der Industriellen Revolution, und ohne sie gäbe es heute keine Ersatzteile auf Lager, keine Container und keine Austauschmotoren. Normen sollten für möglichst viele Beteiligte („Stakeholders“), d.h. für Staaten, Fachgebiete, Techniken gelten. Was passiert, wenn das nicht gegeben ist, zeigt das europäische Bahnnetz, dessen unterschiedliche, oftmals nur national normierte Spurbreiten zügige Verbindungen über Grenzen hinweg verhindern: z.B. auf die Iberische Halbinsel, in die Ukraine und nach Finnland.
Die Regelwerke der Normen sind nicht technologieoffen – einfaches Beispiel: die unterschiedlichen Netzfrequenzen und -Spannungen in Europa und den USA. Dennoch bleibt Normung auch immer ein Stück Machtausübung: wer normt, legt fest – Größen, Techniken, Verfahren etc.
Auch wenn es bereits eine riesige Vielzahl von Normen gibt, so sind längst nicht alle Bereiche davon abgedeckt, bei denen eine Normung sinnvoll wäre. Das gilt insbesondere für neu hinzukommende Themenkreise wie die Circular Economy, die die bisher weitreichende Wegwerfwirtschaft ersetzen soll/muss. Für diese neue Kreislaufwirtschaft haben das Deutsche Institut für Normung (DIN), die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE) und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) eine „Normungsroadmap Circular Economy“ entworfen – ein Projekt, das vom Bundesumweltministerium gefördert wurde. Das Ergebnis umfasst 250 Seiten, allein die etwas mit Grafik überladende Zusammenfassung hat 14 Seiten.
Inhaltlich fällt nach den üblichen Grußworten erst einmal die 22seitige Einleitung auf, die allerdings nicht nur erklärt, was Circular Economy ist und wozu sie dient – z.B. zur Einhaltung der Klimaschutzziele und des 2°-Pfades in Deutschland bis 2050 (!, Abb.1), sondern zeigt auch, dass sich die Material-Wiederverwendungsrate (Circular Material Use Rate/CMR) zwischen 2010 und 2020 in Deutschland nur von 11,4% auf gerade einmal 13,4% erhöht hat, dass und wie andere Länder (Niederlande, Frankreich, China) mit dem Thema – teilweise erfolgreicher – umgehen, und wie Normungsprozesse ablaufen bzw. wer die entscheidenden Protagonisten sind.
Auch wenn die Einleitung durchaus interessant ist, wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass den Normern zumindest eine Grundnorm deutscher Klimapolitik bekannt ist – nämlich das Pariser 1,5°-Ziel für 2045 – , und dass nicht alte, längst überholte Papiere von 2011 hervorgekramt werden.
Die Normungsroadmap orientiert sich im Folgenden an den Fokusthemen des Circular Economy Action Plans der EU, und behandelt sieben Schwerpunktthemen in unterschiedlichen Kapiteln: 2.1 Digitalisierung, Geschäftsmodelle und Management, 2.2 Elektrotechnik und IKT, 2.3 Batterien, 2.4 Verpackungen, 2.5 Kunststoffe, 2.6 Textilien, 2.7 Bauwerke und Kommunen.
Wenngleich schon wegen der hinter dieser Roadmap stehenden Verbände die Schwerpunkte bei Digitalisierung, Elektrotechnik und E-Speicher nicht überraschend sind, so fällt doch auf, dass die meisten der energieintensiven Industrien wie Glas, Nichteisenmetalle, Papier und Stahl nur indirekt oder gar nicht adressiert sind, wobei sich hier neben der Rohstoffwende noch ein erhebliches Plus für die Energiewende hätte ergeben können. Auch in der Landwirtschaft gäbe es durchaus Normungspotential hinsichtlich der Circular Economy.
Beim Schwerpunktthema „2.1 Digitalisierung, Geschäftsmodelle und Management“ fällt auf, dass der Bereich Geschäftsmodelle gleich im Titel mitgedacht wird. Diese Ökonomisierung der Normung ist gerade hinsichtlich von energie-, ressourcen- und klimapolitischen Normen und Zielen nicht wünschenswert, zumal sich ja auch in der Vergangenheit häufiger gezeigt hat, dass die Geschäftsmodelle von heute die Auslaufmodelle von morgen sind (siehe u.a. Schallplattenläden, Videotheken). Allerdings ist diese Ökonomisierung sicher auch kein Zufall, da von den 550 Autor:innen der Roadmap über 50 Prozent (283) aus der Wirtschaft stammen (Zusammenfassung, S. 3) – die Ökonomen in den Verbänden und Forschungseinrichtungen nicht einmal mit eingerechnet. Dieses Ungleichgewicht z.B. gegenüber Vertretern der Zivilgesellschaft muss bei der Fortschreibung der Normungsarbeit deutlich korrigiert werden.
Aus Energiewendesicht besonders interessant ist das Thema Batterien, dem immerhin 30 Seiten gewidmet sind. Dies betrifft insbesondere auch die E-Auto-Akkus, die durch bidirektionales Laden auch als günstiger (Zusatz-)Hausspeicher, bei Umrüstungen von Fossil-Fahrzeugen und als Wechsel-Akku-Ökosystem eingesetzt werden können. Dazu kommen ständig neue Batterie-Chemien, bei denen noch nicht klar ist, welche sich durchsetzen bzw. künftig zur Verfügung stehen werden.
In der Tabelle 2 (S.88) werden unter der Rubrik "Beispiele aus Batteriesicht ..." im Abschnitt "Rethink"/Umdenken folgende Beispiele für Austausch-Akkus benannt:
„Einheitlicher Akku für verschiedene Power-Tools (Elektrowerkzeuge). Austauschbare Akkus in Notebooks, Bluetooth-Lautsprechern, Handys, universelle Powerbanks. Vereinheitlichung von Modulen oder Packs. Existierende Tests (Bsp.: thermal runaway propagationstest) anpassen.“
Austausch-Akkus für Autos sind also hier gar nicht mitgedacht, was ein deutliches Defizit der Normungsroadmap darstellt. Immerhin kommen in Deutschland gerade chinesische E-Autos der Marke Nio auf den Markt, die über Austausch-Akkus verfügen, und Nio baut hier ein Netz Akku-Wechselstationen auf – Normung durch Markteroberung.
Vielleicht ist der blinde Fleck der Roadmap auf die o.a. Ökonomisierung zurückzuführen, denn deutsche Autohersteller verschlafen diesen Trend wie so viele zuvor.
Abschließend werden auf rund 20 Seiten die fünf Querschnittsthemen Nachhaltigkeitsbewertung, Lebensdauerverlängerung, Digitaler Produktpass (DPP), End-of-Waste (EoW) und Recyclingfähigkeit abgehandelt, die alle Schwerpunktthemen betreffen.
Fazit
Was bleibt, ist ein durchaus gespaltener Eindruck: die Roadmap behandelt die einzelnen Querschnittsthemen mit einer umfänglich-analytischen Systematik, die sich positiv abhebt von anderen Circular-Economy-Systemen wie z.B. Cradle-to-Cradle, das zwar (chemie-)technisch sehr komplex, ansonsten aber etwas geistesschlicht ist.
Doch trotz der Systematik fehlen wichtige Techniken (E-Auto-Austausch-Akkus), werden Nebenschauplätze (Ökonomisierung) überbetont, sind die grundlegenden klimapolitischen Normen gar nicht bekannt.
Dass bei der aktuellen Roadmap durchaus noch „Luft nach oben“ ist, wissen auch die Autoren. Wie heißt es doch in den beiden Unterkapiteln bei „4. Ausblick“: „4.1 Umsetzung der aktuellen Normungsbedarfe und Betrachtung weiterer Branchen und industrieller Sektoren“ und „4.2 Von der industriepolitischen zur gesamtgesellschaftlichen Agenda der Circular Society“. Beides ist dringend notwendig.