26.04.2019
Netzentwicklungsplan und Kritik durch Agora Energiewende
In der vergangenen Woche wurde der zweite Entwurf des Netzentwicklungsplans für das deutsche Stromnetz 2030 von den vier Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) an die Bundesnetzagentur übergeben und veröffentlicht. Er soll nun nochmals öffentlich konsultiert werden, Ziel ist eine Verabschiedung bis zum Jahresende. Das Energiewirtschaftsgesetz fordert die Veröffentlichung eines gemeinsamen Planes (NEP) im Zweijahresrhythmus, der Plan soll aufzeigen, welche Maßnahmen zur Optimierung, Verstärkung und zum Ausbau des Übertragungsnetzes für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb aus Sicht der ÜNB erforderlich sind.
Grundlage ist ein Szenarienrahmen, der in allen fünf verschiedenen Szenarien von einem 65%-Anteil des erneuerbaren Stroms im Jahr 2030 ausgeht. Für alle Szenarien ist auch die CO2-Vorgabe des Klimaschutzplans 2050 der Bundesregierung enthalten. Die Ergebnisse der Kohlekommission vom Januar sind in zwei der Szenarien gut abgebildet. In allen Szenarien sind grob enthalten (immer gegenüber Referenzjahr 2017):
- Anteil der Kernenergie ab 2025 bei null
- Braunkohle bis 2025 mehr als halbiert
- Steinkohle bis 2030 mehr als halbiert
- Gas bei grob +10 % bis 2030
- REG + 50 % bis 2025
- Stromverbrauch je nach Szenario zwischen -5 und +7,5 % bis 2030
Besonderes Augenmerk wird auch auf die Netzanbindung der weiteren geplanten Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee gelegt (Steigerung von 5,4 auf 17 bis 20 GW bis 2030). Im NEP 2030 werden nun verschiedene Aktionen vorgestellt, die unter den angesetzten Randbedingungen zur optimalen Arbeitsweise des deutschen Stromnetzes nötig sein sollen. Neben Freileitungsmonitoring, aktiver Leistungssteuerung stehen auch Ausbauten des AC-Netzes sowie große DC-Nord-Süd-Verbindungen auf dem Plan. Auch sind neue Potentiale wie Netzbooster (große Batteriespeicher als Netzstabilisierer) in die Planung eingeflossen. Trotzdem werden als Ausbauziel rund 4.400 km Leitungen genannt, darunter 2.800 km Leitungsverstärkungen und 1.600 Neubau-Kilometer. Das ist jedoch weniger als in der vorherigen Planversion bestimmt wurde, die Kosten belaufen sich aber jetzt geschätzt auf insgesamt 62 Mrd. Euro, das sind 11 Mrd. Euro mehr als bisher angesetzt.
Klar ist, dass dieses Geld von den Stromkunden kommen soll und über die Netzentgelte umgelegt werden wird. Darauf bezieht sich eine zweite Veröffentlichung der vergangenen Woche: Die Agora Energiewende hat ein Impulspapier mit dem Namen „Netzentgelte 2019: Zeit für Reformen“ veröffentlicht. Agora kritisiert darin, dass die aktuellen Regeln der Netzentgelte dem Umbau des Stromsystems teilweise entgegenstehen und fordert deshalb eine Reform dieser Entgelte. Rund 24 Mrd. Euro sind im Jahr 2018 insgesamt von den Netznutzern für Netzausbau und -betrieb ausgegeben worden, 2019 sollen die Kosten in gleicher Höhe liegen.
Die Autoren des Impulspapiers schlagen einen Grün- und Weißbuchprozess vor, in dem die Probleme der Netzentgelte zunächst analysiert, anschließend systematisch bearbeitet und schließlich aufgelöst werden. Ziel soll eine größere Transparenz für Verbraucher und auch für die Politik sein, die für die Regulierung des Netzes verantwortlich ist. Agora macht in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung eine Reform bereits im Koalitionsvertrag angekündigt hat, bislang aber noch nichts unternommen wurde. Der Originaltext im Koalitionsvertrag lautet: „Wir werden mit einer Reform der Netzentgelte die Kosten verursachergerecht und unter angemessener Berücksichtigung der Netzdienlichkeit verteilen und bei Stromverbrauchern unter Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit mehr Flexibilität ermöglichen.“
Klar ist aber auch für die Agora-Experten, dass sich ein radikaler Änderungsprozess aufgrund der Komplexität längere Zeit hinziehen wird, deshalb schlagen sie vor, einige Maßnahmen schon rasch umzusetzen, darunter z.B.
- die Abschaffung von Anreizen zum gleichmäßigen Stromverbrauch
- die Einführung flexibler Netzentgelte für Wärmepumpen und Elektroautos
- die Sicherung niedriger Grundpreise für Kleinverbraucher
Der letzte Punkt wird in der Tabelle (Bild 2) deutlich: Diese dargestellte fixe Grundgebühr für die Netznutzung legt der Netzbetreiber mehr oder weniger willkürlich fest, je nach Stromverbrauch kann das dann pro kWh einen erheblichen Preisunterschied bedeuten, je nachdem in welchem Netzgebiet man sich befindet.
Es stellt sich auch die grundsätzliche Frage der Verteilung der Kosten, insbesondere in der neuen Situation, in der das bestehende Stromnetz nun ausgebaut werden soll, um weitere Nutzer aus dem Verkehrs- und Wärmebereich zu versorgen. Werden diese neuen Zusatzkosten den bisherigen Stromkunden genauso belastet, die nur weiter rein ihren Strom beziehen, ohne neue Bereiche selbst zu nutzen? Die Autoren des Impulspapiers fordern, eine Anreizwirkung hinsichtlich der Kosteneffizienz des Gesamtsystems zu schaffen. Damit hätte ein Netznutzer das konkrete wirtschaftlich Eigeninteresse, seine Netznutzung so auszurichten, dass das Gesamtsystem möglichst günstig bleibt. Mit der derzeitigen Struktur ist das Gegenteil der Fall: Weder Netznutzer noch Einspeiser werden belohnt, wenn sie durch Verschiebung von Verbrauch oder Erzeugung helfen, einen Netz-Engpass abzumildern. Im Weiteren diskutiert das Impulspapier noch den weiteren Weg eines Grün- und Weißbuchprozesses, um dann geänderte reformierte Entgelte ab dem Jahr 2024 umsetzen zu können. Jetzt ist die Politik gefragt, die bereits angekündigten Änderungen in Angriff zu nehmen.
Jörg Sutter
Weitere Informationen:
www.netzentwicklungsplan.de
www.agora-energiewende.de