26.03.2021
Ist Naturschutz klimafeindlich? Teil II: Windkraft, Wasserkraft und Natur
Eine Analyse von Götz Warnke
In Teil I hatten wir uns mit dem erneuten Angriff der Naturschützer auf die kleine Wasserkraft beschäftigt, die Facetten des Naturbegriffs beleuchtet, und uns die Vorbehalte bei manchen Naturschützern gegenüber Freiflächen-Solaranlagen angesehen. Im Folgenden soll es um das klimafeindliche Bremsen von Naturschützern bei der Windkraft, der Wasserkraft – und der Natur gehen.
Beispiel Windkraft
Bei Naturschützern gilt Windkraft vor allem als Vogelkiller. Richtig ist natürlich, dass Windräder Vögel töten. Doch sieht man sich die häufigsten Todesursachen bei Vögeln an, sind das der Auto- und Bahnverkehr, Glasscheiben sowie Hauskatzen; die Windkraft kommt erst abgeschlagen auf Platz 7. Auch bei den angeblich so sehr durch Windkraft gefährdeten Raubvögeln wie dem Rotmilan kann man zumindest in dieser Hinsicht Entwarnung geben: wie eine wissenschaftliche Studie zeigt, werden über 50% der Rotmilane schon als Jungtiere getötet – von natürlichen Feinden wie Habichten, Waschbären und Mardern. Aber während viele Naturschützer die klimafreundliche Windkraft als angeblichem Vogelkiller am liebsten einschränken würden, heißt es z.B. beim erst in der NS-Zeit hier ausgewilderten und legal jagdbaren amerikanischen Waschbären: „Der NABU lehnt die Jagd auf den Waschbären ab.“
Nicht besser sieht es beim zweiten großen Konfliktfeld aus, der Windkraft im Wald. Während unsere Wälder zu einem großen Teil mit Fichten bestückte, industrielle Holzplantagen sind, die durch steigende Temperaturen, Trockenheit und Borkenkäfer sich kaum mehr retten lassen und schleunigst ökologisch umgebaut werden müssen, erwecken Naturschützer, wenn es um Windkraft geht, häufig noch das Bild vom romantisch-schönem Wald, dessen Bäume auch mehr CO2 speichern als jede Windkraftanlage jemals einzusparen vermöchte. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: wie Recherchen von Correctiv und vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) zeigen, spart ein Windrad im Wald mit seiner Energieproduktion deutlich mehr CO2 ein, als die dafür gerodeten Bäume je binden könnten. Eigentlich bräuchten wir sehr viel mehr Wald-Windkraft, denn die Windanlagen im Wald sind klimadienlich und damit letztlich auch naturfreundlich. Wirklich schädigen tun sie allenfalls das gewohnte Landschaftsbild einiger Naturschützer und Romantiker.
Beispiel Wasserkraft
Den o.a. Angriff der Bayrischen Naturschutzverbände auf die Wasserkraft könnte man natürlich im Detail der Einzelpunkte kritisieren sowie pauschal fragen, was Angler – die z.B. Gewässer mit den aus Nordamerika stammenden Regenforellen besetzen – mit Naturschutz zu tun haben. Auch ließe sich der Naturschutzgedanke zumindest bei solchen Kanuten in Zweifel ziehen, die ihre Boote mit dem Schwindel-Diesel zum nächsten Fluss transportieren. Doch das würde hier den Rahmen des Artikels sprengen. Einige Anmerkungen zum Kampf gegen die Wasserkraft sollen hier genügen.
In seinem Einleitungsschreiben zu den „Acht Mythen …“ verweist der „Bund Naturschutz in Bayern“ darauf, dass es 57.000 Barrieren in Bayerns Flüssen und Bächen gäbe, die die Durchlässigkeit behinderten. Nur einen Satz später werden die Kleinwasserkraftwerke mit über 4.000 Stück angegeben, was die Dimensionen des angeblichen Wasserkraft-Problems deutlich macht: gerade einmal 7% der Querbauten sind durch die Wasserkraft verursacht. Ähnlich sieht es in Hessen aus, wo von 18.000 Querbauten gerade einmal 550 der Wasserkraft dienen.
Und noch ein Problem übergeht der Bund Naturschutz stillschweigend: In Bayern haben sich in den letzten Jahrzehnten ca. 12.000 Biber angesiedelt. Auch deren Dämme, die bis zu drei Meter und höher werden können, sind Querbauten, die zumindest Fischdurchgängigkeit flussaufwärts massiv verhindern können. So sieht die unterfränkische Hegefischereigenossenschaft der Lohr durch den Biber bestimmte Flussabschnitte für Äsche, Bachforelle, Koppe und Bachneunauge als mehr oder weniger verloren an. Dem widerspricht zwar der Bund Naturschutz und meint: „Biberreviere zählen zu den artenreichsten Biotopen im Freistaat.“ Doch wirklich überzeugend ist das nicht: Warum es gut sein soll, wenn Biber „reine Fließgewässer in ein System aus unterschiedlich großen Teichen und dazwischen liegenden Fließgewässerstrecken“ verwandeln, während bei Wasserkraftwerken das Gleiche eine Naturschutz-Katastrophe ist, erschließt sich nicht. Auch dass der Sedimentrückhalt bei Wasserkraftwerken ein Problem sei, während er bei Biberbauten positiv gewertet wird, zeugt deutlich von einer einseitigen Sichtweise. Und während in den Staubereichen von Wasserkraftanlagen "sich das Wasser unnatürlich rasch" erwärmt – zumindest aus Sicht der Naturschutzverbände – , so dass es den Wasserlebewesen zu heiß wird, wird das Thema bei Biberstauungen von den Naturschützern stillschweigend übergangen. Sollte man nicht besser den Biber als Baumfreveler und Bachblockierer aus der Liste der geschützten Arten nehmen?
Doch die Kontroverse Naturschutz vs. Wasserkraft tritt nicht nur in Süddeutschland zu Tage. Elbaufwärts von Hamburg liegt die für die Tidenregulierung wichtige Staustufe Geesthacht, die seit Jahrzehnten immer wieder als Laufwasserkraftwerk in den Blick genommen wird – immerhin fließen hier 800 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch, und eine Fischtreppe existiert seit langem. Schon in den 1990er Jahren verhinderten Naturschützer einen Kraftwerksbau u.a. mit der Argumentation, wegen des zu erhöhenden Wehrs und Aufstaus müssten Froschpopulationen ihre angestammten Wiesen verlassen. Das zählt offensichtlich mehr als die durch Wasserkraft einzusparenden Klimagase – und dass sich die Natur des Urstromtals Elbe im Laufe der Zeit immer wieder geändert hat.
Beispiel Natur
Eigentlich sollte man annehmen, der Naturschutz wolle die Natur vor menschlichen Eingriffen schützen. Doch das ist durchaus nicht immer und überall der Fall: So werden in manchen Gebieten die Pflanzen, die sich natürlich dort angesiedelt haben, im Zuge der „Landschaftspflege“ dort wieder entfernt (Entkusselung). Das ist zwar bei Birken, die sich in Mooren ansiedeln, für den Klimaschutz sinnvoll, weil die Bäume die Wasserverdunstung im Moor erhöhen, und so das Moor (aus-)trocknen, was zu höheren Treibhausgasemissionen führt. Bei Trockenrasen, Kalkmagerrasen u.ä. ist die Entkusselung bzw. Entbuschung aus Klimaschutzsicht völlig überflüssig, ja wegen der als CO2-Speicher vernichteten Büsche und Bäume kontraproduktiv. Hier dienen die menschlichen Eingriffe nur der Erhaltung eines bestimmten Landschaftsbildes bzw. Biotops, das von Naturschützen als „wahre Natur“ definiert wird – gegen die durchaus wandelbare Natur.
Schlimmer wird es, wenn unter dem Deckmantel des Naturschutzes Kulturlandschaften gegen jede naturbelassene Veränderung verteidigt werden, und zwar großflächig mit schweren Maschinen oder durch das Abbrennen neuen Bewuchses (Heidebrand). Dann wird „Naturschutz“ richtig klimafeindlich.
Fazit
Nein, der Naturschutz ist nicht per se klimafeindlich; viele Bereiche wie der Schutz der Moore oder alter Wälder sowie der Kampf gegen die (Braun-)Kohleverstromung und das Wegbaggern ganzer Landschaften tragen wesentlich zum Klimaschutz bei. Und auch in den Naturschutzverbänden gibt es Unterstützer der Erneuerbaren Energien.
Aber der Naturschutz ist auch nicht per se klimafreundlich. Abgesehen von Konflikten bei den Große-Augen-Tieren wie Wolf, Luchs, Biber, Waschbär etc., die als „Brot-und-Butter-Bilder“ in der Spendenwerbung dienen, finden sich die Konfrontationslinien zwischen Naturschutz und Erneuerbaren Energien immer wieder im Bereich des Landschaftsbildes. Gerade das in seiner Wahrnehmung kaum objektivierbare, mit rein subjektiven Begriffen wie Schönheit und Eigenart beschriebene, und mit dem Anspruch der Unantastbarkeit versehene Bild einer wohlgefälligen Landschaft dient mit seiner Willkürlichkeit den Naturschützern dazu, Macht über andere Sichtweisen und Gestaltungen auszuüben. Dabei sollte es in der heutigen demokratisch-offenen Gesellschaft doch deutlich sein, dass es keine allgemein gültige, verbindliche Ästhetik gibt: was dem einen als Inbegriff der Schönheit eine unberührte, d.h. vom Menschen unberührte Landschaft ist, ist dem anderen ein glitzerndes Solarmeer, das Ballett der weißen Windturbinen oder die klappernde Mühle am rauschenden Bach. Es ist also höchste Zeit, umzudenken.
Denn die Drohung eines weltweiten Klimakollaps und einer für Menschen lebensfeindlichen Erde erfordert ein „All in“ bei den Erneuerbaren Energien und keine Bremsmanöver aus Sicht eines klimapolitsch unwesentlichen, aber in seinem Anspruch überbordenen Landschaftsschutzes.
Wenn Naturschutz-Funktionäre sich zu PV-Freiflächenanlagen zitieren lassen mit "Zwar gehöre die Photovoltaik primär aufs Dach ... Doch würde mit der Herausnahme von Flächen aus der intensiven Bewirtschaftung zugunsten von Solarenergie auch Umweltbelastungen reduziert oder der Biotopwert gesteigert", oder: "Entlang der Autobahnen haben die Anlagen ihre Berechtigung" muss man einer solchen Attitüde entschlossen entgegentreten – gerade auch im Sinne des Klimaschutzes und der Energiewende. Schließlich brauchen wir nicht nur Biotop-PV, sondern in großer Zahl auch Agro-PV über biologisch-intensiv bewirtschafteten Flächen, wie z.B. beim Projekt der Hofgemeinschaft Heggelbach zeigt. Gerade in der noch sehr „verdieselten“ Landwirtschaft müssen Bauern selbst entscheiden können, wo sie auf ihrem eigenen Grund und Boden Anlagen für Erneuerbare Energien installieren, statt sich von irgendwelchen "Oberschiedsrichtern" des Landschaftsbildes maßregeln zu lassen.
Es ist an der Zeit, dass sich die Erneuerbaren Energien zusammenschließen und gemeinsam darauf hinwirken, dass diese höchst subjektiven, nicht objektivierbaren und für den Klimaschutz hinderlichen Schutzgut-Regelungen aus den Naturschutz-Gesetzen entfernt werden.
Ist Naturschutz klimafeindlich? Teil I: Photovoltaik? Jein, danke!