26.02.2021
Gesucht: Eine neue Energiegesetzgebung
Ein Bericht von Jörg Sutter
Das Ziel hat der Runde Tisch Erneuerbare Energien (RT-EE) schon klar definiert: 100 Prozent Erneuerbare Energien bis zum Jahr 2030 sollen es sein, darauf muss hingearbeitet werden. In einer Folge von mehreren Online-Workshops haben die Organisationen des Runden Tisches in den vergangenen Wochen unter Federführung des Solarförderverein Deutschland (SFV) ein Arbeitspapier entwickelt, wie wir 100% Erneuerbare erreichen wollen. Das Arbeitspapier in der aktuellen Version ist hier einsehbar. Es konzentriert sich auf den Strombereich und möchte eine neue Gesetzgebung zum Ausbau der Erneuerbaren Energien anstoßen.
Jeder, der sich z.B. mit der aktuellen EEG-Novelle beschäftigt hat, weiß: Allein dieses Gesetz ist umfangreich, extrem komplex, schwer lesbar und oft unverständlich, weil durch unzählige Querverweise und die Aufteilung vieler Themen in diverse Paragrafen keine „rote Linie“ gefunden werden kann. Doch das ist nicht nur im EEG, sondern auch im GEG (Gebäudeenergiegesetz) und vielen anderen Energiegesetzen so. Die Anwendung der Regelungen wird damit immer schwieriger und man hört gelegentlich die Unterstellung, dass da Absicht dahintersteckt, um den Ausbau nicht „zu schnell“ vorangehen zu lassen. Viele Akteure sind auch deprimiert, weil die Gesetzesänderungen aus den vergangenen Monaten mehr Industriebefreiungen und neue Hürden als Erleichterungen für den Ausbau der Erneuerbaren gebracht haben.
Für die Umsetzung in der Praxis schaffen Gesetzesänderungen oft mehr Fragen als Antworten, Beispiel EEG: Dort wird beim Mieterstrom nun die Projektumsetzung innerhalb eines Quartiers erlaubt. Doch was ist ein Quartier? Juristen nennen das einen „unbestimmten Rechtsbegriff“, das EEG schweigt. Oder die neuen Regeln im EEG für große Dachanlagen: Für eine PV-Anlage über 300 kWp, die nicht in die Ausschreibung geht, wird nur maximal 50% des erzeugten Stroms gefördert. Doch über welchen Zeitraum werden die 50% betrachtet? Das weiß auch aktuell noch niemand.
Und das EEG ist ja nicht das einzige Beispiel: Das BMWI hat vor einigen Wochen seine Gesetzeskarte zu den Energiegesetzen aktualisiert. Ein Blick auf die Karte macht deutlich, wie komplex unsere rechtliche Handhabung des Energiesystems inzwischen geworden ist.
Der Runde Tisch möchte mit seinem Arbeitspapier nun nicht eine kleine Verbesserung im Paragraf 10 b Absatz 2 Satz 2 des EEG bewirken (obwohl das auch wichtig wäre), sondern denkt an einen völligen Neustart. Ein Neustart der Energiegesetzgebung, der auch auf disruptive Veränderungen eingehen kann, die vielleicht heute noch gar nicht absehbar sind. Der runde Tisch denkt vom Ziel her, nicht von den derzeitigen gesetzlich gültigen Papierbergen.
Schwerpunkte des Arbeitspapiers: Das Papier ist thematisch in vier Schwerpunkte gegliedert – das sind schlicht die Bereiche, in denen es derzeit am meisten „klemmt“:
1. Keine Ausbau-Limits
2. Bürgerenergie stärken
3. Strukturen schaffen und
4. Investitionen sichern
Keine Ausbau-Limits
Seit Jahren werden die Erneuerbaren Energien in Deutschland zwar ausgebaut und erreichen im Strombereich inzwischen auch rund 50 % der Versorgung, aber ein mehr und schneller ist für die Energiewende und die Erreichung der Klimaziele unbedingt erforderlich. Neben der Abschaffung der verschiedenen Deckel im EEG gehört auch die breite Nutzung aller möglichen Flächen dazu, inklusive dem Blick über den heutigen technischen Tellerrand: Warum nicht Autobahnflächen mit PV überdecken oder auf Äckern „Argo-PV“ und auf Baggerseen „Floating PV“ aufsetzen?
Doch die Limits stecken nicht nur im EEG: Solange im Baurecht keine Baupflicht für PV-Anlagen enthalten ist, wird eben nicht jedes Dach belegt. Solange die Umsetzung von Mieterstrom so kompliziert ist wie heute, werden Mietshäuser nicht mit Modulen ausgestattet. Auch müssen Anträge auf PV-Freiflächenanlagen als Zukunftschance betrachtet werden (und damit schnell bearbeitet) und dürfen nicht als „schon wieder Arbeit für das Baurechtsamt“ liegengelassen werden.
Wichtig ist das Lösen der Bremsen auch für die Windkraft, die ja gemeinsam mit der PV die Hauptlast der zukünftigen Stromversorgung schultern soll.
Bürgerenergie stärken
Derzeit ist die Bürgerenergie auf dem absteigenden Ast: Nachdem die Energiewende jahrelang durch Privatpersonen, Landwirte und gemeinschaftliche Bürgergesellschaften wie Energiegenossenschaften vorangebracht wurde, können inzwischen immer mehr Energieprojekte nicht mehr von Bürgern umgesetzt werden.
Die EU in Brüssel hat hier vorgelegt und stellt den Prosumer und auch die gemeinschaftliche Energieerzeugung und den gemeinsamen Verbrauch in den Mittelpunkt der Betrachtung (RED II). Bürger haben das Recht, Strom aus Erneuerbaren Energien zu erzeugen, zu speichern, zu verbrauchen und zu verkaufen und dürfen für selbst erzeugte Energie keinen unverhältnismäßigen Verfahren und keinen Umlagen und Gebühren unterworfen werden. Und das ist kein Geschwätz aus Brüssel, sondern in einer verbindlichen Richtlinie vorgegeben, die auch bei uns umgesetzt werden MUSS.
Zusätzlich wird in diesem Kapitel des Arbeitspapiers noch vorgeschlagen, für PV-Anlagen eine Bagatellgrenze von 7 kWp zu etablieren, um Bürokratie wie Anmeldungen, Registrierungen und steuerliche Unklarheiten von vornherein abzuschalten und privaten Investoren die PV-Nutzung so einfach wie möglich zu machen.
Strukturen schaffen
Der Aus- und Umbau von Netzen und Speichern wird zentral für den zukünftigen Erfolg der Energiewende und eine zukünftig stabile Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien. Das Arbeitspapier verweist hier auf den VDE, der sich schon länger ein zellulares Energiesystem vorstellen kann, das für die Integration von dezentralen Anlagen in vielen Aspekten optimal wäre. Gleichzeitig sollen mehr Speicher eingeführt, Systemdienstleistungen vergütet und technische Vorgaben in verschiedenen Bereichen vereinfacht werden.
Investitionen sichern
Als letzten wichtigen Bereich spricht das Arbeitspapier die Investitionen an. Das ist wichtig, weil ohne entsprechende Flankierungen die notwendigen riesigen Investitionen nicht erfolgen werden. Das war ja gerade einer der großen Erfolge des EEG: Eine gewisse wirtschaftliche Sicherheit und Kalkulierbarkeit für das eigene Geld, das man in eine PV-Anlage aufs Dach hineinsteckt. Vor allem auch die Genehmigung und der Anschluss von EE-Anlagen an das Netz dürfen zukünftig nicht der Flaschenhals des Ausbaus werden.
Hier am Ende sei noch der Hinweis gestattet, dass das Arbeitspapier des runden Tisches auch zukünftig noch weiterentwickelt wird. Anregungen dazu von Ihnen, lieber Leser, nimmt der Autor per Mail unter sutter(at)dgs.de gerne entgegen. Das Papier wird an zukünftige Entwicklungen und Erfordernisse angepasst und auch der Runde Tisch ist sich einig, nicht der alleinige Gralshüter der besten Lösung für die Zukunft der Energieversorgung zu sein. Aber ein Baustein, eine Skizzierung der wichtigsten Punkte, die zum Erreichen einer erneuerbaren Vollversorgung nötig sind, ist damit erst einmal erfolgreich erarbeitet worden.