25.11.2016
VW und die Elektromobilität
Die Nachricht war in der vergangenen Woche Topthema in den Medien. VW werde über 30.000 Arbeitsplätze abbauen, davon 23.000 in den deutschen Werken. Es war von „Megaentlassungen“ bis zur „Quittung für den Abgas-Skandal“ die Rede. Allem Anschein nach hatten nicht nur die Medien, sondern breite Teile der Öffentlichkeit gehofft, das Wolfsburger Management könne um diesen Schritt herum kommen. Erstaunen rief allerdings hervor, dass die Entlassungen von VW selbst nicht mit den Folgen des Dieselgate begründet, sondern als Teil seiner neuen Strategie „Transform 2025+“ ausgegeben wurde, der zu Folge der Konzern bis 2025 Weltmarktführer im Bereich E-Mobilität werden will. „Unsere künftigen Elektroautos werden das neue Markenzeichen von Volkswagen“, so die neue Botschaft. Wir erinnern uns, vor mehr als einem Jahrzehnt hatten die Wolfsburger, und mit ihnen die anderen deutschen Autobauer, das Elektroauto als Unsinn abgetan. Ihre Strategie bestand darin, die vorhandenen Verbrennungstechnologien effizienter zu machen. Im Mittelpunkt stand die Alternative „sauberer Diesel“, der mit allen Mittel, welche das Marketing hergab, in den Markt gedrückt wurde. Der Ausgang dieser Effizienzoffensive ist bekannt.
Die große Transformation von VW, deren erster Schritt mit nun Entlassungen beginnt, soll in drei Phasen erfolgen. Bis zum Jahr 2020 soll erst einmal ein grundlegender Umbau des Kerngeschäfts entlang der gesamten Wertschöpfungskette stattfinden. Und dann, so Markenvorstand Herbert Diess, „starten wir unsere große Elektro-Offensive“. In Phase 2 will Volkswagen bis 2025 den Sprung an die Spitze der Elektromobilität schaffen und in der dritten Phase bis zum Jahr 2030 die Führungsrolle in der neuen Welt der Elektromobilität übernehmen. Der Volksmund würde sagen „rein in die Kartoffeln – raus aus die Kartoffeln“. Und irgendwie klingt das immer noch wie früher, also vor Dieselgate, als Wolfsburg großspurig der weltgrößte Automobilkonzern werden wollte.
Nun kann man sich voll Häme darüber auslassen, dass die hochbezahlten Manager voll daneben lagen. Doch so einfach ist das nicht. Natürlich wollten sie das in ihren Werken und Produkten angelegte Kapital nicht einfach wegwerfen, sondern das Geschäft bis zum Letzten ausreizen. Neue Technologien hatten schon immer den Effekt, dass sie ihre Vorgängertechnologien entwerten. Das war so, als in der Gründerzeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts die elektrischen Maschinen eines Herrn Siemens die mechanische Kraftübertragung eines Henry Strousberg (den kennt heute niemand mehr!) verdrängten. Und es wiederholte sich seither in der Technik- und Wirtschaftsgeschichte immer wieder. Als aktuellstes Beispiel mag das Smartphone stehen, das so einige der liebgewordenen Einzeltechnologien vom Markt fegt. Technologiesprünge haben oftmals die Gewalt eines Tsunamis, und wer sich ihnen zu lange entgegen stellt, droht darin unter zu gehen.
Wie es mit VW und den anderen deutschen Automobilfirmen weiter geht, lässt sich schwer vorhersagen. „Wir zielen nicht auf Nischenprodukte, sondern auf das Herz des Automarktes“, wird in Wolfsburg versichert. Dass VW nun nicht kleckern, sondern klotzen will, gehört sicher zum Geschäft. Ob VW bis 2025 tatsächlich eine Million Elektroautos pro Jahr verkauft, ist abzuwarten. Die E-Offensive soll dem Konzern zufolge unter anderem durch den Wegfall von volumen- und ertragsschwachen konventionellen Modellen und Varianten finanziert werden, was Investitionsmittel in Höhe von mehr als 2,5 Milliarden Euro frei machen soll. Dieser Argumentation sollte man allerdings mit gesundem Misstrauen begegnen. Denn die neue Epoche der E-Mobility und der Sektorkopplung besteht nicht einfach nur im Austausch eines Antriebskonzeptes. Zum einen wird die Produktion von Elektromotoren und Batterien viel, sehr viel weniger Aufwand erfordern. Verbrennungsmotoren und Getriebe haben eine Unzahl komplexer, beweglicher Teile, die überflüssig werden – und mit ihnen die, die sie bauen. Der Personalabbau dürfte also nicht bei der Marge haltmachen, über die gerade geredet wird. Unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigung macht es, immanent betrachtet, ja Sinn, ehrgeizige Verkaufszahlen und die Marktführerschaft anzustreben. Aber das wollen die Konkurrenten ja auch. Und außerdem gibt es die Energiewende.
Betrachtet man nämlich das Thema Sektorkopplung und die ersten Anbieter, die sich von „reinen“ Automobilverkauf „frei“ machen, stellt sich die Frage, ob in Zukunft überhaupt noch das Automobil, wie wir es kennen, gefragt sein wird. Tesla bietet demnächst als Paket die Kombi von Solardach, Batterie, E-Auto und Energiemanagementsystem an. Dies zeigt zumindest in die Richtung, dass der „emissionsfreie Lebensstil“, den Tesla damit verkaufen will, die Grenzen des Automobilmarktes überspringen wird. Die gleiche Tendenz zeichnet sich bei den Batterien ab, die mit dem Konzept des „second life“ nach der Nutzung im Auto den Einsatz als Speicher im Haus erleben werden. Ob die Batteriehersteller dann aus der Automobilbranche kommen, scheint zumindest offen. Und nicht zuletzt dürften neue Mobilitätskonzepte, die nicht mehr das eigene Auto im Mittelpunkt sehen, sondern die flexible Kombination aller Fortbewegungsmittel propagieren, auch am herkömmlichen Bild des „eigenen Autos“ kratzen. Passend dazu offeriert die Deutsche Bahn in dieser Woche mit „CleverShuttle“ ein neues Konzept „für die Bündelung von Fahrten und den Einsatz von Elektro- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen“ an. Das Konzept von Uber lässt grüßen, aber die DB will „40 Prozent günstiger als ein Taxi“ sein. Sicher, der globale Automobilmarkt wächst nach wie vor, vor allem in den Schwellenländern. Doch gleichzeitig entwickelt sich gerade dort die Energiewende ohne die Hemmnisse, die hier in Deutschland oder demnächst auch in den USA aufgetürmt werden. Es könnte sein, dass wir später einmal in der Rückschau die Wolfsburger Kurskorrektur als den Kipppunkt einer Branche ansehen.
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