25.09.2020
Wundermittel Wasserstoff? Teil 1
Ein Bericht von Götz Warnke
Geht es nach dem Willen der deutschen Bundesregierung mit ihrer im Juni diesen Jahres verkündeten Nationalen Wasserstoffstrategie, dann ist Wasserstoff (H2) quasi eine Allzweckwaffe für die Energiewende und gegen den Klimawandel. Und so wittern viele Interessierte und beim Thema Engagierte jetzt "Morgenluft": Von dubiosen Aktienempfehlungs-Portalen ("Megatrend Wasserstoff") über Energiekonzerne, Gasspezialisten, Brennstoffzellen-Herstellern bis hin zu ganzen Regionen. Anfang September organisierte das Cluster Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) eine Veranstaltung mit dem fragenden Titel "Klimaretter Wasserstoff?", die detaillierte Einblicke in die Planungen und Anwendungen von H2 in den verschiedensten Bereichen lieferte.
Wärme
Schauplatz Hamburg Bergedorf: Im Neubaugebiet "Am Schilfpark" hat das städtische Unternehmen "Gasnetz Hamburg" eine Wasserstoff-Mischanlage errichtet. Diese soll dort Wasserstoff in ein Erdgasnetz einspeisen, das über zwei Blockheizkraftwerke (BHKWs) und zwei Spitzenlastkessel ab Oktober diesen Jahres in einem Wärmenetz 273 Wohnungen mit Warmwasser und Heizenergie versorgt. Das Projekt "mySMARTLife" ist Teil des EU-Förderprogramms "Horizon 2020", und soll während seiner Laufzeit bis Ende November 2021 über 2.000.000 kWh thermisch liefern. Dazu werden H2-Druckflaschen-Bündel per LKW angeliefert und an ein Steuerungsmodul angeschlossen. Von dort wird der - bisher noch fossile - Wasserstoff zu einer gesteuerten Mischanlage geleitet, die eine sukzessive Steigerung des H2-Anteils von 5% bis zu 30% ermöglicht. Also nichts Besonderes?
Doch, denn ein Wasserstoff-Anteil von 30% im Gasgemisch ist ein Vorstoß in neue Dimensionen, während man sich in anderen Projekten mit unproblematischen 20%-Anteilen begnügt hat. Selbst die Hersteller der BHKWs wissen nicht, wie viel Wasserstoff ihre Gasmotoren vertragen. Immerhin ist für Erdgas-Fahrzeugen schon bei 2% H2-Zumischung Schluss. Klar ist, dass Erdgas (CNG) einen höheren Brennwert hat, und eine 30%-Zumischung von Wasserstoff den CNG-Bedarf daher nur um 12% reduziert. Dazu kommt ein weiterer Punkt, auf den Projektmanager Tom Lindemann von Gasnetz Hamburg hinweist: "Ein 30%-Anteil Wasserstoff ist schon sehr ambitioniert. Eine 50%-Beimischung wird es in dem Netz nicht geben. Für 50 oder 100% Wasserstoff muss ein neues Netz errichtet werden" Und das wird in der Fläche dann sehr teuer!
Sektorenkoppelung
In Hemmingstedt in Dithmarschen ist man bereits einen Schritt weiter: von der dortigen DEA-Raffinerie existiert bereits eine Wasserstoffleitung ins 30 Kilometer südlich gelegene Industriegebiet von Brunsbüttel. Und die recht kleine Raffinerie kann sich zusammen mit dem Offshore-Windparkbetreiber Örsted, dem Energiedienstleister Thüga, der Entwicklungsagentur Heide sowie weiteren Konsortial-Partnern des Projektes "Westküste 100" über einen ersten Förderungsbescheid des Altmaierschen BMWi in Höhe von 30 Mio. Euro freuen. Grund für den Geldsegen ist, dass hier im Rahmen des Programms "Reallabore der Energiewende" das erste grüne Wasserstoff-Großprojekt Deutschlands entstehen soll. In der Tat sind die Voraussetzungen hier an der Westküste günstig: Die energetische Basis liefert der überschüssige Offshore-Windstrom, der andernfalls abgeregelt werden müsste - bei Kosten von 300 bis 350 Mio. Euro pro Jahr. Die ökonomische Basis liefert der hohe, bereits bestehende Wasserstoff-Bedarf der Industrie z.B. in Brunsbüttel mit dem Chemiewerk Sasol, dem Düngemittelhersteller Yara oder dem Bitumenwerk von Total.
Im ersten Schritt des Projekts soll jetzt in Hemmingstedt ein Groß-Elektrolyseur errichtet werden, der es der Raffinerie erlaubt, ihren H2-Bedarf von 6.600 m3/Stunde auf grünem Wasserstoff umzustellen. Mit 30 MW installierter Leistung ist dieser Elektrolyseur derzeit der größte der Welt, und dürfte den heutigen Bedarf an grünem Wasserstoff für ganz Deutschlands decken können. Die bei der Elektrolyse entstehende Abwärme kann für Gewerbebetriebe und Gewächshäuser genutzt werden, der entstehende Sauerstoff (O2) wird in das rund 60 km entfernte Zementwerk in Lägerdorf südlich Itzehoe transportiert und dort in der Produktion genutzt. Der Wasserstoff geht entweder an die üblichen Industrieabnehmer, oder er wird über eine neue 7-km-Leitung nach Heide/Holstein transportiert, um dort als maximaler 20%-Anteil einem kleinen Gasnetz beigemischt zu werden. Der Wasserstoff kann aber auch in einigen der nahe liegenden neun großen Kavernen zwischengespeichert werden, die der Bundesrepublik gehören.
Noch interessanter wird das System als quasi geschlossener Kreislauf, wenn das bei der Zementproduktion in Lägerdorf entstehende CO2 abgeschieden und nach Hemmingstedt zurückgeführt wird. Es lässt sich zusammen mit dem Wasserstoff aus den Kavernen von der Raffinerie zur Methanolsynthese einsetzen, welches man dann wiederum zu verschiedensten Treibstoffen weiterverarbeiten kann. Immerhin will die Lufthansa am Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel davon 350.000 t/Jahr abnehmen.
Auch das Wasserproblem, das bei allen Elektrolyse-Prozessen eine u.U. limitierende Rolle spielt, scheint gelöst: Die benötigten großen Wassermengen können entweder aus der Nordsee oder der Elbmündung stammen; inzwischen gibt es auch Elektrolyseure für Abwässer.
Doch das alles kann erst ein Anfang sein, wie Raffinerie-Geschäftsführer Jürgen Wollschläger deutlich macht: "700-MW-Elektrolyse - dies ist unsere Vision und der nächste Meilenstein zur Umsetzung der in der Nationalen Wasserstoffstrategie festgelegten Ausbauziele bis 2030." In der Tat ist die Dithmarscher Region für einen solchen Aufbruch als Basis prädestiniert: 5 Gigawatt (GW) installierte Windleistung, eine Raffinerie, ein großes Zementwerk als Wasserstoff-Abnehmer, Pipelines, Kavernen, Umspannstationen etc. Also alles im grünen (Wasserstoff-)Bereich?
Nicht ganz: Allein die Industrie in Brunsbüttel hat einen höheren H2-Bedarf, und die künftigen 350.000 t Power-to-Fuels (PtF) machen gerade 5% des Treibstoff-Bedarfs in Hamburg aus. Die groß verkündete "Nationale Wasserstoffstrategie" ist keine Selbstläufer, sondern ein extremer Ultramarathon über Jahrzehnte.
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