25.09.2020
Keine wirtschaftliche Perspektive für Ü20
Eine Analyse von Jörg Sutter
Ein klein wenig Anerkennung zu Beginn sei angebracht: Nach 20 Jahren Ignoranz ist dem Gesetzgeber aufgefallen, dass PV-Anlagen aus dem Jahr 2000 und älter noch da sind. Ja, sie erfreuen sich sogar meist guter technischer Gesundheit und freuen sich darauf, noch ein paar Jahre weiter Strom zu erzeugen. Anerkennung: Der Gesetzgeber hat es gemerkt und in den Referentenentwurf des EEG Weiterbetriebsmöglichkeiten hineingeschrieben, da ansonsten Abbau und illegale Einspeisung gedroht hätten. Allein: Alle Möglichkeiten bieten mit seriöser Berechnung derzeit keine wirtschaftliche Perspektive. Gar keine.
Gemeinsam mit dem Solar-Förderverein Deutschland (SFV) hatten wir schon im April mit der Veröffentlichung des Gutachtens "Leistungen und Kosten beim Weiterbetrieb von Ü20-PV-Anlagen" hier gewarnt und den Gesetzgeber darauf aufmerksam gemacht, dass wirtschaftliche Perspektiven für kleine PV-Anlagen fehlen und damit ein großer Rückschritt bei der Energiewende droht. Diese wirtschaftliche Perspektivlosigkeit hat sich leider mit Vorlage des Referentenentwurfs nicht geändert.
Im Folgenden möchte ich einige konkrete Möglichkeiten betrachten, die sich für den Weiterbetrieb einer kleinen PV-Anlage bieten. Klar ist: Das Geldverdienen steht bei vielen motivierten Betreibern nicht an erster Stelle. Aber die Frage sei erlaubt, warum die Teilhabe an der Energiewende ein "Draufleggeschäft" sein soll, wird sie doch politisch für so wichtig erklärt. Die folgenden Beispiele wurden mit pv@now, der PV-Berechnungssoftware der DGS Franken kalkuliert.
Möglichkeit 1 - Weitereinspeisung
Die Weitereinspeisung ist im EEG-Entwurf als Möglichkeit vorgesehen, allerdings nur für eine weitere Laufzeit von 7 Jahren. Die übliche, von uns immer angesetzte Weiterbetriebszeit von 10 zusätzlichen Betriebsjahren kann damit also nicht erreicht werden. Die weitere Einspeisung soll ohne technischen Umbau (neue Zähler etc.) auskommen und sieht so auf den ersten Blick attraktiv aus. Der Haken: Für den weiter eingespeisten Strom soll nur der Marktwert als Einspeisevergütung bezahlt werden, abgezogen wird zuvor noch eine Vermarktungspauschale von 0,4 Cent pro kWh. Wie hoch der Marktwert Solar in den kommenden Jahren sein wird, ist schwer einzuschätzen. In den vergangenen Jahren schwankte er zwischen 3 und 5 Cent pro kWh, der Mittelwert für 2020 wird wegen des Corona-Preisverfalls im Frühjahr aber nur bei rund 2,5 Cent pro Kilowattstunde liegen. Werden (wie für den Klimaschutz unbedingt notwendig) massiv Solardächer zugebaut, besteht das Risiko, dass der Marktwert weiter absinkt.
Mit etwas Optimismus setzen wir einen Marktwert von durchschnittlich 3 Cent (minus 0,4 Cent Vermarktungspauschale) an und erhalten damit für eine 2 kWp-Anlage mit einem Jahresertrag von 900 kWh/kWp eine Vergütung von 46,80 Euro. Pro Jahr wohlgemerkt.
Als laufende Kosten fallen an: Zählerkosten, Wartung/Kleinreparaturen und Versicherung, daneben empfehlen wir (und andere), eine Ü20-Anlage, die in den vergangenen Jahren nicht regelmäßig gewartet wurde, einmalig für rund 200 Euro durchchecken zu lassen. Mit (zugegeben recht pauschalen) eingesetzten Zahlenwerten zeigt sich, dass die einmalig fälligen 200 Euro plus jährliche Kosten von rund 140 Euro den Einnahmen von 46,80 Euro gegenüberstehen. Ein größerer Anlagenschaden (z.B. Totalausfall des Wechselrichters) ist in den Berechnungen auch nicht betrachtet.
Grafisch als Liquiditätsverlauf sieht das dann so aus (In Blau die jährlichen Einnahmen und Ausgaben, in orange der Verlauf des finanziellen "Kontostands" der Anlage. Nach sieben Jahren Weiterbetrieb verharrt der Endpunkt bei knapp minus 900 Euro. Der Weiterbetrieb ist somit deutlich unwirtschaftlich):
Möglichkeit 2 - Eigenversorgung
Viele Ü20-Betreiber, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten an unsere Beratungshotline des Projekts PVLOTSE (www.pvlotse.de) gewendet haben, hatten schon eine konkrete Vorstellung vom Umbau ihrer Anlage auf Eigenversorgung. Der Solarstrom ist deutlich günstiger als der Strom aus dem Netz, daher ist das eine wirtschaftliche Lösung. Hier grätscht jedoch nun das Wirtschaftsministerium gehörig dazwischen: Gemäß dem aktuellen EEG-Entwurf ist der Umbau zu Eigenversorgung zwar möglich, wird aber nur unter der Bedingung erlaubt, dass dabei ein intelligentes Messsystem (Smart Meter) eingebaut wird. Doch das ist derzeit unmöglich umzusetzen: Die notwendige Markterklärung für kleine Einspeiser liegt noch nicht vor. Außerdem darf vermutet werden, dass Messstellenbetreiber und Elektriker derzeit noch nicht in der Lage sind, die Geräte schnell am Jahresende zu liefern und einzubauen. Auch nur die entsprechende Mail-Anfrage an mein persönlich zuständiges Stadtwerk ist schon seit 10 Tagen ohne Antwort. Der hauptsächliche Knackpunkt sind aber die Kosten: 100 Euro pro Jahr dürfen nach dem Messtellenbetriebsgesetz (MSBG) nicht überschritten werden.
Nehmen wir uns eine 5 kWp-Anlage, die zum Jahresende auf Eigenversorgung umgebaut werden soll. Die Anlage erzeugt auch 900 kWh/kWp, also 4.500 kWh im Jahr bei einer Eigenversorgungsquote von typischen 30 %. Aus der Einspeisung des 70%-Anteils resultieren Erlöse von 82 Euro pro Jahr, laufende Kosten setzen wir für Versicherung (75 Euro), Wartung/Kleinreparaturen (125 Euro) und Zählerkosten (optimistisch 80 Euro für SmartMeter) pro Jahr an. Einmalig kommen dazu noch der Anlagencheck für 200 Euro und die Umrüstkosten beim Zähler mit angesetzten 500 Euro. Nicht berücksichtigt ist dabei ein Kostenrisiko das entsteht, wenn wegen des neuen, größeren Zählers der ganze Zählerschrank umgebaut oder ersetzt werden muss. Ach ja: Und auch die EEG-Umlage wird fällig, das ist in den Änderungen zum aktuellen Kabinettsbeschluss-Entwurf nochmals explizit hinzugefügt worden. Kein Wunder also, dass diese Weiterbetriebsmöglichkeit wirtschaftlich im Negativen bleibt, genauer bei minus 261 Euro nach 10 Jahren Weiterbetrieb (Bild).
Dass das Wirtschaftsministerium seit Jahren kein Freund der Eigenversorgung ist, ist ja schon lange bekannt, aber dass nun auf diesem Weg versucht wird, dem Eigenversorger das Leben so schwer wie möglich zu machen, ist skandalös. Zumal die Smartmeter-Pflicht bei diesen Kleinst-Anlagen keinerlei energiewirtschaftliche Relevanz hat. Die Sinn-Frage dazu stellte bei der vorgestrigen Pressekonferenz auch mein Autorenkollege Heinz Wraneschitz, darauf kam die (auch in der Presse festgehaltene) Antwort: [..] außerdem genügten viele der Anlagen sonst nicht den notwendigen Sicherheitsstandards für einen etwaigen Cyberangriff. Moment. Langsam. Es geht dabei doch um Ü20-Anlagen, die oftmals noch nie in ihrem Stromerzeugerdasein eine Datenleitung oder einen Internetzugang gesehen haben. So what??? Sowas kann man sich nicht ausdenken.
Möglichkeit 3 - vereinfachte Direktvermarktung
Der EEG-Entwurf hat noch eine dritte Möglichkeit geschaffen, nämlich eine vereinfachte Direktvermarktung (DV) für ausgeförderte Anlagen. Dabei wird der Strom wie bei der schon länger bekannten sonstigen Direktvermarktung an einen Vermarkter verkauft und vergütet. Bislang war die große Hürde jedoch ein hoher technischer Aufwand (1/4-h-Messung und Anforderung der Fernsteuerbarkeit), die hohe Umbaukosten verursachen sowie die hohen Gebühren, die der Direktvermarkter vom PV-Betreiber verlangt. Sollte diese vereinfachte DV-Möglichkeit unverändert Gesetz werden, kann man gespannt sein, welche Angebote hier von Seiten der Direktvermarkter oder auch von Stadtwerken gemacht werden. Ein Anbieter hat mir gegenüber diese Woche angekündigt, dass sein Unternehmen wohl eine Vergütung über Marktwert bezahlen und eine Vermarktungsgebühr von unter 0,4 Cent/kWh berechnen möchte. Kann das damit ein lukratives Angebot werden?
Wir haben mal gerechnet: Wieder mit 5 kWp Photovoltaik, 4.500 kWh Jahresertrag, einer (erhöhten) Vergütung von 4 Cent/kWh und einer (reduzierten) Vermarktungsgebühr von 0,2 Cent/kWh. Das ergibt jährliche Einspeiseerlöse von 171 Euro. Laufende Kosten pro Jahr setzen wir wieder für Versicherung (75 Euro), Wartung/Kleinreparaturen (125 Euro) und Zählerkosten (20 Euro, ab 2025 nach EEG SmartMeter mit 80 Euro) an. Einmalig kommt dazu nur der Anlagencheck für 200 Euro, eine Umrüstung entfällt.
Doch schon das reine Addieren von jährlichen Kosten und Erlösen zeigt: die Kosten überwiegen, was sich auch in der folgenden Grafik niederschlägt: Der zehnjährige Weiterbetrieb resultiert in einen Minus von 1.118 Euro. Um wirtschaftlich zu werden, müsste ein deutlich höherer Preis angeboten werden, in diesem Beispiel wäre die Grenze zum Positiven erst bei einer Vergütungshöhe von 6,5 Ct./kWh erreicht.
Übrigens: Auch in den Änderungen von Referentenentwurf zu Kabinettsentwurf vom Mittwoch dieser Woche wurden keinerlei Verbesserungen im dargestellten Themenbereich vorgenommen. Die aktuellen Vorschläge sind also wirtschaftlich nicht umsetzbar, ein großflächiger Rückbau der funktionsfähigen Anlagen könnte das Resultat sein.
Und wir hatten je schon konkrete Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen: Wird zusätzlich zum Marktwert ein Umweltbonus für den wertvollen Strom angesetzt und auf EEG-Umlage und Smart-Meter-Einsatz z.B. bei Anlagen kleiner 7 kWp verzichtet, so stellt sich die Situation deutlich verbessert dar. Zumal vermutet werden kann, dass die Betreiber nicht auf den letzten Cent schauen werden. Aber der einzig wirtschaftlich Dumme im großen Spiel der Elektrizitätserzeugung möchten und dürfen sie eben auch nicht sein.
Weitere Informationen
- aktueller Kabinettsentwurf EEG-Novelle (Stand 23.9.2020): www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/G/gesetzentwurf-aenderung-erneuerbare-energien-gesetzes-und-weiterer-energierechtlicher-vorschriften.pdf?__blob=publicationFile&v=4
- Gutachten "Kosten und Leistungen beim Weiterbetrieb von Ü20-PV-Anlagen":
www.dgs.de/fileadmin/newsletter/2020/KTBL_Gutachten_SFV_DGS_GGSC.pdf - Berechnungstool pv@now: www.pv-now.de