24.09.2021
Eine Klimawahl die medial keine ist
Ein Kommentar von Tatiana Abarzúa
Peak-Oil ist vielen noch ein Begriff. In dieser Dekade werden aber wohl noch ganz andere Herausforderungen auf uns alle zukommen als die Abnahme der Förderrate von Rohöl. Und auch wenn der Kapitalismus-Peak möglicherweise bereits überschritten ist, steht uns der Klimakrisen-Peak sicher noch bevor.
Klimapolitik: Entscheidende zehn Jahre vor uns
Der aktuellste Bericht des Weltklimarats zeigt, dass die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad nur dann gehalten werden kann, wenn der Ausstoß an CO2 und anderen Treibhausgasen drastisch vermindert wird. Im März stieg der CO2-Anteil in der Atmosphäre auf 417,64 parts per million (ppm), die DGS-News berichteten. Wollten wir die heutigen Temperaturen beibehalten, müsste die CO₂-Konzentration auf 353 ppm sinken, wie die Helmholtz Klimainitiative auf ihrer FAQ-Seite hinweist. Das verbleibende CO2-Budget für die Zeit ab 2021, dass dem Anteil Deutschlands an der Weltbevölkerung entspricht, „ist das 10-fache von dem was wir momentan jährlich ausstoßen“, so die Erkenntnisse der Klimawissenschaft. Anders gesagt: das Budget reicht etwa noch eine Dekade.
In diesem Sommer führten extreme Niederschläge zu Überschwemmungen und vielen Opfern. Das machte uns bewusst, dass Starkniederschlag an jedem Ort in Deutschland auftreten kann. Wie der Deutsche Wetterdienst berichtet, zeigen neue Erkenntnisse der Zuordnungsforschung (Attributionsforschung), dass der Klimawandel die Eintrittswahrscheinlichkeit für ausgewählte Extremereignisse wie Hitzewellen erhöhte, und der anthropogene Klimawandel zumindest teilweise die Intensivierung von Starkniederschlägen verstärkte (die DGS News berichteten, siehe auch Leitartikel in diesen News). Es liegt auf der Hand, wir benötigen eine ökosoziale Transformation.
Aktuelle Umfragen
Die Umfrageergebnisse bis Redaktionsschluss dieser Newsletterausgabe zeigen bei den Gewinnen und Verlusten, dass SPD und Grüne im Vergleich zur letzten Wahl mehr Stimmengewinne haben. Die Frage, die erst bei den Sondierungsgesprächen beantwortet werden wird, ist ob sich trotz dem offenbaren Wählerwillen nach einem Wechsel Richtung Rot-Grün, eine der anderen debattierten Koalitionsmöglichkeiten zusammenfinden wird, also Union/SPD/Grüne, Union/SPD/FDP oder SPD/Grüne/FDP. Das Parteienbündnis, das ambitionierten Klimaschutz glaubwürdig als Programm hat, sind jedenfalls SPD/Die Linke/Grüne (Rot-Rot-Grün).
R2G: Viele Überschneidungen im Programm
Als Antwort auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts novellierte die derzeitige Bundesregierung das Klimaschutzgesetz und legte eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 65 Prozent bis 2030 fest sowie Klimaneutralität bis 2045. Also eine Dekade später als erforderlich.
Im ihrem Wahlprogramm halten die Groko-Parteien an diesen Klimazielen fest, was auch ein Indiz für die Annäherung der SPD an die Politik der Union ist, die sie ja zwölf Jahre im Kabinett Merkel mitgetragen hat. Die SPD befürwortet beispielsweise weiterhin den vereinbarten Kohleausstieg mit einer Kohleförderung bis 2038. Das Klimaschutzprogramm bleibt „im Nebulösem“, wie Cornelia und Volker Quaschning im Klima-Wahlprogramm-Check analysieren. Doch immerhin: Die SPD möchte dafür sorgen, dass der Strom spätestens bis zum Jahr 2040 vollständig aus Erneuerbaren Energien bezogen wird.
Wie die Klimaallianz in ihrer Analyse das prägnant zusammenfasst, entspricht die Aussage der Grünen („So kann Deutschland in 20 Jahren klimaneutral werden“) dem Zieljahr 2041, während die Partei die Linke eine sozial gerechten Klimawende hin zu Klimaneutralität bis 2035 fordert. Bei den geplanten Maßnahmen ähneln sich beide Parteien: Die Grünen und Die Linke möchten einen Ausbau der Photovoltaik von mindestens 10 Gigawatt pro Jahr bis 2025 und mit Blick auf die Verkehrswende: ab 2030 nur noch Neuzulassungen für emissionsfreie Autos. Die Linke fordert hier zusätzlich ein Exportverbot für Pkw mit Verbrenner.
Auch an den Positionen bei den Fragen des Wahlomats lässt sich die Überschneidung der politischen Ziele der drei Parteien gut erkennen. Etwa die Befürwortung der Förderung von Windenergie, und einer stärkeren Förderung ökologischer Landwirtschaft, der Versicherung aller Erwerbstätigen in der gesetzlichen Rentenversicherung, einer Steuer auf hohe Vermögen, eines generellen Tempolimits auf Autobahnen s keine Zulassung von neuen Autos mit Verbrennungsmotor. Es gibt auch teilweise Übereinstimmungen, etwa dass die Abrechnung über Fallpauschalen bei stationären Behandlungen im Krankenhaus beendet wird (Position von SPD und Die Linke).
Ein Wandel
Klug wäre es, diejenigen Volksvertretende ins Parlament zu wählen, die ambitionierten Klimaschutz glaubwürdig als Programm haben, und deshalb einem Bündnis links der Union das politische Mandat zu geben.
Ein Beispiel genügt, um zu zeigen was eine Politik des „weiter so“ bedeutet hat und bedeutet: Ein Gutachten der Forschungsinstitute BET und Ernst & Young kam Ende 2019 zu dem Ergebnis, dass bei einer gleichmäßigen Abschaltung der Kohlekraftwerke – so wie es die Kohlekommission empfohlen hatte – keine Braunkohle mehr unter den Dörfern Keyenberg, Kuckum, Berverat sowie Ober- und Unterwestrich abgebaut werden muss. „Eine Umsiedlung wäre dann auch nicht mehr nötig“, so die Gutachter. Wie reagierten die verantwortlichen Politiker? Sie hielten das Gutachten bis Ende 2020 unter Verschluss, obwohl „Merkel, Altmaier, Laschet“ damals eine 1:1-Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission und maximale Transparenz versprachen. Außerdem geht nun die Mehrzahl der Kohlekraftwerke erst ab 2030 vom Netz und mit Datteln IV ist sogar ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gegangen.
Wir haben am Sonntag eine Wahl.