24.07.2020
100% in Europa – Netzplanung mit Paris-Erfüllung
Ein Bericht von Jörg Sutter
Mit dem PAC-Projekt wurde ein europäisches Energieszenario erstellt, das eine Entwicklung zu 100% Erneuerbarer Energie bis 2040 enthält und damit die Paris-Ziele erfüllt. Doch wie kann solch ein Szenario bei der zukünftigen Netzplanung helfen? Dieser Text soll darauf Antworten geben.
Wie kommen wir zu einer Energieversorgung, die sich zu 100% aus Erneuerbaren Energien speist? Diese Frage wird vielfach diskutiert, insbesondere von Klimaschützern und Verbänden kommt die Forderung, endlich einen klaren Pfad für Deutschland aufzuzeigen, wie der Ausbau denn konkret erfolgen soll.
Aus der europäischen Perspektive haben sich zwei Bündnisse gemeinsam diese Frage gestellt und ein Szenario entwickelt, wie das gelingen kann. Die Organisation CAN (Climate Action Network) ist der größte europäische NGO-Zusammenschluss von 1.500 Organisationen. Aus Deutschland sind neben anderen mit dabei: Brot für die Welt, BUND, DNR, Deutsche Umwelthilfe sowie die Klima-Allianz Deutschland. Das zweite Bündnis ist das europäische Umweltbüro (eeb, European Environmental Bureau), das ebenfalls mit 150 Mitgliedsorganisationen in über 35 Ländern vertreten ist, aus Deutschland sind dort hauptsächlich Umweltverbände zu finden. Ren21 und die Renewables Grid Initiative sind auch beim PAC-Konsortium dabei.
Das PAC-Projekt
PAC steht für Paris Agreement Compatible energy scenario, also ein Szenario der Energiewelt, das das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad zur Grundlage hat. Konkrete Randwerte sind eine 65%-Klimagas-Reduzierung bis 2030 und die vollständig regenerative Energieversorgung bis zum Jahr 2040. Betrachtet wird dabei immer der Verbund der 27 heutigen EU-Staaten plus Großbritannien („EU-28“).
Anfang 2019 wurde mit dem Projekt begonnen, es wurden Workshops und Umfragen durchgeführt und vorliegende Studien analysiert. In Befragungen – nicht nur der Mitgliedsorganisationen, sondern z.B. auch der Industrie – wurden Trends analysiert und Entwicklungen diskutiert.
Das nun vorliegende Szenario soll nicht als statisches Ergebnis stehen bleiben, sondern sich als lebendiges Dokument („living document“) weiterentwickeln: Auch die Autoren räumen ein, dass längst noch nicht alle Fragen geklärt sind. Trotzdem werden die Ergebnisse an die europäischen Versorger-Netzwerke weitergeleitet und sollen damit helfen, die langfristigen europaweiten Netzplanungen von ENTSO-e (Strom) und ENTSOG (Gas) auf die Umstellung in der Energieerzeugung vorzubereiten. Alle zwei Jahre werden von beiden Netzwerken Aktualisierungen der 10-Jahres-Betrachtungen der Netzentwicklung vorgenommen. Diese Netzplanung stand bisher in der Kritik, die Paris-Ziele nicht als Grundlage zu berücksichtigen. Die Einbeziehung des PAC-Szenarios soll nun verhindern, dass die Netze plötzlich zum Flaschenhals der Umstellung auf ein erneuerbares Energiesystem werden. Dieser Zusammenhang dürfte auch der Grund sein, warum das PAC-Projekt eine finanzielle Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums erhält. Der Generalsekretär von ENTSO-e erläutert das so: „Der Netzplanungsprozess versucht, die zukünftige Netznutzung abzubilden. Verschiedene „Stackholder“ (externe oder interne Personengruppen, die ein wirtschaftliches, finanzielles oder ideelles Interesse haben) hier einzubeziehen, ist für uns sehr wichtig. Früher wurden die Projektionen von ENTSO-e auf Basis der staatlichen Energie- und Klimapläne erstellt, in diesem Jahr werden erstmals zwei weitere Projektionen angefertigt, die auch die Paris-Erfüllung abbilden“.
Diese Änderung bei ENTSO-e wird sicherlich auch Auswirkungen auf die deutsche Netzplanung haben; bereits im Sommer 2019 haben wir darauf hingewiesen, dass die nationale Netzplanung der Bundesnetzagentur die Paris-Ziele bislang nicht berücksichtigt.
In der vergangenen Woche hat ENTSO-e eine Roadmap veröffentlicht, mit der klar wird, dass zukünftig auch in einem weiteren Aspekt anders geplant wird: Statt statisch die einzelnen Sektoren zu betrachten, wird ein multi-sektoraler Ansatz entwickelt. Damit soll zukünftig die europäische Stromnetz- und Gasnetz-Planung, die bisher strikt getrennt voneinander verläuft, langfristig zusammengeführt werden. Es müssen ja zusätzlich zur bisherigen statischen Infrastruktur auch dynamische Anlagen (z.B. Power-To-Gas-Anlagen) in die Zukunftsplanung einfließen. Sektorenübergreifende Anlagen wie PtG-Anlagen werden zukünftig sowohl in die Gasnetz- als auch in die Stromnetzinfrastruktur wirken.
Eckpunkte der Betrachtung
Die wichtigsten Eckpunkte sind die üblichen Ansätze, aber in recht ambitionierter Ausgestaltung: Ein erhebliches Energieeinsparpotential wird gehoben (Energieverbrauch halbiert bis 2050 gegenüber 2015), eine Verdreifachung der erneuerbaren Stromerzeugung zwischen 2020 und 2030, vor allem bei PV (siehe Bild 2) und Wind. Der vermehrte Einsatz von Wärmepumpen und Elektroautos sowie die Elektrifizierung von Industrieprozessen steigert den Stromanteil. Dann ein Ausstieg aus den fossilen Techniken (Kohle nahezu vollständig bis 2030, Erdgas bis 2035, Öl bis 2040) und zuletzt der Einsatz von synthetischen Gasen und Treibstoffen aus erneuerbarem Wasserstoff hauptsächlich für Industrie und den Flugverkehr (siehe Bild 3).
Die Autoren betonen, dass mit einem derartigen Vorgehen die Klimaziele der EU deutlich angepasst werden können: Bis 2030 werden so nicht nur 40, sondern 65% Emissionsverminderung gegenüber 1990 erzielt, statt 32 % Energieeinsparung werden 45 % erreicht und das Ziel eines 32%-Anteils an erneuerbarer Energie bei der Endenergie kann auf 50% angehoben werden.
Fazit
Auch wenn eine konkrete Umsetzung derartig ambitionierter Ziele derzeit politisch nicht absehbar ist, ist es trotzdem ein wichtiger Baustein, ein solches Paris-kompatibles Modell bei der zukünftigen Netzplanung einfließen zu lassen. So wird vermieden, dass Gas- oder Stromnetze beim REG-Ausbau einen Flaschenhals darstellen. Man darf gespannt sein, in wieweit diese geänderten Planungsbetrachtungen auch zukünftig in die nationale Netzplanung (Strom und Gas) der Bundesnetzagentur eingehen.
Weitere Informationen zum PAC-Projekt und der Szenario-Entwicklung finden sich im Netz unter www.pac-scenarios.eu