24.05.2024
Die Bahn kommt leiser – aber nicht solar
Eine Geschichts-Geschichte von Heinz Wraneschitz
Offiziell ist die Bahn in Deutschland – zurzeit nennt sie sich DB AG – ein privates Unternehmen. Tatsächlich wurde die einstige Deutsche Bundesbahn zwar schon 1994 mit der einstigen Deutschen Reichsbahn zur Deutsche Bahn AG fusioniert, die seit 1999 als Holding hunderter Tochtergesellschaften fungiert.
Bis heute hat trotzdem die Bundesregierung alle Aktien der Bahn im Besitz. Und auch wenn ein Vorstandsvorsitzender über der Holding residiert: Wahrscheinlich haben tatsächlich die jeweils regierenden Bundesverkehrsminister das Sagen. Zwischen 2009 und 2021 waren dies ausschließlich Parteimitglieder der CSU: Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt, Christian Schmidt, Andreas Scheuer. Erst seit dem 8. Dezember 2021 amtiert Volker Wissing von der FDP im Ressort, das für „Digitales und Verkehr“ zuständig ist. Dass dieses DB-AG-Konstrukt nur bedingt auf Energiezukunft ausgerichtet ist, zeigt dieses Beispiel.
Der doppelte Scheuer
Andreas Scheuer, meist nur als Mautversprecherverschwender bekannt, tauchte nicht nur als Minister, sondern auch als Parlamentarischer Verkehrsstaatssekretär auf. So zum Beispiel am 16. Juli 2012 bei einem Doppeltermin in Nürnberg, wo er insgesamt 82 Modellprojekte erwähnte, mit deren Hilfe die Bahn Lärm reduzieren wollte. Vier davon wurden in Nürnberg realisiert; der Autor dieses Beitrags berichtete darüber unter anderem in der DGS-Sonnenenergie. Und zwar deshalb, weil bei drei dieser Modellprojekte Lärmschutzwände um PV-Module obendrauf zur Energieversorgung erweitert worden waren. Das Geld dafür – immerhin 1,2 Mio. Euro haben die drei Nürnberger Solarprojekte gekostet – stammte aus dem sogenannten „Konjunkturpaket II“ des Bundes aus dem Jahr 2009. Genau dasselbe galt für ein ähnliches PV-Lärmschutzprojekt in Duisburg. Sprich: nicht die Bahn hat investiert, sondern der Bund.
Ob die Bahn die Idee der Doppelnutzung von Lärmschutzwänden entlang von Bahnstrecken in der Zwischenzeit ernsthaft weiterverfolgt hat, ist nicht überliefert. Fakt aber ist: Selbst in einer 280-Seiten-Broschüre mit dem Titel „Lärmschutz im Schienenverkehr“, aus der der aktuelle Verkehrsminister Volker Wissing herausstrahlt, gibt es ein einziges Foto auf Seite 66, das eine „Schallschutzwand mit Photovoltaik“ zeigt; Quelle DB Netz. Ort: Nürnberg.
Politik trifft auf Bahn
Genau an dieser PV-bestückten Schutzwand trafen sich dieser Tage drei Bundestagsabgeordnete der Grünen mit Vertreter:innen mehrerer Bahn-Holding-Töchter: Markus Hurnaus (Leiter Anlagen- und Instandhaltungsmanagement Netz Nürnberg, DB InfraGO), Maximilian Renner (Bezirksleiter Instandhaltung Fahrbahn, DB InfraGO), Bernd Jahn (Leiter Technisches Büro, Energieversorgung Süd, DB Energie), Roland Zehnder (Energieversorgung Süd, DB Energie) sowie die für Nürnberg zuständige PR-Verantwortliche Stella Roth standen vor Ort Rede und Antwort. So wurde den MdBs Sascha Müller, Tessa Ganserer und Matthias Gastel wegen der deutlich sichtbaren Verschmutzung sowie über die Module wuchernder Blätter erläutert: Die 720 Meter lange PV-Anlage mit 80 kWp Leistung entlang der Gleise auf der Lärmschutzwand im Stadtteil Schweinau werde ein Mal pro Jahr professionell gereinigt, vor allem wegen des Bremsstaubs, der sich auf die Module lege. Das geschehe „händisch, aber inzwischen mit rotierenden Bürsten“. Ebenfalls jährlich ein werde „Pflegeschnitt“ durchgeführt, um den Raum sechs Meter zur nächsten Gleismitte von Gewächsen aller Art freizuhalten, was aber wegen der Büsche und Bäume auf privatem Grund schwierig sei. Für diese Arbeiten sei jeweils eine Gleissperrung nötig; die Planung dafür laufe etwa ein Vierteljahr vorher an.
Die Abgeordneten um Matthias Gastel aus dem Wahlkreis Nürtingen in Baden-Württemberg, der dem Verkehrsausschuss des Bundestags angehört, erfuhren auch: In den vergangenen gut 13 Jahren hat es kaum technische Probleme mit der Anlage gegeben. Der Strom wird vollständig ins Ortsnetz des örtlichen Betreibers N-Ergie einspeist. Die Bahn-Mitarbeitenden wussten aber nicht, ob es woanders Nachfolgeprojekte mit PV auf Lärmschutzwänden an Bahnstrecken gibt. „Denn es geht zuerst um Lärmsanierung“, hieß es am Bahndamm.
Anfrage bei der Bahn – und die Antwort
Deshalb hat der Autor bei der für Bayern zuständigen Pressestelle der DB AG folgende Nachfragen gestellt: „Gibt es zu den damaligen drei PV-Projekten in Nürnberg gemessene Ergebnisse – sowohl was Stromausbeute, Betriebsaufwand als auch Probleme betrifft? Falls ja: Bitte zusenden. Falls nein: Was wurde dann seitens der DB unter „Modellprojekt“ verstanden? - Wurden aus den eventuell gewonnenen Ergebnissen Schlüsse gezogen, welche sich auf mögliche weitere Lärmschutzprojekte mit PV-Modulen durch die Bahn übertragen ließen? Falls ja: Welche? - Welche weiteren PV-Lärmschutzprojekte hat die DB seit 2012 wo in Deutschland realisiert?“
Hier die Antworten darauf, kommentarlos und vollständig wiedergegeben: „Solarenergie gehört neben der Wasser‐ und Windenergie zu den erneuerbaren Energiequellen im Bahnstrommix der Deutschen Bahn und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Idee, auch Lärmschutzwände mittels PV‐Kollektoren für die Energiewende nutzbar zu machen, ist naheliegend und grundsätzlich möglich. Hierbei muss jedoch eine Vielzahl an Faktoren berücksichtigt werden. Bei der Integration von PV auf Lärmschutzwänden muss grundsätzlich zwischen bereits bestehenden Lärmschutzwänden und neuen Lärmschutzwänden unterschieden werden.
Bei neuen Lärmschutzwänden ist das Anbringen von PV‐Kollektoren technisch grundsätzlich möglich und könnte bei der Zulassung berücksichtigt werden. Die DB hat dies in zwei Pilotprojekten an den Standorten Duisburg‐Ruhrort und Nürnberg erprobt. Flächendeckend konnten sich diese Lärmschutzwandlösungen jedoch aufgrund von eisenbahnbetrieblichen, platztechnischen, statischen und wirtschaftlichen Gründen bisher nicht durchsetzen.
Für die bereits bestehenden Lärmschutzwand‐Systeme (Pfosten‐Elemente‐Bauweise) verschiedener Hersteller gilt aktuell, dass keine Zulassungen des EBA für aufgesetzte oder integrierte PV‐Kollektoren vorliegen. Ein nachträgliches Anbringen von PV‐Modulen an bereits zugelassenen LSW die nicht dafür ausgelegt sind PV Anlagen aufzunehmen, ist im Nachhinein nicht möglich.
Die DB beobachtet den Markt sowie die weitere technologische und energiewirtschaftliche Entwicklung."
Nahezu dieselben Formulierungen finden sich in einer Antwort des Bahnkonzerns auf eine Anfrage im Zusammenhang mit der Petition Nr. 103894, die der Deutsche Bundestag behandelt hat. Was wohl nichts anderes bedeutet als: „Ja, wenn der Bund ein Modellprojekt bezahlt, dann realisieren wir das auch. Aber das reicht dann auch schon.“ Doch genau jener Petitionsausschuss hat im Februar 2024 eine „Beschlussempfehlung an den Bundestag gegeben. Vorgesehen ist darin die Überweisung einer Petition mit der Forderung, „sämtliche Schallschutzwände der Deutschen Bahn AG (DB AG) mit Solarzellen zu bestücken, soweit es um die Entwicklung von wandintegrierten PV-Elementen für den Lärmschutz geht“. Mit Ausnahme der AfD-Mitglieder stimmte der Petitionsausschuss dem Vorschlag zu.
Im aktuellen Lärmschutzkonzept der Bahn bis zum Jahr 2030 ist von PV in Lärmschutzwänden jedoch bis heute nichts zu finden.