24.03.2023
Mein Treibhausgas, Dein Treibhausgas
Eine Analyse von Matthias Hüttmann
Es ist wieder mal soweit. Der Weltklimarat, genauer der „Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), zu deutsch „Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen“ hat einen brandaktuellen Synthesebericht veröffentlicht. Auch wenn der Sachstandsbericht, der 6. seiner Art, in Gänze noch nicht veröffentlicht ist, spiegelt der Synthesebericht vom 20. März sehr gut den aktuellen Stand der Klimasituation der Erde wider. Er ist leicht verständlich und auch deutlich weniger umfangreich als der eigentliche Report. Der Sachstandsbericht selbst besteht aus drei Teilen der jeweiligen Arbeitsgruppen. Es liegt bereits schon länger vor: Arbeitsgruppe I: Naturwissenschaftliche Grundlagen des Klimawandels (Stand August 2021), Arbeitsgruppe II: Folgen, Anpassung, Verwundbarkeit (Stand Februar 2022) und Arbeitsgruppe III: Minderung des Klimawandels (Stand April 2022). Besagten Synthesebericht, also die Hauptaussagen als Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung, gibt es auch in einer deutschen Fassung, wofür sich die „Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle“ verantwortlich zeigt. Es sollte folglich keine großen Hemmnisse geben, sich mit der Thematik zu beschäftigen.
In aller Kürze
In dem Synthesebericht steht nichts grundlegend Neues. Ganz nüchtern führt er uns vor: wir befinden uns weiter auf einer rasanten Fahrt in eine nicht lebenswerte Zukunft. Denn auch wenn es an Bekundungen bezüglich der notwendigen Transformationen nicht mangelt, machen es alleine die angekündigten national festgelegten Vorsätze schon wahrscheinlich, dass die globale Erwärmung im Laufe des 21. Jahrhunderts die 1,5 °C-Schwelle überschreiten wird. Jedoch gibt es dazu noch eine recht große Diskrepanz zwischen diesen Zielen und der Realität. Nur wenige Volkswirtschaften befinden sich auf dem selbst angestrebten, also vereinbarten Weg. Von einem gemeinsamen Handeln ist die Weltengemeinschaft folglich weit entfernt. Im Gegenteil, Bevölkerungsgruppen, die historisch am wenigsten zum aktuellen Klimawandel beigetragen haben, sind unverhältnismäßig stark betroffen. Der 6. Sachstandsbericht (AR6) ist somit leider nichts anderes als die Fortschreibung des vorherigen (AR5), denn für jedes künftige Erwärmungsniveau werden, Stand heute, viele der klimabedingten Risiken höher bewertet. Auch wird angenommen, dass die projizierten langfristigen Folgen vielfach höher als derzeit beobachtet sein werden.
Auf jeden Fall aber wird immer deutlicher: Die klimatischen und nicht-klimatischen Risiken werden sich immer mehr gegenseitig beeinflussen und zu sich gegenseitig verstärkenden und kaskadenartigen Risiken führen, die komplexer und schwieriger zu beherrschen sind, Stichwort Kipppunkte. Es ist also schon sehr spät für große Minderungs- und Anpassungsoptionen. Aber dass es bereits zu spät ist, so etwas wird sicherlich nie in einem Bericht des IPCC stehen, denn dann hätten die Ignoranten und Egoisten bereits gewonnen. Wie heißt es zurecht: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Noch ist es nicht zu spät für eine konzertierte Aktion, einem gemeinsam abgestimmten Handeln.
Die erste oder auch letzte Generation
Eine sehr eindrückliche Grafik (siehe oben) zeigt, über welche Zeiträume wir reden. Sie trägt die Überschrift: „Das Ausmaß, in dem heutige und künftige Generationen eine heißere und andere Welt erleben werden, hängt von den Entscheidungen ab, die jetzt und in naher Zukunft getroffen werden.“ Dort finden sich die globale Temperaturveränderung gegenüber dem Stand von 1850 bis 1900 und verschiedene Projektionen für die Zukunft. Diese Szenarien, welche klar machen, dass die künftigen Entwicklungen davon abhängen, wie wir jetzt mit dem Klimawandel umgehen, wurden auf sehr anschauliche Art und Weise dargestellt. So ist ganz leicht zu erkennen, wie die Zukunft für Menschen, die 2020 geboren wurden, aussehen wird. Es ist zu sehen, welche drastischen Veränderungen während ihres, angenommen 70 Jahre währenden Daseins eintreten können. Um einen anderweitig häufig benutzen Begriff zu verwenden: Wie diese letzte/erste Generation leben wird, das entscheiden wir, die wir heute leben. Alleine die globale Mitteltemperatur könnte sich im Laufe des Lebens dieser Menschen um 3°C und mehr erhöhen! Übrigens: Für Deutschland würde das noch einen wesentlich höheren Temperaturaufschlag bedeuten; auch das stellt das IPCC heraus.
Treibhausgasbilanzen ehrlich machen
Immer wieder ist zu lesen, dass der Anteil der CO2-Emissionen von Deutschland an den weltweiten CO2-Emissionen lediglich knapp zwei Prozent beträgt. China dagegen hat einem Anteil von rund 31 Prozent an den globalen Kohlenstoffdioxid-Emissionen, ist somit weltweit der größte CO2-Emittent. Das ist zwar bilanziell richtig, aber genau genommen auch eine Milchmädchenrechnung. Denn an der „Werkbank der Welt“ in China werden letztendlich die meisten unserer Produkte, die wir entwickeln und verkaufen, produziert. Würden wir uns mal die Mühe machen und eine Bilanz aufstellen, die zeigt, welche Mengen an Treibhausgasen durch uns verantwortet werden, dann sähe es nämlich ganz anders aus. Denn wir lassen viele der „Drecksarbeit“ von anderen erledigen, machen diese aber gleichzeitig dafür verantwortlich. Und überhaupt (siehe SONNENENERGIE-Kommentar in dieser News-Ausgabe) ist es schlichtweg verlogen und opportunistisch, die Verantwortung am eigenen Konsum zu leugnen. Ehrlicher wäre es zuzugeben, dass unser neues Auto zwar in China hergestellt, aber für uns ganz persönlich produziert wurde. Eigentlich also müssten wir die dabei entstehenden klimarelevanten Emissionen auch bei uns bilanzieren. Das Ziel der Bundesregierung, Deutschland bis 2045 treibhausneutral werden zu lassen, ist daher nur der halbe Weg!
Natürliche Intelligenz benötigt
Einer der großen Bremser politisch angestrebter Transformationen hierzulande ist bekanntlich Volker Wissing. Er ist einerseits ein bekennender Anhänger des Status Quo, andererseits ein Mensch, der in einer fernen Zukunft die Lösung vermutet. Dabei setzt er auch gerne auf Innovationen und künstliche Intelligenz (KI). Den bereits heute vorhandenen Werkzeugen dagegen vertraut er nur bedingt. Doch was, wenn es sich dabei womöglich um einen Denkfehler handelt? Vermuten wir in der künstlichen Intelligenz eine Art neues Bewusstsein, das uns helfen kann, unsere aktuellen Probleme zu lösen, würde dieses doch immer nur auf den uns heute bekannten Erkenntnissen fußen. Erwarten wir von KI also Lösungen, dann könnte das im wahrsten Sinn des Wortes bedeuten, dass wir unnötig viel Zeit mit „Warten“ verbringen. Es gibt im Übrigen eine sehr ausführliche Stellungnahme des Ethikrats zur strikten Begrenzung von KI. Sehr lesenswert, wenn auch äußerst umfangreich. Betrachten wir politische Visionen, wird schnell klar, dass es vor allem darum geht, all das zu bekämpfen, was das „Business as usual“ stört. Es wird sich lieber um um das Heute gekümmert als um die Zukunft. Im Heute jedoch geht es leider immer nur um kurzfristige Vorteile und Besitzstandswahrung.
Das Schweigen der Täter
Zum Schluss möchte ich noch auf einen lesenswerten Text von Benedikt Narodoslawsky verweisen, den der Autor des Magazins Falter aus Österreich am 13.08.2021, anlässlich des Beitrag der „Arbeitsgruppe I: Naturwissenschaftliche Grundlagen“ für den AR6 verfasst hat. Dort schreibt er süffisant: „Ich bin 37 Jahre alt. Seit ich ein sechsjähriger Bub war, wissen die Wissenschaft, die Politik, die Wirtschaft, die Medien, die Gesellschaft, dass es heißer wird, wenn wir Kohle, Öl und Gas verbrennen, dass die Dürren brutaler werden, die Extremwetter zunehmen, die Meeresspiegel steigen, dass sehr viele Menschen hungern, leiden, sterben, also all das Zeug, das mittlerweile ständig rund um uns herum passiert. … Fünf dicke IPCC-Berichte haben nichts bewirkt, die lauten Warnrufe der Wissenschaft verhallten eine ganze Generation lang. Wir ließen nicht nur 31 Jahre ungenutzt, sondern haben das Problem noch viel schneller viel größer gemacht als die WissenschaftlerInnen 1990 annahmen.“ Dann zählt er alle politischen Verantwortlichen in Österreich namentlich auf. Es ist eine wahrlich lange Liste.
Das ist einerseits konsequent, anderseits aber auch desillusionierend. Schließlich hatte Deutschland lange Jahre eigentlich die allerbesten Voraussetzungen: Eine Kanzlerin, die als promovierte Physikerin über alle relevanten Kenntnisse verfügte. Von ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung war jedoch kaum etwas in ihren politischen Entscheidungen zu erkennen. Die netteste Umschreibung ihres Nicht-Handelns ist wahrscheinlich der Begriff Pragmatismus. Strafrechtlich gibt es ja den Begriff der unterlassenen Hilfeleistung. Wie das in der Politik zu bewerten ist, kann sich jeder selbst überlegen: You don‘t know what you‘ve got, until you loose it!
Vergangene Berichte auf Deutsch
Sachstandsberichte (Assessment Reports)
- Erster Sachstandsbericht (First Assessment Report, FAR), 1990
- Zweiter Sachstandsbericht (Second Assessment Report, SAR), 1995
- Dritter Sachstandsbericht (Third Assessment Report, TAR), 2001
- Vierter Sachstandsbericht (Fourth Assessment Report, AR4), 2007
- Fünfter Sachstandsbericht (Fifth Assessment Report, AR5), 2013/2014
- Kurzfilm (OmU) der IPCC-Arbeitsgruppe I "Naturwissenschaftliche Grundlagen" des Fünften IPCC Sachstandsberichts: Climate Change 2013: The Physical Science Basis
Sonderberichte (Special Reports)
- Klimawandel 1994: Strahlungsantrieb des Klimawandels und eine Bewertung der IS92-Emissionsszenarien des IPCC (Climate Change 1994: Radiative Forcing of Climate Change and An Evaluation of the IPCC IS92 Emission Scenarios), 1994
- Die regionalen Auswirkungen des Klimawandels: Eine Einschätzung der Verwundbarkeit (The Regional Impacts of Climate Change: An Assessment of Vulnerability), 1997
- Luftfahrt und die globale Atmosphäre (Aviation and the Global Atmosphere), 1999
- Emissionsszenarien (Emissions Scenarios, SRES), 2000
- Methodologische und technologische Fragen des Technologietransfers (Methodological and Technological Issues in Technology Transfer), 2000
- Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (Land Use, Land-Use Change, and Forestry), 2000
- Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Dioxide Capture and Storage, SRCCS), 2005
- Schutz der Ozonschicht und des globalen Klimasystems (Safeguarding the Ozone Layer and the Global Climate System, SROC), 2005
- Erneuerbare Energien und Minderung (Renewable Energy Sources and Climate Change Mitigation, SRREN), 2011
- Management des Risikos von Extremereignissen und Katastrophen zur Förderung der Anpassung an den Klimawandel (Managing the Risks of Extreme Events and Disasters to Advance Climate Change Adaptation, SREX), 2012
Methodikberichte (Methodology Reports)
- IPCC-Richtlinien für nationale Treibhausgasinventare (IPCC Guidelines for National Greenhouse Gas Inventories), 1994
- Überarbeitete IPCC-Richtlinien für nationale Treibhausgasinventare von 1996 (Revised 1996 IPCC Guidelines for National Greenhouse Gas Inventories), 1996
- „Good Practice“-Anleitung und das Management von Unsicherheiten in nationalen Treibhausgasinventaren (Good Practice Guidance and Uncertainty Management in National Greenhouse Gas Inventories), 2000
- Definitionen und methodische Optionen zur Inventarisierung von Emissionen aus der direkten vom Menschen verursachten Degradierung von Wäldern und der Entvegetation anderer Vegetationstypen (Definitions and Methodological Options to Inventory Emissions from Direct Human-induced Degradation of Forests and Devegetation of Other Vegetation Types), 2003
- „Good Practice“-Anleitung für Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (Good Practice Guidance for Land Use, Land-Use Change and Forestry), 2003
- 2006 IPCC-Richtlinien für nationale Treibhausgasinventare (2006 IPCC Guidelines for National Greenhouse Gas Inventories), 2006
- 2013 Ergänzung zu den IPCC-Richtlinien für nationale Treibhausgasinventare von 2006: Feuchtgebiete (2013 Supplement to the 2006 IPCC Guidelines for National Greenhouse Gas Inventories: Wetlands), 2013
- 2013 Überarbeitete Zusatzmethoden und „Good Practice“-Anleitungen, die sich aus dem Kyoto-Protokoll ergeben (2013 Revised Supplementary Methods and Good Practice Guidance Arising from the Kyoto Protocol), 2013