24.03.2023
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 2
Eine Kritik von Götz Warnke
Wenn ein:e deutsche:r Politiker:in angesichts der Krise am Wärmemarkt nach den Optionen für ein künftiges Energiesystem gefragt wird – ein Thema, von der er/sie häufig noch nie eine Ahnung hatten – , dann lautet die Antwort meist „Wasserstoff“. Wer als uninformierte:r Politiker:in jetzt noch mehr erläutern muss, der redet dann gern von Wasserstoffwirtschafts-Visionen, künftig in Massen einsetzbaren E-Fuels (mit Strom und Wasserstoff hergestellte Kraftstoffe) und Technologieoffenheit.
Doch was ist dran an diesen Visionen, was sagen die Fakten? Im 1. Teil haben wir uns mit dem Energieproblem einer Wasserstoffwirtschaft in seinen vielfältigen und gravierenden Dimensionen beschäftigt. Doch damit sind leider die Probleme Deutschlands bei einer Umstellung von Fossil-Energien auf Wasserstoff noch lange nicht erschöpft.
Das Transport- und Import-Problem
Wie wir in Teil 1 gesehen haben, müssten für den Ersatz des heutigen Verbrauchs von fossilem Sprit im Verkehrssektor durch E-Fuels rund 230.000 Onshore-Windkraftanlagen errichtet werden. Das wird allein wegen benötigten Flächen nicht möglich sein, zumal manchen „besorgten Bürgern“ die bereits heute existierenden 28.500 Onshore-Anlagen viel zu viele sind. Dabei wären die 230.000 Anlagen bei weitem nicht einmal genug; schließlich soll Wasserstoff ja auch im Stromsektor (Kavernenspeicher) und im Wärmesektor (Heizungen, Industrie) eine Rolle spielen, wobei der Energiebedarf von letzterem etwa so groß ist wie der von Verkehr und Strom zusammen.
Was also tun? Wie wäre es mit Offshore-Windkraftanlagen? Weil es auf See nun mal mehr Wind gibt, und daher die Vollaststunden doppelt so hoch ausfallen – statt rund 2.000 Stunden/Jahr nun rund 4.000 Stunden/Jahr – , kann die Anzahl der Windkraftanlagen halbiert werden. Reicht das? Nach den mutigsten Berechnungen ist vor den deutschen Küsten Platz für rund 82 GW installierte Windkraft. Das entspricht etwa 16.000 Offshore-Windkraftanlagen der 5-MW-Klasse. Mehr und größere Anlagen ändern nichts, weil sie sich sonst gegenseitig den Wind wegnehmen würden. Und wenn das ganze Ausbaupotential der Onshore-Windkraft hinzukäme? Nach einer Studie des Fraunhofer IEE vom Mai 2022 im Auftrag des Bundesverbands Windenergie ließen sich auf 2% der Fläche Deutschlands Anlagen mit einer Leistung von 200 GW installieren, was etwa 40.000 Windrädern entspricht – zu wenig für eine All-H2-Welt. Zwar gibt es theoretisch noch mehr Flächen, aber nicht alle eignen sich für Windkraft.
Es dürfte also deutlich sein, dass selbst mit Unterstützung anderer Erneuerbarer Energien, wie z.B. Solarenergie und Wasserkraft, eine unabhängige Wasserstoffwirtschaft in Deutschland nicht möglich ist. Daran werden auch neue Verfahren wie H2 aus Biomasse, aus Algen (Flächenbedarf, Heizbedarf im Winter) und fotochemischen Zellen substantiell nichts ändern. Dann bleibt also nur, die Produktion in andere, besonders sonnige und windige Weltgegenden zu verlegen, und den dort erzeugten Wasserstoff nach Deutschland zu transportieren – ein Gedanke, der schon vor Jahren in Studien des Bundesverbandes der deutschen Industrie e.V. (BDI) und der Deutschen Energie-Agentur (DENA) favorisiert wurde.
Zwar werden heute eine Menge oft dünn besiedelter Staaten als potentielle Wasserstofflieferanten genannt, aber die künftigen Hauptlieferanten dürften Norwegen und Kanada (Wind- und Wasserkraft) sowie Spanien, Marokko, Algerien, Saudi-Arabien, Namibia, Chile und Argentinien (Sonne und Wind) sein. Dabei ist zwischen Schiffstransport und Pipelinetransport zu unterscheiden.
Der Schiffstransport
Die erste gute Idee, Transportschiffe mit Wasserstoff vollzupumpen, und H2 dann auch für den Schiffsantrieb zu verwenden, kann gleich wieder vergessen werden. In der bereits benannten Festschrift der Hamburger Wasserstoffgesellschaft findet sich auch ein Beitrag zum Schiffstransport*, in dem es heißt: „Während auch die dampfbetriebene LNG-Tankerflotte nur etwa 4,7% der transportierten Energie selbst verbrauchte, hätte eine mit Dampfanlagen ausgerüstete Flüssigwasserstoff-Tankerflotte 38% der transportierten Energie selbst verbraucht.“
Wasserstoff, der bei -253°C flüssig und bei -259°C fest wird, bleibt zudem ein schwierig zu handhabendes Molekül: da in den meisten der o.a. Länder nur Meerwasser hinreichend zur Verfügung steht, muss dieses erst einmal energieaufwändig entsalzt werden. H2 muss dann in einem mehrstufigen, höchst energieintensiven Kühlverfahren auf unter -253°C verflüssigt und in Spezialschiffe gepumpt werden, deren Tanks 10mal besser isoliert werden müssen als bei einem LNG-Schiff gleicher Größe. Dazu kommen die Energieverluste durch den unvermeidlichen Schlupf beim Be- und Enttanken, sowie die Ausgasungen (Boil-off-Gase) durch langsam ansteigende Temperaturen und Drücke in den Gastanks während des Transports. Dass Wasserstoff Metalle versprödet (brüchig macht), aus Sicht der Berufsfeuerwehren brandgefährlich ist, und dass weder die LNG-Schiffe noch die LNG-Terminals für H2 verwenden werden können, gehört auch zum Gesamtbild. Es gibt zwar Verfahren, Wasserstoff mit Trägerflüssigkeiten (LOHCs/liquid organic hydrogen carriers) zu transportieren, aber die Ver- und Entkoppelung des Wasserstoffs damit ist höchst energieaufwändig, weshalb hier noch einiges an Forschung nötig ist. Ob LOHCs jemals in ausreichender Menge und zu akzeptablen Preisen für eine weltweite Wasserstoffwirtschaft zur Verfügung stehen werden, bleibt mehr als fraglich.
Was tun? Eine Option ist, den erzeugten Wasserstoff in einem weiteren Verfahrensschritt mit aus der Luft gefiltertem Kohlenstoffdioxid (CO2) zu Methan (CH4) umzuwandeln, um das dann auf -163°C zu verflüssigen und per LNG-Tankschiff nach Deutschland zu transportieren. Das verschlingt zwar auch extrem viel Energie (Filterung, Umwandlung, Verflüssigung, Transport plus Schlupf und Boil-off), aber Spezialschiffe und -Infrastrukturen müssen nicht neu konstruiert bzw. gebaut werden. Doch dies verstellt leicht den Blick auf die Probleme: auch grünes Methan ist beim Entweichen ein zerstörerisches Klimagas sowie eine Brandgefahr für Wasserstraßen und ihr Umland. Schließlich: schon für den Transport der noch fehlenden russischen Gasmengen – ein Teil wurde ja per Pipeline aus Holland und Norwegen ersetzt – rechnet die Schifffahrtsbranche mit LNG-Tanker-Neubauten im Wert von 35 Milliarden US-Dollar – eine LNG-Flotte für eine Wasserstoffwirtschaft wäre um ein zigfaches teurer.
Bleiben die flüssigen Wasserstoffspeichermedien wie Methanol (CH4O) und Ammoniak (NH3). Durch ihre Siedepunkte von + 65°C bzw. - 33°C sind sie in speziellen Tanks und Druckbehältern – Ammoniaktanks mit 20.000 t sind nicht unüblich – wesentlich leichter zu handhaben. Auch werden beide Stoffe in größerem Umfang bereits transportiert und in der (Chemie-) Industrie verwendet. Doch andererseits sind beide Stoffe toxisch sowie explosiv, und haben eine problematische GHS-Gefahrstoffkennzeichnung; bei durch die Wasserstoffwirtschaft wesentlich erhöhten Tankerverkehren steigt die Unfallgefahr. Auch bei Methanol und Ammoniak müssen für eine wirklich grüne Produktion das CO2 bzw. der Stickstoff (N) erst energieaufwändig aus der Luft gefiltert werden, um es dann noch energieaufwändiger mit dem elektrolysierten Wasserstoff zu verbinden. Sollen die Stoffe anschließend nicht chemisch genutzt werden, sondern nur den Wasserstoff, sind weitere Cracking-Prozesse mit hohen Temperaturen notwendig, so dass die gesamte Kette energetisch völlig ineffizient wird (siehe Teil 1).
Der Pipelinetransport
Wasserstoff soll auch in Pipelines transportiert werden; andernfalls könnte er aus den Anlandehäfen nicht in die Fläche verteilt werden. Doch auch hier macht das kleinste, flüchtige Molekül Schwierigkeiten: es diffundiert/entweicht durch Leitungen oder Tanks und versprödet dabei die Metalle. Das zu verhindern, ist technisch aufwändig. Daher gab es bisher immer Grenzwerte von 10 bis 20% für die Beimischung von H2 zum Erdgasnetz. Doch in einer Wasserstoffwirtschaft sollte ein Netz auch 100% Wasserstoff transportieren können.
Mitte März informierte der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) die Bundesregierung mit Bezug auf seine Studie und unter dem Jubel von FAZ und Welt, dass über 30 der im deutschen Gasnetz meist verbauten Stähle wasserstoffstabil seien, und dass die Restnutzungsdauer dieser jetzt schon verbauten Rohrleitungen für künftig reinen Wasserstoffbetrieb bei circa 100 Jahren liege. Ohne die Studienergebnisse grundsätzlich infrage stellen zu wollen, bleibt doch festzuhalten, dass der DVGW u.a. auch ein Lobbyverein ist, und dass Vorhersagen für 100 Jahre den Vorteil haben, dass die Urheber eines Studie meist schon nach 50 Jahren nicht mehr in Regress genommen werden können. Unabhängig von der Versprödungsfrage ist nicht geklärt, wie viel energieintensiv erzeugter Wasserstoff künftig durch die Leitungen entweichen wird.
Zum Abschluss bleibt angesichts der gewaltigen Energietransportmengen noch ein grundsätzliches Problem: Ist eigentlich die ganze Welt nur dazu da, uns Energie zu liefern, weil wir uns von unserem verschwenderischen Lebensstil nicht lösen können? Oder sollten die anderen Staaten nicht auch sich selbst dekarbonisieren? Wollen wir in all’ unserer Wohlstandsbequemlichkeit nicht wahrnehmen, dass aus Energieabhängigkeiten auch politische Abhängigkeiten resultieren, und dass diese gefährlich werden können, wie sich gerade hinsichtlich der Gasabhängigkeit vor Russland gezeigt hat? Und erwartet jemand ernsthaft, dass das künftig in einer von Klimakrise, Überbevölkerung und Mangel gepeinigten Welt immer so weiter geht – oder wie ich vor einigen Jahren schrieb: „Ob in einer so angespannten globalen Situation wie 2050 sich noch synthetische Energieträger im Umfang von rund 700 TWh importieren lassen, wie es die dena-Studie annimmt, darf durchaus bezweifelt werden.“
Nächste Woche lesen Sie in „Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 3“ u.a. über Probleme bei Verbrauchern, Umwelt, Geld
* Würsig, Gerd-Michael: Wasserstoff als Option für maritime Anwendungen, in:
Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie für eine nachhaltige Zukunft
Kompendium zum 25-jährigen Jubiläum der Wasserstoff-Gesellschaft Hamburg e.V.
Herausgeben von der Wasserstoff-Gesellschaft Hamburg
Hydrogeit Verlag, Oberkrämer 2014, S. 161
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 1
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 2
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 3
Der große Wasserstoff-Schwindel, Teil 4