24.01.2020
Eine Woche der verpassten Chancen
Die Bundesregierung ist ob der Beschlüsse von Bund und Ländern zum Kohleausstieg scheinbar in die Defensive geraten. Vordergründig stellt sich dies als Kritik an der Aufgabe der Empfehlungen der Kohlekommission (Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, KWSB) von 2019 dar. Angeführt von Professor Barbara Praetorius, der ehemaligen Co-Vorsitzenden der Kohlekommission, wurde die Kritik, die damaligen Empfehlungen nicht wie versprochen eins zu eins übernommen zu haben, im Detail aufgelistet und kritisiert. Danach sei der Kohleausstiegpfad, also das gleichmäßige Abschalten alter Kohlemeiler, verlassen worden. Das neue Steinkohlekraftwerk Datteln 4 gehe doch ans Netz und das Abschalten alter Kraftwerke werde deren Betreibern mit 4,35 Mrd. Euro vergoldet. Auch wenn die Zerstörung des Hambacher Waldes nicht fortgesetzt werden solle, sei dies nur eine "Insellösung", da die umliegenden Ortschaften des Abbaugebietes planmäßig den Braunkohlebagger weichen sollen. Eine Hauptkritik besteht darin, dass Festlegungen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien fehlen, so z.B. wann der 52 GW-Deckel bei der PV falle. Dies bleibe nach wie vor ungeregelt. Dazu die Frage, was mit den PV-Altanlagen, den sogenannten Ü20, geschehen solle.
Die nun über eine Woche laufende Debatte war geprägt von einer recht breiten moralischen Empörung, vor allem über den Frontmann Peter Altmaier. Ihm wurde Lüge und Vertrauensbruch vorgeworfen. Differenziert äußert sie sich dagegen Hans-Josef Fell. Er argumentierte, dass dieser Fahrplan der Bundesregierung quer zu den Beschlüssen der Pariser Klimakonferenz von 2015 liege. „Damit zementieren Bundesregierung und die beteiligten Länder in unverantwortlicher Weise noch 18 Jahre lang hohe Treibhausgasemissionen“. So laut die Kritik auch ist – zwischenzeitlich hatte sogar der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) sich distanziert zum Altmaier‘schen Kurs geäußert – blieb ein Thema völlig außen vor. Der Fuel Switch, also der Umstieg von der Kohleverstromung auf Erdgas. Tatsächlich hätte die Diskussion eben nicht unter dem Stichwort Kohleausstieg sondern Fuel Switch laufen müssen. Erstaunlich ist, dass zwar die Pläne zum Kohleausstieg intensiv diskutiert werden, aber das was als Nachfolgelösung längst in die Tat umsetzt wird, geht in der Debatte völlig unter. In den DGS-News hatten wir in den vergangenen Monaten regelmäßig die Klimaschädlichkeit von Erdgas thematisiert. Unsere Feststellung war, dass hier der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werde. Vom „sauberen“ Erdgas, sowohl in großen Kraftwerken wie auch in kleinen Brennwertkessel, das weniger CO2-Emissionen erzeuge, hatten wir die Erkenntnisse der Wissenschaft über die Vorkettenemissionen in Form des noch klimaschädlicheren Methans entgegengestellt.
Dieses Wissen um die zerstörerische Wirkung des Erdgaseinsatzes ist bei vielen Menschen, auch bei Solarfreunden und Klimaschützern durchaus angekommen. Selbst wenn die Fraktion derer, die im Erdgas eine „Brückentechnologie“ sehen, noch präsent und einflussreich ist, hätte man erwarten können, dass die Gaspräferenz der Bundesregierung und auch die darauf aufbauende Wasserstoff-Strategie Altmaiers in der Debatte eine Rolle spielten. Dem ist nicht so, muss man sachlich feststellen. Der Bundesregierung und den mit ihr verbündeten Kräften ist es gelungen, den Diskurs über eine zukünftige Energiepolitik auf das Thema Kohleausstieg zu reduzieren. Das ist nicht gut. So gesehen kann man mit Fug und Recht vermuten, dass Peter Altmaier, der in den TV-Interviews der vergangenen Tage einen gelassenen Eindruck machte, nicht unzufrieden sein dürfte. Der Zukunftsfahrplan der Bundesregierung geht im Getümmel der moralischen Empörung über den „Betrug an der Kohlekommission“ unter. Das ist für Strategen einer fossilen Energie- und Industriepolitik alles andere als eine Niederlage.
So sehr die vordergründige Erscheinung – Altmaiers Defensive und Rechtfertigungsdruck – manch Solarfreund und Klimaschützer wie eine Offenbarung erschienen sein mag, den Kern der Roadmap der Bundesregierung hat die Debatte nicht offengelegt. Weder Altmaier noch die GroKo sind in der Energiepolitik in der Defensive. Sie ziehen ihren Fahrplan der Umstellung auf Erdgas durch – die Integration der Nord Stream 2 Pipeline läuft an Land auf vollen Touren. Auch der Bau neuer Gaskraftwerke ist in vollem Gange. Vor allem die Errichtung neuer Gasmotorenkraftwerke, welche das Herzstück für die großstädtischen Fernwärmenetze darstellen, aber auch der Bau von Blockheizkraftwerken für kleine Nahwärmenetze jenseits der Metropolen, wird zum Verdrängungswettbewerb gegen die Sonnenenergie und den Wind. Dazu passt es auch, dass Altmaier seine Strangulierung der Windenergie nicht beenden will, ebenso wie das Ausweichen, wenn es um die Abschaffung des 52-GW-Deckel bei der PV geht.
Trotz medialem Getöse ist die Energiewende- und Klimaschutzbewegung nicht aus der Defensive gekommen. Im Gegenteil es ist als Niederlage zu werten, dass sie sich mit dem Narrativ Kohleausstieg auf den Leim hat locken lassen, auf dem sie nun ordentlich festsitzt. Sie hat es nicht verstanden, die einzig wirkliche Alternative in Form der Erneuerbaren Energien zum Gegenstand einer gesellschaftlichen Diskussion zu machen und die Befreiung von Wind- und Solarenergie von dem Netz der bürokratischen Hemmnisse zur populären Forderung zu machen. Das gilt für die 1.000-Meter-Abstandsregelung beim Wind, vor allem aber auch bei der über Übername der EE-Richtlinie der EU, nach der alle Abgaben für PV-Anlagen eigentlich beseitigt werden müssten. Zu dieser Schwäche gehört auch die Unklarheit über ein zukünftiges EEG und natürlich, was mit den Ü20-Anlagen bei der PV, die nun im Jahr 2021 ansteht geschehen soll. Es waren halt mal wieder die falschen Schwerpunkte.
Klaus Oberzig
Keine Stellungnahme der DGS für Altmaier
Am Mittwoch um 19:15 Uhr erhielt die DGS die Anfrage des Bundeswirtschaftsministeriums nach einer Verbändestellungnahme zum aktuellen Referentenentwurf des Kohleausstiegsgesetzes. Wie andere Verbände darf die DGS hier den Gesetzentwurf prüfen sowie Anregungen und Kritik übermitteln. Für den am Mittwochabend zugestellten Referentenentwurf mit einem Gesamtumfang von 195 Seiten sah das Bundeswirtschaftsministerium eine Frist bis Donnertag Abend, 18 Uhr als angemessen für die Ausarbeitung einer Verbändestellungnahme an.
„Mehr als verwundert nehmen wir zur Kenntnis, dass das Bundeswirtschaftsministerium seit Verabschiedung des Endberichtes der WSB-Kommission nunmehr fast ein Jahr für die Erstellung dieses Entwurfes gebraucht hat. Nun sollen wir innerhalb von weniger als 24 Stunden eine fundierte Stellungnahme abgeben – das ist unmöglich“, so Jörg Sutter, Vizepräsident der DGS. „Aus unserer Sicht wird die Verbändeanhörung damit zur Farce und das Verfahren der Beteiligung mit Füßen getreten.“