24.01.2020
Du bist was Du sprichst
Unwörter sind schlechte, falsch gebildete, unschöne, schlimme oder auch unangebrachte Wörter, soweit der Duden. In Deutschland wird von der Gesellschaft für Deutsche Sprache jährlich solch ein unschönes deutsches Wort ausgesucht und zum Unwort des Jahres gekürt. Damit werden Wörter und Formulierungen aus der öffentlichen Sprache bezeichnet, die „sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen." Das Unwort wird von der Jury der „Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres“ an der Universität Frankfurt am Main bestimmt, schon seit 1991.
Das aktuelle Unwort des Jahres lautet „Klimahysterie“. Das mit einem solchen Narrativ bewusst Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert werden sollen, hat auch die Jury explizit in die Begründung hineingeschrieben. Ausdrücklich wird angeführt, dass der Ausdruck in Politik, Wirtschaft und Medien, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis hin zu AfD-Politikern, verwendet wird. Der Begriff sei vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel irreführend und stütze in unverantwortlicher Weise wissenschaftsfeindliche Tendenzen.
Ein besonders bedenkliches Zeichen ist jedoch, dass die Wahl gleich wieder von Mandatsträgern wie dem bayerischen Wirtschaftsminister Aiwanger angegriffen wird. In einem verstörenden Auftritt vor Pressevertretern warf er der Jury vor, politisch anmaßend zu sein, schließlich werde von Teilen der Klimabewegung sehr wohl Hysterie verbreitet. Als wäre das nicht genug, diffamierte er die Klimabewegung selbst aufs Schärfste, so gäbe es dort vernünftige Leute, aber eben auch einen „fast bewaffneten Arm“, der im Namen der Klimabewegung gar Autohäuser anzündet. Aiwanger sieht einen fließenden Übergang von Protest zu Gewalt und wehrte sich dagegen, das Wort Klimahysterie nicht mehr in den Mund nehmen zu sollen. Damit reiht er sich in die Allianz der Kritiker aus den Reihen der FDP und AfD ein. Während der bayerische FDP-Fraktionschef Martin Hagen betonte in Debatten nicht hysterisch zu diskutieren, sondern mit Vernunft heranzugehen ist Klimahysterie für den AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Winhart nicht das Unwort, sondern das Wort des Jahres.
Die Gesellschaft lässt sich nach rechts schieben
Unabhängig von dieser unsäglichen Diskussion, die sich gerne fernab der Fakten auf Wortklaubereien und Angriffen auf Persönlichkeiten fokussiert, ist etwas anderes viel erschreckender. Die Themen, mit denen wir uns, nicht nur hier in Deutschland, beschäftigen, haben längst eine Richtung erhalten, die zum Ängstigen Anlass geben. Am Ende des Artikels haben wir einmal alle Unwörter der Jahre umgekehrt chronologisch aufgeführt. Dabei sieht man recht schnell eine Verschiebung vom Selbstreflektierten zum Fremdbestimmten. Dass es innerhalb der Bevölkerung seit langem keine Umverteilung nach unten gibt, es zu einer immer ausgeprägteren sozialen Schieflage kommt, ist unbestritten. In dem Zusammenhang sollte man auch aufpassen, den diffamierenden Begriff der sozial schwachen Familien nicht zu benutzen. Schließlich sind diese nicht sozial, sondern lediglich finanziell schwach. Aber zurück zu den Tendenzen: Betrachtet man die Unwörter des Jahres sieht man, dass eine Umwälzung einer systemischen Kritik auf eine Schuldzuweisung Dritter stattfindet. Bedenkt man, dass diese Zunahme an fremdenfeindlichen Narrativen oftmals von denen ins Spiel gebracht wird, welche für den fehlenden sozialen Ausgleich maßgeblich mit verantwortlich sind, dann ist das keineswegs verwunderlich. Der Reflex von den eigenen Problemen abzulenken, in dem man jemanden anderen dafür an den Pranger stellt, ist nicht neu. Die Frage ist jedoch, wohin eine solche Manipulation der Sichtweisen führen soll. Lösungsorientiert ist das sicherlich nicht, um es freundlich zu formulieren. Das ist Spaltung.
Beispiele der Verschiebung
Wenn man alle Unwörter ansieht - in den meisten Jahren wurde ein Wort gewählt und weitere nominiert (unten in Klammer angegeben), ist zu erkennen, dass faschistisch-rechtes Vokabular zwar immer präsent war, inzwischen die Häufung jedoch eine starke Tendenz erkennen lässt. Im Gegensatz zu früher verschwinden Stück für Stück die Wörter, welche die ökonomischen Probleme und die Ungerechtigkeiten aus Arbeitsleben und Altersversorge beschreiben. Sprach man in den 90er noch über Personalentsorgung, sozialverträgliches Frühableben, Belegschaftsaltlasten, Humankapital, Rentnerschwemme, Flexibilisierung, Outsourcing, Umbau des Sozialstaates, Sozialhygiene, Diätenanpassung, sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau, Besserverdienende, Freisetzungen, Kollektiver Freizeitpark oder die schlanke Produktion, sieht das in den 2010er Jahren anders aus. Hier dominieren Begriffe wie Umvolkung, Ethikmauer, Anti-Abschiebe-Industrie, Menschenrechtsfundamentalismus, Volksverräter, Verschwulung, Lügenpresse, Döner-Morde oder Integrationsverweigerer. In den Nullerjahren hatte sich das langsam angedeutet, Begriffe wie Entartet, Bombenholocaust, Tätervolk oder eine national befreite Zone schlichen sich mehr und mehr ein.
Ängste schüren
Bezüglich der größten Herausforderung der Menschheitsgeschichte, der Bewältigung der Klimakatastrophe, wird aber auch deutlich: Verharmlosung ist nach wie vor das Mittel zum Zweck. Es gibt zahlreiche Begriffe, die uns in die Köpfe platziert werden und gemäß der Strategie des Framings unser Denken beeinflussen sollen. So gibt es die bösen Klimaradikalen, die Klimareligion, Klimafanatiker, Klimafetischisten oder auch Klimapopulisten. Ihnen stehen die Klimarealisten entgegen, die eine sachliche Betrachtung suggerieren sollen und uns als besorgte Klimaschutzbürger von unseren Ängsten befreien wollen. Unter dem Vorwand, die Sorgen der Mitmenschen ernst zu nehmen, wurde schon viel Schindluder betrieben. Damit kennen sich besonders diejenigen gut aus, welchen es genau darum nicht geht: also diejenigen professionellen Wortgestalter und Ideologen aus den politischen Giftküchen der Denkfabriken und in gewissen Reaktionen. Das sollten wir immer im Hinterkopf haben, wenn wieder eine kleine Gruppe von Aktivisten bei der Politik Gehör findet, große soziale und ökologische Bewegungen aber außen vor bleiben. Es ist immer wieder wichtig, auf die eigene und die Wortwahl anderer zu achten, speziell wenn sie mit der entlarvenden Floskel „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ verpackt wird.
Matthias Hüttmann
Umgekehrt chronologische Reihe der Unwörter des Jahres
2019: Klimahysterie (Umvolkung, Ethikmauer)
2018: Anti-Abschiebe-Industrie (Menschenrechtsfundamentalismus, Ankerzentrum)
2017: Alternative Fakten (Shuttle-Service, Genderwahn)
2016: Volksverräter
2015: Gutmensch (Hausaufgaben, Verschwulung)
2014: Lügenpresse (Erweiterte Verhörmethode, Russland-Versteher)
2013: Sozialtourismus
2012: Opfer-Abo (Pleite-Griechen, Lebensleistungsrente)
2011: Döner-Morde (Gutmensch, Marktkonforme Demokratie)
2010: Alternativlos (Integrationsverweigerer, Geschwätz des Augenblicks)
2009: Betriebsratsverseucht (Flüchtlingsbekämpfung, Intelligente Wirksysteme)
2008: Notleidende Banken (Rentnerdemokratie, Karlsruhe-Touristen)
2007: Herdprämie (Klimaneutral, Entartet)
2006: Freiwillige Ausreise (Konsumopfer, Neiddebatte)
2005: Entlassungsproduktivität (Ehrenmord, Bombenholocaust, Langlebigkeitsrisiko)
2004: Humankapital (Begrüßungszentren, Luftverschmutzungsrechte)
2003: Tätervolk (Angebotsoptimierung, Abweichler)
2002: Ich-AG (Ausreisezentrum, Zellhaufen)
2001: Gotteskrieger (Kreuzzug, Topterroristen, Therapeutisches Klonen, Gewinnwarnung)
2000: National befreite Zone (Überkapazitäre Mitarbeiter, Separatorenfleisch, Dreck weg!)
1999: Kollateralschaden
1998: Sozialverträgliches Frühableben (Belegschaftsaltlasten, Humankapital, Moralkeule)
1997: Wohlstandsmüll (Organspende, Blockadepolitik/ -politiker, Neue Beelterung)
1996: Rentnerschwemme (Flexibilisierung, Outsourcing, Umbau des Sozialstaates,
Gesundheitsreform, Sozialhygiene)
1995: Diätenanpassung (Altenplage, Biologischer Abbau, Sozialverträglicher Stellen-/ Arbeitsplatzabbau, Abfackeln)
1994: Peanuts (Besserverdienende, Dunkeldeutschland, Buschzulage, Freisetzungen)
1993: Überfremdung (Kollektiver Freizeitpark, Sozialleichen, Schlanke Produktion, Selektionsrest)
1992: Ethnische Säuberung (Weiche Ziele, Auf-/ abklatschen, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Beileidstourismus)
1991: Ausländerfrei (Durchrasste Gesellschaft, Intelligente Waffensysteme, Personalentsorgung, Warteschleife)