23.10.2020
Solarenergie ist systemrelevant
Ein Bericht von Götz Warnke
Auch wenn das Wort "systemrelevant" meist nicht fällt, so definiert doch jede Organisation für sich diejenigen Bereiche, die für sie und ihr Fortbestehen unverzichtbar sind. Bei Konzernen sind es die Profit-Center, d.h. die Bereiche, wo das meiste Geld verdient wird. Bei einem Hockey-Verein ist es die Hockey-Abteilung, auch wenn es vielleicht daneben noch eine Kricket-Abteilung für ältere Mitglieder gibt. Und so hat auch die Bundesrepublik Deutschland in der "Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (BSI-Kritisverordnung - BSI-KritisV)" die Bereiche definiert, die für die Weiterexistenz unseres Staates wesentlich sind: die Auswahl der hier erwähnten Sektoren (Energie, Wasser, Ernährung, IT, Gesundheit etc.) ist sicherlich evident, denn dass ein Staat z.B. ohne Opern- und Ballett-Aufführungen überleben kann, zeigt ja gerade die Corona-Krise. Mit der Systemrelevanz sind eine Vielzahl an Rechten und Pflichten verbunden, u.a. auch erleichterte Hinzuverdienstmöglichkeiten.
Im Energie-Sektor der BSI-Kritisverordnung werden die Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität, Gas, Kraftstoff und Heizöl sowie Fernwärme als entscheidend für das Funktionieren des Gemeinwesens definiert. Zu dieser notwendigen Versorgung gehören, je nach Energieträger, Erzeugung/Förderung/Herstellung, Transport/Übertragung und Verteilung. So weit, so gut. Das Problem beginnt mit dem Verweis auf "Schwellenwerte", hinter denen sich Leistungsgrößen verbergen. Diese schränken die systemrelevanten Anlagen größenmäßig ein: beim Strom auf eine installierte Netto-Nennleistung von 420 MW, bei der Fernwärme auf eine ausgeleitete Wärmeenergiemenge von 2.300 GWh/Jahr. Das sind die Leistungen von Großkraftwerken, die Regionen von ca. 500.000 Einwohnern versorgen; weltweit gibt es keine 10 PV-Anlagen, die eine Größe von 420 MW erreichen, und die liegen alle außerhalb Europas.
Die unter der Merkel-Regierung 2016 verfertigte BSI-KritisV macht deutlich, dass die hiesigen Regierenden geistig noch gar nicht in der dezentralen Energiewelt angekommen sind. Hier mögen die einzelnen Anlagen zwar klein sein, aber zusammen - und zwar schon auf regionaler oder Bundesland-Ebene - können sie durchaus mit großen und noch größeren Kraftwerken mithalten. Dazu sind sie auf Grund ihrer Vielzahl und Dezentralität relativ ausfallsicher. So ein lang anhaltender Blackout wie 2005 im Münsterland kann mit der Ausweitung der dezentralen Erneuerbaren gar nicht passieren. Zudem: wer kann garantieren, dass uns in der nächsten Pandemie, beim nächsten Golfkrieg oder der nächsten Hurrikan-Allee in der Karibik russisches Gas, kuwaitisches Erdöl oder kolumbianische Kohle noch zuverlässig erreichen? Sonne und Wind erreichen uns hingegen immer. Deshalb muss es gerade in Krisenzeiten auch bei kleinen Anlagen Sonderfahrerlaubnisse für Anlagenbauer und Produktionskapazitäten für Ersatzteile geben. Nur den Status Quo zu erhalten, reicht hier nicht, wie auch der VdZ e.V. moniert. Im Übrigen kann es mit Blick auf die betroffenen Menschen nicht sein, dass selbst größere Solarthermie-Freiflächenanlagen, die durchaus ganze Regionen versorgen können oder auch Biogas-BHKWs, die ein Krankenhaus versorgen, im Sinne dieses alt-fossilen Gigantomanismus für nicht systemrelevant erklärt werden.
Doch es ist nicht nur die mangelnde Systemrelevanz, die der Solarenergie das Existieren und Wachsen schwer macht. Darüber hinaus hat die deutsche Politik eine Vielzahl von Hürden und Hemmnissen für Solaranlagen installiert - "fast so dicht wie ein Stachdeldrahtverhau im 1. Weltkrieg", könnte man sagen. Für die Photovoltaik haben die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sowie die DGS-Berlin mal dieses Konglomerat an Hindernissen in zwei Papieren aufgelistet. Ähnliche Häufungen von Hemmnissen gibt es auch bei der Solarthermie: z.B. von den verschwenderisch hohen Temperaturen in den fossilen Fernwärmenetzen, über die Einspruchsrechte selbsternannter "Landschafts-Ästheten" gegen ST-Freiflächenanlagen, über die nicht-privilegierte Nutzung im Außenbereich von Städten und Gemeinden auf Landwirtschaftsflächen, bis zu den angeblich fehlenden Flächen in Städten. Und dies alles in Zeiten, in denen die Politik tatenlos von Klimarettung und "grünem" Wasserstoff schwätzt.
Die Solarverbände und Solarwirtschaft sollten den Mut finden, die Solarenergie für systemrelevant zu erklären und eine entsprechende Anerkennung von der Bundesregierung zu fordern. Das mag im ersten Moment noch keine rechtlich relevanten Folgen haben. Aber es weist für die Öffentlichkeit deutlich auf die Bedeutung der Solarenergie hin. Und man könnte diese Forderung mit einer Liste weiterer Forderungen verbinden, z.B.:
+ Aufhebung der Hürden und Hemmnisse für die Solarenergie
+ Massive Anhebung der Ausbauziele der PV, so dass die Bereiche Strom und Verkehr bereits 2030 CO2-neutral werden können. Die Klimakrise erfordert jetzt ein "All In".
+ Umsetzung der EU-Richtlinie 2018/2001 in deutsches Recht - mit Befreiung der Prosumer von der EEG-Umlage bei Eigenverbrauch!
+ Faire Lösung für die Ü20-Anlagen
+ Ausschreibungen erst für PV-Anlagen > 1 MW
+ Baupflicht für Solaranlagen auf allen zumutbaren Neubauten (inkl. Garagen, Carports etc.) sowie bei größeren Umbauten, auch auf Industrie- und Gewerbe-Bauten.
+ Privilegierung der Solarenergie, so dass im Wohnungseigentumsgesetz (WoEigG) - analog zum Recht auf eine Ladestation am eigenen Autoabstellplatz - die Möglichkeit eröffnet wird, die zum eigenen Anteil gehörenden Dach- und Außenwandflächen ohne Zustimmung der Miteigentümer für eigene Solarenergie-Anlagen zu nutzen.
+ Privilegierung der Solarenergie, so dass Solaranlagen auch auf denkmalgeschützten Gebäuden und auf Nachführsystemen in häuslichen Gärten errichtet werden können.
+ Aus- und Fortbildungsinitiative für Menschen aus solarfernen Berufen, insbesondere der Autoindustrie, so dass die Arbeitslosenzahlen niedrig gehalten werden und ein Ausbau der Solarenergie nicht am Fachkräftemangel scheitert.
Ergänzungen durchaus erwünscht!