23.04.2021
Kleinreaktoren "züchten" in Alaska?
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Fakt ist, dass Atomenergie global betrachtet einen geringen Anteil am Strombedarf deckt. Nach Angaben des World Nuclear Industry Status Report sind es 10,3 % (Stand 2019). Dennoch nutzen Befürworter der Atomkraft die Aktualität der Klimakrise und einer erforderlichen Verminderung von Treibhausgasen, um ungebremst PR für die Atomenergie zu betreiben. Die Legende einer vermeintlich klimafreundlichen Energienutzung wird reanimiert.
Aktuelle Debatte: Kleinreaktoren in Alaska?
Das Land, das die höchste Anzahl an Atomkraftwerken in Betrieb hat, sind die USA. Mit 94 von derzeit 415 Atomkraftwerken (Stand April). Die ersten Konzepte für Kleinreaktoren („small modular reactors“, SMR) entstanden in den 1950er Jahren, in Verbindung mit Ideen zur Nutzung von Atomenergie als Antrieb für militärische U-Boote. Nach Angaben des Office of Nuclear Energy befinden sich verschiedene kompakte Bauarten von Kleinreaktoren in den USA in der Entwicklung. Diese sollen eine Anlagenleistung von 1 bis 20 MW haben „und könnten innerhalb des nächsten Jahrzehnts einsatzbereit sein“. Sie sollen so klein sein, dass sie per LKW transportiert werden können. Als mögliche Einsatzbereiche nennt die US-Behörde abgelegene Gewerbe- und Wohngebiete und Militärstützpunkte. Beworben werden diese Reaktorkonzepte unter anderem damit, dass sie "bis zu zehn Jahre im Einsatz ohne Auftanken" (O-Ton: "operating for up to 10 years without refueling") und schnell austauschbar sein sollen.
Alaska stand bereits 2011 vor einer möglichen regionalen "Renaissance" der Atomkraft, was der im März 2011 veröffentlichte Bericht "Small Scale Modular Nuclear Power: An Option for Alaska?" des Alaska Center for Energy and Power (ACEP) der University of Alaska Fairbanks und des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsforschung (ISER) der University of Alaska Anchorage zeigt. Doch dann ereignete sich der Reaktorunfall in Japan, und es wurde etwa zehn Jahre lang sehr leise um mögliche neue Atomenergiepläne. Nun nimmt die Debatte um Atomkraftwerke, nicht nur in Berlin, sondern auch in Alaska wieder an Fahrt auf, in einem Youtube-Video veranschaulicht Gwen Holdmann die Atomenergiepläne ("Could Micro Nuclear be a fit for Alaska?"). Sie ist Geschäftsführerin des ACEP und Hauptautorin des Berichts von 2011 und des aktualisierten Berichts. Holdmann beschreibt die Reaktorkonzepte als kleine modulare Energieversorgungssysteme, die weniger Atommüll erzeugen und vorwiegend passive Sicherheitsvorkehrungen haben, so dass keine Pumpen oder Back-Up-Generatoren benötigt werden. Im Video spricht auch Richelle Johnson, vom Center for Economic Development der University of Alaska Anchorage, und argumentiert für den Einsatz von SMR innerhalb der betrieblichen Realität Alaskas. Vergangene Woche machte Kathleen McCoy, eine Radiomoderatorin des lokalen Senders KSKA aus Anchorage auf das Thema aufmerksam. Ihre Interviewgäste waren neben Holdmann und Johnson auch Dr. John Jackson, Leiter des Mikroreaktorprogramms des Energieministeriums am Idaho National Laboratory, die von den Ideen der Erprobung von SMR-Prototypen erzählten. Eines der Argumente für das Interesse an der Nutzung von Kleinreaktoren ist der Ersatz von Diesel und die Hoffnung auf geringere Kosten für die Bereitstellung von Strom und Wärme.
Faktencheck: Kleinreaktoren erhöhen Sicherheitsrisiko "um ein Vielfaches"
Die Nutzung von Kleinreaktoren ist aus mehreren Gründen unrealistisch und gefährlich. Würde beispielsweise weltweit mit SMR dieselbe elektrische Leistung erzeugt werden, wie mit heutigen neuen Atomkraftwerken, dann wäre eine um den Faktor 3 bis 1.000 größere Anzahl an Anlagen erforderlich. Anstelle der heute 415 Reaktoren mit großer Leistung würde dies "den Bau von vielen tausend bis zehntausend SMR-Anlagen bedeuten", wie ein Gutachten des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE) aufzeigt. Die höhere Anzahl von Kleinreaktoren erhöht das Sicherheitsrisiko "um ein Vielfaches". Insbesondere da: "Anders als teilweise von Herstellern angegeben, muss bisher davon ausgegangen werden, dass für den anlagenexternen Notfallschutz bei SMR die Möglichkeit von Kontaminationen besteht, die deutlich über das Anlagengelände hinausreichen." Des Weiteren berücksichtigen SMR-Konzepte geringere Sicherheitsanforderungen etwa „mit Blick auf die Diversität bei Sicherheitssystemen“. Bei manchen SMR-Konzepten geht die Reduzierung der Sicherheitsanforderungen so weit, dass auf einen „anlageninternen Notfallschutz“ oder „vollständig auf eine externe Notfallschutzplanung“ verzichtet wird.
Günstiger werden die Anlagen auch nicht, denn bezogen auf die installierte Leistung sind die Baukosten bei Kleinreaktoren relativ betrachtet höher als bei großen Atomkraftwerken. Ein Ergebnis des genannten Gutachtens ist: "Eine Produktionskostenrechnung unter Berücksichtigung von Skalen-, Massen- und Lerneffekten aus der Atomindustrie legt nahe, dass im Mittel dreitausend SMR produziert werden müssten bevor sich der Einstieg in die SMR-Produktion lohnen würde".
Zu erwähnen ist auch, dass bei mehreren nicht-wassergekühlten SMR-Konzepten der „Einsatz von höheren Urananreicherungen oder die Nutzung von Plutoniumbrennstoffen sowie von Wiederaufarbeitungstechnologie“ geplant ist. "Dies wirkt sich nachteilig auf die Proliferationsresistenz – also die Erfordernis, den Zugang zu oder die Technologie zur Herstellung von atomwaffenfähigen Material zu verhindern – aus", so die Gutachter.