23.02.2024
"Absturz, Ausfall, Deindustrialisierung": Die Angstmacher (Teil 1)
Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke
Angst ist eines der stärksten menschlichen Gefühle: sie kann lähmen, Fluchtreflexe auslösen oder zu Wut und Widerstand animieren. Jeder Mensch geht mit einer Vielzahl von Ängsten um, die individuell mehr oder minder stark ausgeprägt sind: Angst vor Arbeitslosigkeit, Bedeutungsverlust, Einsamkeit, Gewalt, Krankheit, Veränderungen, um nur einige der möglichen Erscheinungsformen zu nennen. Die meisten Ängste kommen, begründet in unserer Biographie, aus unserem Inneren. Andere werden aber auch von außen an uns herangetragen, uns von unserem sozialen Umfeld oktroyiert.
Es sind beileibe nicht nur die üblichen geistig Ver(w)irrten, die bei uns Ängste schüren wollen vor Aliens, Chemtrails, dem „großen Austausch“. In der Coronazeit wurde die Angst geschürt vor dem „Impf-Genozid“ oder „Bill Gates will die Welt chipen“. Auch von Akteuren in Industrie, Medien, Politik und Wirtschaft werden mediale Kampagnen gefahren, um die eigenen, meist materiellen Interessen durchzusetzen. Sehen wir uns daher mal einige aktuelle Kampagnen an.
„Deutschland steht vor der Deindustrialisierung“
Dies ist derzeit die umfangreichste Kampagne, weil es um große Förder-Summen für die Wirtschaft geht, und weil man hier alles, für das konservativen Weltbild Missliebige, gut unterbringen kann. Und so setzen sich die medialen Märchenerzähler der konservativ-wirtschaftsnahen Presse eilfertig in Bewegung, um das Schauermärchen des industriellen Abstiegs möglichst Ängste schürend unters Volk zu bringen – gerne auch mit einem polemischen Hieb auf den Bundeswirtschaftsminister und den grünen Teil der Ampel-Koalition.
Dabei kommen dann Schlagzeilen wie diese heraus:
„Deutschlands Absturz: Wirtschaft auf dem Weg in den Abgrund“
„Ausfall eines Wirtschaftsministers. Robert, der Gescheiterte“
„Vor Gericht wird klar, wie Robert Habeck die Zukunft der deutschen Wirtschaft verzockt hat“
„Klartext aus den USA: ‚Deutschlands Tage als industrielle Supermacht sind gezählt‘“
„Miele, Porsche & Co: Unternehmen verlassen Deutschland – ‚Nicht mal die Finanzkrise war so gravierend‘“.
Das ist Kampagnen-Journalismus. Und frei nach Goethe möchte man rufen: „Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.“
Die „Miele-Krise“ als trauriges Beispiel
Besonders die Krise bei der Firma Miele erfährt in diesem Zusammenhang sehr viel und verbal heftige Aufmerksamkeit: „Waschmaschinen-Ikone geht. Habeck schaut bei Miele hilflos zu, wie Deutschland in die Deindustrialisierung schlittert“, oder „Person der Woche: Markus Miele Der nächste Job-Schock: In der Industrie brennt es lichterloh“.
Was also ist bei Miele los? Der WDR berichtet ganz nüchtern und ohne Schaum vorm Mund, dass wegen des zurückgehenden Absatzes, insbesondere von Waschmaschinen, am Stammsitz Gütersloh nun 700 von 2.700 Stellen abgebaut werden, und die Waschmaschinen-Montage als Teil der Waschmaschinen-Fertigung nach Polen verlegt wird. Darüber hinaus würden weltweit im Konzern – der übrigens insgesamt rund 23.000 Mitarbeitende hat – weitere 2.000 Stellen abgebaut.
Nun ist ein Rückgang beim Waschmaschinen-Absatz nicht gerade überraschend: Fast jeder Haushalt hat mittlerweile eine Waschmaschine, manche sogar zwei, und auch die Niedergangs-Schreiberlinge dürften sich kaum eine dritte als industrielles Technik-Kunstwerk ins Wohnzimmer stellen. Zudem sind die Maschinen des Gütersloher Familienunternehmens hochwertig und langlebig, also teuer. Hätte man solche auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes sinnvolle Technik fördern wollen, hätte man schon vor Jahren die gesetzliche Gewährleistung – auch auf EU-Ebene – für solche Großgeräte auf zehn oder zwölf Jahre heraufsetzen müssen; das hätte einige „Billigheimer“ sicher aus dem Markt gedrängt. Doch dafür wären ja nicht der böse Herr Habeck, sondern Merkels Mannen verantwortlich gewesen. Und deren vielfältiges Versagen hat die konservativ-wirtschaftsnahe Presse ja stets auf Samtpfoten begleitet.
Einst wurde die Globalisierung bejubelt, aber jetzt…
Weshalb also eigentlich die ganze Aufregung um die Verlagerung von Arbeitsplätzen in ein anderes EU-Land? Früher wurde von der Wirtschaftspresse gern über „internationalen Wettbewerb“ und „freie Marktwirtschaft“ fabuliert. Deutsche Unternehmen produzieren heute in aller Welt, auch für den deutschen Markt. So kommen die VW Caddys alle aus Polen, ein Großteil der Motoren des VW-Konzerns aus Ungarn. Statt Arbeitsplätze in Deutschland schaffen diese Unternehmen lieber Arbeitsplätze im Ausland – und niemand regt sich medial darüber auf.
Zudem: Was so gar nicht zu den Schreckensbildern der Angstmacher passen will, sind die positiven Wirtschaftsnachrichten. Deutschland hat Japan überholt und ist jetzt drittgrößte Volkswirtschaft der Welt; der deutsche Aktienindex DAX erreicht ein neues Allzeithoch. Und während die Zahl der Firmenpleiten weiterhin hoch ist, gilt dasselbe auch für die Zahl der Firmengründungen.
Ja, es ist richtig, es gibt zu viel Bürokratie in Deutschland, zu wenig Arbeitskräfte, und es gibt Wettbewerbsverzerrungen durch die Wirtschaftspolitik Chinas und der USA. Aber es gab andererseits auch lange Wettbewerbsverzerrungen durch Deutschlands geringe Verteidigungsbeiträge und das billig bezogene Gas aus der Diktatur Russland. Dass dies nun vorbei ist, hat zur heutigen Krise beigetragen. Und jetzt zeigt sich, welche Unternehmen ihre Hausaufgaben gemacht haben: Viele Betriebe haben schon während Corona ihre Lieferketten, Produkte und Absatzmärkte diversifiziert, haben ihre Energieversorgung über eigene Solardächer, Windparkbeteiligungen und spezielle Stromlieferverträge (PPA) sicherer gemacht.
Es zeigt sich aber auch, dass andere den Zeitpunkt zum Handeln verschlafen haben: Viele glaubten, die Zeit des günstigen Gases würde ewig so weiter gehen. Und manche Topmanager waren und sind längst nicht so „top“, wie ihr hohes Salär hätte erwarten lassen dürfen. Jetzt soll der Staat also Fördermittel ausschütten, um die Unternehmens-Fehler der Vergangenheit auszugleichen; manche Unternehmen drohen mit der Abwanderung ins Ausland.
Der Volkswirt Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, meint zu solchen Forderungen nach Staatshilfe nur: „Dann sollen die Unternehmen doch gehen.“
Da möchte man den Staatshilfe-Schnorrern nur noch nachrufen: „Und nehmt bitte Eure Angstmacher mit!“
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