22.10.2021
Aktuelle Energiepreise – was getan werden könnte
Eine Einordnung von Jörg Sutter
Dass Energiepreise schwanken, in einem steten Auf und Ab nach Angebot und Nachfrage, ist keine neue Erkenntnis. Dass sich der Staat am Energieverbrauch seiner Bürger, das sind hier vor allem die Privathaushalte, eine goldene Nase verdient, auch nicht.
Was kann also getan werden, um die Bürger aktuell bei den Energiekosten zu entlasten, oder muss vielleicht gar nichts getan werden? Versuchen wir einen Überblick – der selbstverständlich nicht vollständig sein kann – zu den Vorschlägen, die aktuell in die Welt getragen werden.
Zuvor möchten wir jedoch noch eine offene Frage aus der Vorwoche beantworten. Letzten Freitag stellten wir die Frage, wie hoch denn die Marktpreise wären, wenn Deutschland nicht so viel Erneuerbare Energie für die Stromerzeugung einsetzen würde. Die genaue Antwort darauf wäre sicherlich spekulativ, aber auf ein Indiz hat das Fraunhofer ISE ((Bruno Burger und seine Energy-Charts) aufmerksam gemacht: Man kann durchaus erahnen, wie es bei uns wäre, betrachtet man im Vergleich Italien: So lag diesen Mittwoch die Prognose an verfügbarem Windstrom für Deutschland bei 30 bis 38 Gigawatt. Der höchste Strompreis im Day-Ahead lag hierzulande bei 205 Euro pro MWh. Das ist sehr viel, doch Italien mit einem sehr hohen Erdgasanteil und wenig Windkraft hatte einen Vergleichswert von 313 Euro pro MWh, also über 50 Prozent mehr. Das zeigt, wie sehr die Erneuerbaren tatsächlich die Strompreise dämpfen können. Und daraus kann noch etwas gelernt werden: Wir haben zwar ein europäisches Verbundnetz, aber die Strommärkte sind noch nicht zusammengewachsen, ansonsten gäbe es ja nicht solche Spreizungen.
Europäische Steuerung ohne Druck
Die Europäische Kommission hat in der vergangenen Woche vermieden, konkrete Vorgaben zur Reaktion auf die hohen Energiekosten zu machen. Sie hat stattdessen einen „Werkzeugkasten“ veröffentlicht, der von den Mitgliedsstaaten genutzt werden kann – aber nicht muss. Sichtbar wird hier wieder einmal, wie uneinheitlich Europa in der Energiefrage ist: Frankreich deckelt die Strom- und Gaspreise, gibt Energiegutscheine an die bedürftige Bevölkerung aus, gleichzeitig will Präsident Macron in Zukunft auf Kernkraft setzen. Für keinen dieser Schritte gäbe es derzeit in Deutschland eine politische Mehrheit. Spanien hat Anfang Oktober den Mehrwertsteuersatz auf Strom radikal gesenkt (von 21 auf 10 Prozent), wünscht sich aber auch eine europäische Lösung.
Begrenzung der Abhängigkeit
Klar ist, ein wesentliches Problem der derzeitigen Preisentwicklung ist die internationale Abhängigkeit der Energielieferungen. Wird – wie derzeit – in Asien mehr Geld für LNG geboten, wird das Flüssigerdgas dort verkauft und fehlt in Europa. Gleiches gilt für die Öl- und Treibstoffmärkte, die auf fossilem Rohöl beruhen, zumal dort auch das derzeitige Chaos in der Logistik und den weltweiten Transporten das Problem auch noch weiter verschärft. Ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien kann diese Abhängigkeit verringern – doch das ist keine neue Erkenntnis. Die Forderung wird derzeit aber wieder recht häufig von verschiedenen Seiten kommuniziert.
Ausbaubremsen abschaffen
Auch das aktuelle Sondierungsteam in Berlin hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Bremsen bei den Erneuerbaren zu lösen und den Ausbau zu beschleunigen. Das ist ein gutes Zeichen und wichtig, aber hilft für die kommenden Wochen den finanziell klammen Pendlern und Wohnungsheizern nicht weiter.
Senkung der Steuern und Umlagen
Seit längerem schon wird eine Absenkung der Stromsteuer angemahnt, die auch im europäischen Kontext durchaus ohne Probleme möglich wäre. Ein wichtiges Signal für die Strompreise bei den Verbrauchern ist aktuell die Absenkung der EEG-Umlage, die für das kommende Jahr kommuniziert wurde (3,72 Cent statt bislang geplant 6 Cent pro kWh). Witzigerweise wird diese ja sogar durch die hohen Markt-Strompreise selbst verursacht. Je höher der Preis, desto geringer der Aufschlag, der den Betreibern aus dem EEG-Umlagetopf dazugegeben werden muss. Und mit einem geringen Aufschlag müssen die Verbraucher weniger in den EEG-Topf über die Umlage einzahlen. Doch mancher Stromversorger muss schon aktuell die Preise deutlich erhöhen, um die gestiegenen Beschaffungspreise weitergeben zu können. Es sind jetzt noch neun Wochen, bis die leichte Absenkung der EEG-Umlage zum Jahreswechsel greift und im Stromverbrauch des Januars bemerkbar wird. Von Noch-Wirtschaftsminister wurde auch aktuell wieder die vollständige Abschaffung der EEG-Umlage ins Spiel gebracht. Doch auch das würde wieder Zeit brauchen: Erst eine neue Regierung könnte das EEG vernünftig reformieren. Und es ist zu erwarten, dass eine größere Reform des inzwischen verkorksten Gesetzes und nicht nur die Abschaffung der Umlage kommt, daher wird auch hier noch einige Zeit ins Land gehen.
CO2-Bepreisung
Kritik gibt es auch an der CO2-Bepreisung, die gemäß dem Beschluss der Bundesregierung vom Herbst vollständig von den Mietern zu tragen ist und den Vermieter, der ja über mögliche Sanierungen und damit die Energieeinsparmöglichkeiten im Heizungsbereich entscheidet, derzeit gar nicht tangiert. Der Eigentümerverband Haus & Grund verlangt aus aktuellem Anlass eine Steuersenkung bei Gas und schlägt vor, die CO2-Bepreisung für das kommenden halbe Jahr ganz auszusetzen. „Jetzt ist nicht die Stunde, mit Steuern die Staatskasse zu füllen“, so Verbandspräsident Warnecke. Jetzt sei die Stunde, den Menschen durch den Winter zu helfen. Auch der Mieterbund warnt vor einer Nebenkostenexplosion, die Verbraucherzentrale Bundesverband weist darauf hin, dass wir in Deutschland die höchsten Strompreise in Europa haben.
Mehr Gas mit der neuen Pipeline?
Seit einigen Tagen ist es nun klarer als vorher: Russland hat angekündigt, mehr Gas für Europa zur Verfügung stellen zu können, eine solche Mehrlieferung sei jedoch an die Inbetriebnahme der neuen Pipeline North Stream II gekoppelt. Das ist ein klarer Erpressungsversuch, denn andere Pipelines sind in den Kapazitäten nicht ausgeschöpft und könnten sofort genutzt werden. North Stream II steht aktuell vor dem Problem, dass es ohne eine Zertifizierung nicht in Betrieb genommen werden kann und sich auch die Bundesnetzagentur dafür interessiert, ob durch die Betreibergesellschaft die vorgegebenen regulatorischen Auflagen erfüllt werden (was derzeit nicht der Fall ist).
Nachdem die Gaswirtschaft derzeit einen Füllstand von 70 % bei den Gasspeichern im Land meldet, ist davon auszugehen, dass wir auch ohne zusätzliches Gas durch den Winter kommen. Der Erpressungsversuch könnte und sollte daher unbedingt ins Leere laufen. Wenn das schlussendlich dazu führt, dass die Abhängigkeit auch von Erdgas schneller reduziert wird, könnte diese Aktion für Präsident Putin und die Gazprom nach hinten losgehen.
Braucht es wirklich schnelle Maßnahmen?
Insbesondere für den bedürftigen Teil der Bevölkerung ist eine schnelle und unbürokratische Hilfe, um die aktuellen Energiekosten zu bewältigen, sicherlich angebracht. Das könnte wie in Frankreich mit Energiegutscheinen unbürokratisch umgesetzt werden.
Ansonsten sieht es derzeit so aus, als würde sich der Gaspreis im zweiten Quartal 2022 wieder „beruhigen“, die Peak-Werte nach dem Winter vom 84 Euro /MWh im 1. Quartal dann wieder auf weniger als die Hälfte (um 41 Euro/MWh) im 2. bis 4. Quartal zurückgehen.
Bei Strom kann man gespannt sein. Häufig zu hören ist im Moment die Einschätzung, dass zwar die aktuellen Spitzenpreise in den kommenden Wochen nicht mehr erreicht werden, aber die Strompreise sich auch mittelfristig auf einem höheren Niveau einpendeln werden als bisher. Darum ist die Idee, über eine Absenkung der Stromsteuer oder EEG-Umlage weiter nachzudenken, sicherlich nicht falsch.
Allgemein können die momentanen Höchstpreise aber auch dazu beitragen, dass Stromsparen und weniger Gasverbrauch bei der Heizung wieder attraktiv werden. Wenn dazu noch die Erneuerbaren Energien rasch ausgebaut werden, kann in der Rückschau diese Krise vielleicht sogar zur Beschleunigung der Lösung und der Energiewende beitragen.
Die wohl beste Beschreibung der aktuellen Situation hat die Ökonomin Claudia Kemfert vom DIW in diesen Tagen abgegeben, als sie sagte: „Wir zahlen jetzt den Preis für eine verschleppte Energiewende“. Ob die Politik und wir alle daraus etwas lernen werden für die kommenden Jahre?