22.07.2022
Massenmigration ist klimafeindlich, Teil 1
Eine Kritik von Götz Warnke
Migrationsbewegungen jeder Art sind ein wichtiges Thema unserer Zeit; um so erstaunlicher ist es, dass in der Klimaschutzbewegung kaum oder gar nicht darüber gesprochen wird. Dabei ist Massenmigration kein neues Phänomen; schon in früheren Epochen waren in Europa Menschen in großer Zahl unterwegs. Der französische Professor Jacques Le Goff schreibt in seinem Standardwerk "Das Hochmittelalter" zur Zeit ab 1050 n.Chr.: „Fast in jeder sozialen Schicht wird das Umherstreifen, das Wandern zu einer Notwendigkeit, einer Gewohnheit, einem Ideal. Auf den Straßen sucht man Auskommen, Glück und Abhilfe der Trübsal.“ (S. 56) Und: „Wohl zu keiner anderen Zeit haben die Menschen der Christenheit die Bezeichnung ‚homo viator‘ [‚Reisender Mensch‘ GW] und das Wort Christi, der sich als Weg hinstellt, besser verstanden: ‚Ego sum via‘. [‚Ich bin der Weg‘ GW]“ (S.58).
Die mittelalterliche Massenmigration zeichnete sich durch einige Punkte aus:
- Die Menschen waren fast ausschließlich zu Fuß unterwegs; allenfalls zum Passieren von Wasserhindernissen (Flüsse, Seen, Meere) wurden Boote bzw. Schiffe eingesetzt. Pferde, ja sogar Esel blieben beim Personentransport einer kleinen Oberschicht vorbehalten. Der CO2-Fußabdruck des Transports war also gering.
- Für die Auswandernden/Flüchtlinge/Reisende wurde keine gesonderte, neue Infrastruktur gebaut, sondern die Personen passten sich CO2-sparend in die vorhandene Infrastruktur ein: auf dem Weg schlief man unter Bäumen, im Stroh beim Bauern oder bestenfalls im Klosterschlafsaal. Am Ziel kam man meist bei seinem Arbeitgeber (Bauer, Handwerker) unter. Und die entsprechenden Häuser bestanden meist aus Feldsteinen, Holz und Lehm, schlimmstenfalls aus gebrannten Ziegeln von lokalem Ton.
Heute hat die Massenmigration gerade auch hinsichtlich der Klimawirkungen deutlich größere Auswirkungen, wie sich an den verschiedenen Migrationsformen zeigen lässt.
Reisen
Sommerzeit – Reisezeit. Millionen Deutsche packen wieder ihre Koffer, fahren zu den Flughäfen und entschwinden in den sonnigen Süden, wo man dann teils vergeblich an der Gepäckausgabe auf seine Koffer warten kann. Nach der Corona-Pandemie entwickelt sich der Flugreiseverkehr wieder in Richtung des Niveaus der Zeit zuvor. Gegenüber 2021 hat allein der Flughafen Frankfurt/Main eine Zunahme um 267% zu verzeichnen; rund 5 Millionen Fluggäste konnten abgefertigt werden. An anderen deutschen Flughäfen ist die Tendenz ähnlich.
Das größte Klimaproblem dieser Fortbewegung ist dabei der Flug an sich, der durch die Befreiung von der Kerosinsteuer auch noch staatlich subventioniert wird. Welche Klimalasten dabei entstehen, kann jeder mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes verfolgen. Und es ist nicht nur der CO2-Ausstoß der Triebwerke, wie uns die Kondensstreifen am Himmel zeigen: bei der Verbrennung des Treibstoffs entsteht auch Wasserdampf, der in den großen Höhen als Klimagas wirkt – daran werden auch die vielen neuen, tollen E-Fuels nichts ändern, von denen Luftverkehrswirtschaft und Politiker schwärmen. Nach Berechnungen kostet ein Langstreckenflug die Weltgemeinschaft allein durch seine Klimawirkung 3.000 US-Dollar; andere Kosten wie z.B. die Verbreitung der Pandemie sind da nicht einmal eingepreist.
Dazu kommt die jeweilige An- und Abreise: während in Deutschland die Anreise zum Flughafen meist mit Bahn und Bus, und weniger mit Taxi oder Auto – Parkplätze am Flughafen sind teuer – erfolgt, geschieht der Transport vom Flughafen zum Hotel und später zurück mit vollklimatisierten (Diesel-)Kleinbussen. Diese warten oft stundenlang in glühender Sonne mit laufenden Motoren und eingeschalteten Klimaanlagen – schließlich sollen es die Passagiere angenehm haben – auf die eintreffenden Gäste. Der Verbrauch solcher Fahrzeuge liegt natürlich deutlich höher als bei einem vergleichbaren Shuttle in Deutschland.
Doch alle diese Punkte sind der kleinere Teil des Problems bei dieser Form der Massenmigration. Der größere Teil sind die ganzen Infrastrukturbauten wie Flughäfen, Straßen, Hotels, Parkplätze, etc. und die damit verbundenen CO2-Lasten. Kein Wunder, denn die Bauwirtschaft verfehlt national und international ihre Klimaziele Jahr um Jahr, vor allem durch die Herstellungsenergie („Graue Energie“) für Beton und Stahl.
Wenig überraschend ist daher das Ergebnis einer Studie des Heidelberger ifeu-Instituts, dass Reisemobil- und Caravan-Urlaube trotz der Herstellungsenergie für die Fahrzeuge und deren Dieseltreibstoff deutlich klimafreundlicher sind als die Flugreisen. Daher ist es auch richtig und konsequent, dass ein britisches Berufungsgericht die Planungen zum Ausbau des Londoner Flughafens mit dem Verweis gestoppt hat, dass die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens nicht berücksichtigt worden seien.
Nein, dies soll kein reines Flugreisen-Bashing werden, zumal die Kreuzfahrtindustrie kaum besser ist: „Bei einer 7-tägigen Mittelmeerkreuzfahrt fallen beispielsweise pro Person ebenfalls rund 1,9 Tonnen CO2-Äquivalente an, wobei meistens noch die Flüge zur An- und Abreise hinzugerechnet werden müssen“, schreibt das UBA. Wohlgemerkt: für ein stabiles Erdklima dürfte jeder Mensch nur zwei Tonnen CO2 verursachen – pro Jahr! Kein Wunder, dass bei einem Blick in die Liste der europäischen Kreuzfahrtschiffe die Klimabilanz bei fast allen tiefrot ist.
Wie bereits eingangs gesagt, ist nicht das Reisen als solches ein Problem, sondern unsere heutigen Ansprüche an diese Migrationsform: es muss schnell gehen (Zeitoptimierung), es muss weit weg gehen (Status) und es muss bequem sein. Reisen mit Fahrrad und Zelt, wie sie noch in den 1950er Jahren üblich waren, sind für die meisten Reisenden heute völlig unakzeptabel. Und selbst Reiseformen mit Auto und Gepäck- oder aufklappbarem Wohnanhänger, wie in den 1960er Jahren, sind heute ein Randphänomen. Vorhandene Alternativen werden kaum wahrgenommen, andere CO2-arme Alternativen wie Reisen mit dem Segelschiff oder dem Luftschiff kommen gar nicht erst in den Blick.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: unsere „Reisen“ genannte, meist sommerliche Massenmigration ist klimafeindlich.
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