22.07.2022
Höchstspannungstrassen: Ein Thema – zwei Sichtweisen
Eine heiße Reportage von Heinz Wraneschitz
Es ist sehr heiß hier unten am Boden. Wahrscheinlich kühlt den Männern (Frauen sind nicht zu sehen) in etwa 50 Metern Höhe der Wind etwas die Stirn. Der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) Tennet hat die Presse zum Baustellenbesuch geladen. Das Treffen findet unter der 380-Kilovolt-(380kV) Höchstspannungsleitung statt, die von der Nord-Süd-Trasse Würgau-Raitersaich zum Umspannwerk Erlangen-Kriegenbrunn abzweigt. 32 Tennet-Mitarbeitende des ÜNB sind an diesem Tag – und waren es in den letzten Wochen – dabei, die alten Zwei-Leiter-Bündel der so genannten „Kuppelleitung“ durch Leiter mit vier Einzelseilen zu ersetzen.
Dass dieser Seiltausch an den bestehenden Masten der Höchstspannungstrasse passiert, erklärt Georg Praehauser so: „Diese Leitung hat das entsprechende Potenzial“, also die Tragfähigkeit für die schwereren Seile. Praehauser ist seit Jahresbeginn „Director Large Scale Projects AC Germany“ bei Tennet und somit Verantwortlicher für alle großen Drehstromleitungs-Projekte dieses ÜNB. Er weist auf einen weiteren Umwelt-Aspekt dieses Umbaus hin: „Die neuen Leitungsseile sind beschichtet und deshalb leiser als die alten.“
Und hier wird sogar die Strombelastbarkeit nicht nur durch die Vierseiltechnik, sondern zusätzlich „durch Freileitungsmonitoring erhöht. Die Temperatur im Seil wird errechnet aus Wind, Lufttemperatur und Strom. Über 80 Grad warm darf das Seil aber nicht werden“, stellt Tennet-Sprecher Markus Lieberknecht klar: Sonst würden die Abstände der Leitungen untereinander und zum Boden zu gering; es könnte zu Überschlägen kommen.
War der Politik der Termin zu „heiß“?
Zu dem Treff unter der 380kV-Baustelle hatte Tennet im Übrigen auch politische Entscheidungsträger eingeladen. Von denen ließ sich aber niemand blicken. Zu heiß? Oder hatten sie Angst vor kritischen Fragen? Denn nicht überall laufen die Leitungsprojekte so ruhig und ohne Kritiker ab wie bei der Kuppelleitung nach Kriegenbrunn. Zum Beispiel am südlichen Ende jener Trasse, von der die besuchte abzweigt: In Raitersaich, einem Ortsteil der Gemeinde Roßtal in Mittelfranken. Vom dortigen Umspannwerk aus nach Südosten will Tennet die so genannte „Juraleitung“ als „Ersatzneubau“ von 220kV auf 380kV hochrüsten und komplett neu trassieren. Das zugehörige Raumordnungsverfahren (ROV) durch vier Bayerische Regierungsbezirke wurde kürzlich abgeschlossen.
Die Juraleitung entstand Ende der 1940er Jahre, ist also in die Jahre gekommen. Und in der Zeit näherten sich die Baugebiete der Gemeinden immer mehr der Leitungstrasse an. Wer hier gebaut hat, ist also auch selbst schuld, sollte die von der Leitung ausgehenden Strahlung Schäden verursachen. Doch nun soll der Ersatzneubau kommen – mit größeren Masten und höherer Spannung. Laut Praehauser „ist das Aufrüsten dort nicht möglich“ wie bei der Leitung bei Erlangen, unter der er gerade steht. Doch durch den geplanten Quasi-Neubau der Juraleitung mit veränderter Trasse werden andere Ortschaften und Menschen betroffen sein als durch die „alte“.
Seit Jahren kämpfen deshalb Bürgerinitiativen (BI) entweder gegen die Neutrassierung – oder sie stellen gar die Notwendigkeit der Aufrüstung in Frage. Viele dieser BIs haben sich im „Aktionsbündnis Trassengegner“ zusammengeschlossen.
Das Bündnis agiert nach dem Motto: „Trassen verhindern, nicht verschieben: Kein Sankt-Florians-Prinzip!“ Diese BIs wehren sich gegen die komplett neuen Nord-Süd-Gleichstromautobahnen Süd-Ost- und Südlink genauso wie gegen den Ersatzneubau der Juraleitung. Doch alle drei Trassen stehen im vom Bundestag beschlossenen Bundesbedarfsplan für den Stromnetzausbau, sind daher gesetzlich grundsätzlich vorgesehen.
Tennet von den eigenen Planungen überzeugt
Alle drei Leitungsbauten stehen ganz oder teilweise unter der Verantwortung von Tennet. Direktor Praehauser ist überzeugt: „Wir bauen umweltverträglich und menschenverträglich. Wir wollen mit den Trassen am wenigsten Schaden machen.“ Aber er sagt auch: „Je mehr der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen erleichtert, umso einfach geht das Planen und Bauen.“ Und der Bund hat Tennet und den anderen ÜNB diesen Wunsch auch immer mehr erfüllt, zuletzt mit dem NABEG, dem „Netzausbaubeschleunigungsgesetz“.
Momentan, so scheint es, konzentrieren sich die Trassengegner auf die Juraleitung, und zwar ganz konkret auf den Abschnitt zwischen den Umspannwerken Roßtal-Raitersaich und Altdorf-Ludersheim. Dafür ist zwar – wie geschrieben – das ROV für die Trasse abgeschlossen. Wo das neue Umspannwerk Raitersaich hinkommt, ist laut Markus Lieberknecht bereits klar: „Hier steht die Fläche für den Ersatzbau.“ Offen aber ist, wo der Abschnitt enden soll. In Altdorf und Schwabach scheint kein Flächenerwerb möglich. „Die Alternativen: die Fläche 1B nördlich Winkelhaid oder die Fläche 3 zwischen Winkelhaid und Alfeld“, erklärt der Tennet-Mann gegenüber unserer Redaktion.
Damit bestätigt er, was Dörte Hammann vom Aktionsbündnis Trassengegner bereits vermutet hatte. Doch wie geht das mit dem ROV zusammen, also dem von den Bezirksregierungen genehmigten Trassenkorridor? „Was im ROV steht, muss nicht gleich der Planfeststellung sein“, antwortet Markus Lieberknecht, verweist also bereits auf den nächsten Schritt hin zum geplanten „Ersatzneubau“ der Juraleitung.
Konsequente Information oder „Zersplitterung“?
Und wie erfahren Betroffene davon, wie es weitergeht? „Unsere digitale Kommunikation und Beteiligung setzen Maßstäbe: Das zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Preise, die wir dafür in den vergangenen Jahren gewonnen haben – unter anderem den Deutschen Preis für Onlinekommunikation, den Digital Communication Award und den weltweit anerkannten Gold Sabre Award“, heißt es von Tennet-Seite. Ob der ÜNB damit seinen Online-„Infomarkt“ zur Juraleitung meint? Den empfinden nicht nur die meisten BIs eher als undurchsichtig.
Ohnehin könnten Onlinemeetings nicht das persönliche Aufeinandertreffen ersetzen, argumentiert Dörte Hamann einerseits. Und andererseits nennt sie es „Kommunikationszersplitterung“, wenn Tennet in fünf Orten, oft in einigem Abstand zur geplanten Trasse, Informationsveranstaltungen durchführt und einzelne BIs mit maximal drei Teilnehmenden zu nicht öffentlichen Treffen einlädt. „Wir wünschen uns dagegen den Austausch untereinander, einen runden Tisch, die Info für alle zur gleichen Zeit“, erklärt die BI-Sprecherin.
Es bleiben daher erhebliche Zweifel, ob sich Georg Praehausers Wunsch demnächst erfüllen wird: „Wir brauchen eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten.“ Denn wie zu hören ist, wollen nur wenige Bauern ihr Land – ob in Ludersheim oder sonstwo rund um Altdorf und Schwabach - verkaufen oder tauschen, damit ein neues Umspannwerk entstehen kann. Es gibt gar Kommunen, die sich juristischen Rat einholen, um gegen die Ersatzneubaupläne vorzugehen.
Dabei bestätigt der Tennet-Direktor Praehauser im Pressegespräch: „Wir bekommen jetzt immer mehr Druck. Auch durch den Ukrainekrieg. Denn Energie ist einer der wichtigsten Rohstoffe.“ Es bleibt also spannend. Nicht nur bei der Juraleitung, sondern beim gesamten Übertragungsnetzausbau.