22.05.2020
Reshoring und mehr: besser im Inland produzieren
Während es in den 1990ern und den Nuller-Jahren vor dem großen Crash selbst bei mittelständischen Unternehmen zum „Guten Ton“ gehörte, zumindest die Produktion aus Lohnkosten-Gründen ins Ausland zu verlegen, steht seit der Weltfinanzkrise immer mehr der gegenläufige Trend im Vordergrund, die Produktions-Rückholung ins Inland. Dieses „Reshoring“ genannte Phänomen betrifft nicht nur Deutschland und die EU, sondern auch andere Hochtechnologieländer wie die USA. Dort macht sich US-Präsident Trump seit seinem Amtsantritt dafür stark, die in den vergangenen Jahren ins Ausland abgewanderten Industriearbeitsplätze in die Staaten zurück zu holen. Doch schon im Jahr 2014 – also noch vor Trumps Amtszeit – wurden erstmals in den USA mehr neue Arbeitsplätze geschaffen als ins Ausland verlegt.
In Deutschland haben in den letzten Jahren u.a. der Motorsägenproduzent Stihl, der Spielzeughersteller Steiff, der Staubsauger- und Warmlufttockner-Hersteller Electrostar sowie der Sportartikelproduzent Adidas ihre Fertigungskapazitäten nach Hause zurück verlegt. Gründe für das Reshoring sind – neben Qualitätsmängeln, der geringeren Lagerhaltungs-Erfordernissen und der höheren Flexibilität bei veränderten Kundenbedürfnissen oder Entwicklungsanforderungen – vor allem die abnehmenden Lohnkosten-Effekte. Durch die Automatisierung vieler Fertigungsschritte spielt heute der Lohnanteil bei den Stückkosten oft nicht mehr die Rolle wie vor 20 Jahren.
Doch nicht nur das Reshoring von Firmenzwingt andere Unternehmen zum Umdenken. Auch viele erfolgreiche Firmen, die mit ihrer Produktion immer im Inland geblieben sind (Onshoring), zeigen, dass eine Produktionsverlagerung ins Ausland nicht gottgegeben ist. In der breiten Öffentlichkeit dürften der Sportartikelhersteller Trigema und der Laufschuhproduzent Lunge zu den bekannteren Unternehmen gehören, die erfolgreich der Propagierung weltweiter Lieferketten widerstanden haben. Und die heimische Produktion bietet noch mehr Vorteile, wie z.B. nicht zu einem Technologietransfer gezwungen zu sein, worüber viele ausländische Hersteller in China klagen. Schließlich scheint das Riesenreich, dass mit seiner Strategie „Made in China 2025“ die weltweite Technologieführerschaft anstrebt, diese nicht nur durch Aufkauf ausländischer Technologieführer, sondern auch mit solchem dubiosen Technologietransfer umsetzen zu wollen. Neben der einzelnen Firmenstrategie hängt die Frage nach Offshoring, Reshoring oder Onshoring auch immer stark von der jeweiligen Branche ab, selbst im Bereich der Erneuerbaren:
Solarenergie
Bei der deutschen PV-Industrie gibt es praktisch kein Reshoring, da die Bundesregierung die Branche nach 2011 kalt lächelnd zugrunde gehen ließ. Die entsprechenden Unternehmen mussten unter den Kampfpreisen der ostasiatischen Konkurrenz Insolvenz anmelden und/oder wurden als Ganze oder in Teilen aufgekauft. Natürlich hätte die Regierung das durch Antidumping-Gesetze, Ausschluss von Staatsbeteiligungen und das Festschreiben von Sozialstandards bei Ausschreibungen verhindern können, aber Merkel und Co wollten wohl der deutschen Autoindustrie die Tür zum wichtigen chinesischen Markt weit offen halten – der selben Autoindustrie, die jetzt wieder nach staatlichen Sonderhilfen (Abwrackprämie) schreit.
Daneben aber hat sich auch mit Firmen wie Solarwatt und Heckert Solar eine Solarindustrie Made in Germany gehalten, die sich trotz der ungebremsten Billigheimer aus Fernost ihre Märkte bewahren konnten.
Windenergie
Die Windenergie ist eine weltweit nutzbare Energiequelle, aber nicht alle Windmärkte sind offen für alle Hersteller. So ist z.B. der Markt in China sehr abgeschottet und wird vor allem durch die einheimischen Windkraftriesen bedient. Daher schloss der Onshore-WKA-Hersteller Nordex Ende 2012 seine Rotorblattfertigung in China, und baute statt dessen sein Stammwerk in Rostock aus. Mitte 2013 machte Nordex auch seine Gondelproduktion in den USA dicht. Hier kann man durchaus von einem Reshoring sprechen. Generell richtet sich aber die Standortpolitik der Windindustrie eher nach den Absatzmärkten als nach den Lohnkosten. Offhore-WKA-Hersteller Siemens-Gamesa hat sein neues Hauptwerk in Cuxhaven, und konzentriert seine weiteren Standorte auf die EU. Allenfalls Rotorblätter, vorwiegend für die Windmärkte in Afrika und dem Mittleren Osten, lässt das Unternehmen in einer neuen Fabrik im marokkanischen Tanger fertigen. Durchaus typisch ist daher auch ein Tochterunternehmen des 2019 in die Insolvenz gegangenen und nun noch als Rumpfunternehmen existierenden WKA-Produzenten Senvion, dass sich im aufstrebenden Windmarkt Indien mit eigener Vorort-Produktion engagiert.
Wasserkraft
Die Technik der Wasserkraft ist seit jeher stark von den örtlichen Gegebenheiten wie Wassermengen, Fließgeschwindigkeit, Wassertiefe etc. abhängig. Viele Wasserkraftanlagen sind Einzelanfertigungen mit standardisierten Teilen. So unterschiedlich wie diese Gegebenheiten sind auch die in dieser Branche tätigen Unternehmen: von großen Konzernen wie Voith Hydro, die in aller Welt Projekte von Staudamm-Wasserkraftwerken bis zu Meeresenergieprojekten stemmen, und natürlich an den weltweiten Standorten technisches Equipment z.B. für die Wartung vorhalten, bis zu kleineren (Familien-)Unternehmen, die vor allem kleinere Wasserkraftanlagen im näheren deutschen bzw. europäischen Umfeld bauen, reparieren, warten, inspizieren. In diese Kategorie gehören u.a. Wasserkraft Volk AG in Gutach/Schwarzwald oder die Firma Kochendörfer Wasserkraftanlagen in Pleystein in der Oberpfalz. Firmen in diesem Segment haben ihre Hauptfertigung meist am Firmensitz. Eine Fertigung im Ausland erfolgt meist nur projektbezogen und aus Subventions-Gründen. Offshoring/Reshoring ist bei diesen heimatverbundenen Firmen kein Thema.
Bioenergie
Die Bioenergiebranche unterteilt sich nicht nur in den Aggregatzustand der Biostoffe (fest= Holz/Pellets, flüssig= Pflanzenöle etc., gasförmig= Biogas), sondern auch nach dem jeweiligen Einsatzzweck: Wärme, Strom oder Kraftstoffe. Die meisten der vielen hier eingesetzten Verfahren gehören nicht zur Kategorie High-Tech. Sie lassen sich meist von verschiedenen Herstellern in der jeweiligen Region fertigen, so dass de facto kein echter Weltmarkt mit internationaler Nachfrage existiert. Es kommt mehr auf Installation, Reparatur und Wartung an. Insofern ist die Frage nach Offshoring/Reshoring hier meist nicht gegeben.
Stromspeicher
Jüngstes Beispiel für Reshoring im Speichermarkt ist die österreichische Firma BlueSky Energy, ein Spezialist für Salzwasser-Batterien als „Hausspeicher“. Bisher ließ BlueSky Energy seine „Greenrock“-Speicher in China fertigen. Doch die Fertigungskapazitäten dort sind limitiert, und die Lieferzeiten aus Asien per Schiffstransport sind Corona-bedingt von ca. 8 auf bis zu 10 Wochen angestiegen. Das mag für den einen oder anderen Kunden deutlich zu lange dauern. Um die Produktionszahlen zu verzehnfachen und dennoch die Produktqualität zu sichern, plant BlueSky Energy den Aufbau einer hochautomatisierten regionalen Batterieproduktion im deutschsprachigen Raum. Dazu hat sie ein entsprechendes Beteiligungsmodell aufgelegt. Ohne das konkrete Anlage-Angebot beurteilen zu können oder zu wollen, macht das Beispiel deutlich, dass die Corona-Krise die Überlegungen zu einem Reshoring nochmals beschleunigt.
Hausspeicherproduzenten gibt es in Deutschland und Europa einige, doch praktisch alle, die auf die Lithium-Ionen-Technologie setzen, beziehen die Zellen als Grundelement ihrer Speicher von den großen Herstellern aus Fernost. Für Speichersegmente mit noch mehr kWh, z.B. im E-Auto-Bau, können solche Abhängigkeiten zur gefährlichen Lieferengpass- und Kosten-Fallen werden. Daher setzen sowohl die Regierungen als auch die Industrie auf eine neu zu errichtende europäische Zellfertigung; einige Autohersteller wie VW haben bereits konkrete Schritte in diese Richtung unternommen.
Fazit
Die Corona-Krise hat das Reshoring weder ausgelöst noch bisher in größerem Umfang verstärkt. Die Tendenzen dazu und die Argumente dafür waren schon vorher da. Dennoch kann die jetzige, ja gerade erst begonnene Krise dazu führen, dass sich Maßstäbe bei der Bewertung von Lieferketten ändern. Dazu kommen rationellere Produktionsverfahren und insbesondere die neue 3-D-Technik, die eine Auslandsproduktion nur aus Lohnkosten-Gründen nicht mehr zwangsläufig erscheinen lassen.
Götz Warnke