22.05.2020
Keine Enteignung von selbsterzeugtem Strom
Die Mitteilung der Bundesregierung, man habe sich in der Koalition über den 52 GW-Deckel und die 1.000 Meter-Abstandsregelung geeinigt, hat offenbar bei vielen erst einmal zu Erleichterung geführt. Beim zweiten Blick offenbart sich aber hinter dieser Meldung, dass die Deckelung der EEG-Förderung nur für PV-Anlagen bis 750 Kilowatt aufgehoben werden soll. Das große Damoklesschwert für die PV ist also längst nicht weg. Die Branche kann noch längst nicht aufatmen. Denn ob es tatsächlich zu einer kompletten gesetzlichen Abschaffung des Deckels kommen wird, dazu gibt es nach wie vor keine konkrete Aussage von der Koalition.
Die 1.000 Meter-Abstandsregelung wird zur Regel und die neu erfundene Länderöffnungsklausel kann eher zu regionalen Verschlechterungen führen. Der Windenergie, die unter den Ausschreibungen leidet, hilft das nichts. Im Gegenteil, das Ausbauniveau dürfte im Keller bleiben. Schaut man auf das, was in den vergangenen Monaten hinter den Kulissen und hinter den Diskussionen um Deckel und Abstandsregel eingetütet worden ist, bekommt man noch einmal ein ganz anderes Bild. Nämlich das eines planmäßigen Handelns gegen die Bürgerenergie und gegen den Ausbau der Erneuerbaren.
Die Forderungen nach Aufhebung des Deckels und für eine Revitalisierung der Windkraft hatten den Blick für die von der Bundesregierung taktisch klug eingefädelten neuen Prosumer-Optionen verbaut, mit denen der Wirtschaftsminister zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will. Zum einen soll die Entwicklung der Bürgerenergie und der Prosumer abgewürgt, zum anderen soll genau das als Umsetzung der EE-Richtlinie der EU in nationales Recht verkauft werden. Goethes Faust lässt grüßen.
Dass der Streit zwischen Union und den Sozialdemokraten solange dauern musste, scheint wenig glaubhaft. Einleuchtender ist es hingegen, das Publikum, das ja von den Solarverbänden auf die EE-Richtlinie als große Chance zur Befreiung von Abgaben und bürokratischen Hemmnissen eingeschworen worden war, in homöopathischen Dosen mit den gegenteiligen Vorstellungen der Regierung und der alten Energiewirtschaft bekannt zu machen.
Das geschah über die sogenannten Barometer-Gutachten und über Tarifmodelle, die von der Bundesnetzagentur als deren Meinung über die Zukunft der Prosumer scheinbar eigenständig in die Welt gesetzt und promotet worden waren. Aber auch über wohlgesetzte Beiträge im Handelsblatt und anderen Organen, inklusive solchen aus der Energiewendecommunity wurde dies verbreitet. So konnte erst mal der Eindruck erweckt werden, der Wirtschaftsminister habe damit gar nichts zu tun.
Auch wenn die "Deckung hinter dem Deckel" Wirkung gezeigt hatte und ein Teil der Solarbewegung völlig ahnungslos darüber war, dass die Bundesregierung in den Brüsseler Endverhandlungen zur EE-Richtlinie es noch geschafft hatte, ein Hintertürchen mit der Aggregatorenlösung in den Gesetzestext einzubauen, ging die Debatte um die Zukunft der Bürgerenergie doch mit einiger Wucht los. Offenbar, aus Sicht der Strategen des Wirtschaftsministeriums, zu früh.
Angefangen von Frank Farenskis legendärem Youtube-Interview mit Andreas Piepenbrock vom Speicherhersteller E3/DC, über klare Worte von Eicke Weber, dem Ex-Leiter des Fraunhofer ISE, bis hin zu detaillierten Veröffentlichungen in den DGS News kam eine Diskussion in Gange, die in der Lage ist, die Einheit unter den verschiedenen Organisationen der Solarbewegung peu à peu herzustellen.
Selbst wenn ein Teil der Verbände der Erneuerbaren nach wie vor der Illusion anhängt, den Versprechungen der großen Koalition glauben zu können, und nach jeder angekündigten Verschärfung gegen Solar und Wind winzige Korrekturen derselben als Erfolge empfindet, die den Erneuerbaren mit Hilfe der Regierung doch noch zum Durchbruch verhelfen könnten, zeichnet sich inzwischen eine Strömung ab, die entschlossen die Existenz der Bürgerenergie zu verteidigen bereit ist.
Ein Ausdruck davon ist gegenwärtig die Resolution von Bündnis Bürgerenergie (BBEn) und Solarenergie Förderverein (SFV), die aus der Petition "Kein Aus für Solaranlagen nach 20 Jahren", die mehr als 120.000 Unterschriften zusammen brachte, entstanden war. Sie hat sich weiterentwickelt zur Forderung an den Wirtschaftsminister "Wir brauchen jetzt ein Recht auf solare Eigenversorgung! Hausgemachte Energie für alle!" (siehe dazu auch Meldung in diesen News). Sie sieht in der EE-RL die Möglichkeit, ein "nichtdiskriminierendes Recht auf Eigenversorgung“ zu etablieren.
Sie fasst dies in drei Forderung zusammen:
- 1. Solarstrom vom Dach oder sonstiger Fläche zur eigenen Versorgung darf nicht finanziell belastet werden
- 2. Alle müssen individuell oder gemeinsam die Möglichkeit bekommen, Anlagen zur eigenen Versorgung zu betreiben
- 3. Die Pionieranlagen der Energiewende müssen weiter betrieben werden können.
Ein starkes Recht auf Eigenversorgung durch lokalen Solarstrom in Verbindung mit Speichern würde zu einem starken Wiederanschub des Ausbaus von Ökostromanlagen führen und neue Gestaltungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger eröffnen.
In exakt die gleiche Richtung zielt eine weitere Petition aus Stuttgart, formuliert von Barbara Kern und Uli Jochimsen, in der die Prosumer-Modelle der Bundesregierung abgelehnt und als "Enteignung von selbst erzeugtem Strom" abgelehnt werden. Explizit kritisiert diese Petition die von der Bundesregierung bevorzugte Aggregatoren-Lösung (siehe DGS News vom 1. Mai 2020) und fordert in Übereinstimmung mit der vorhergehend beschrieben Petition von BBEn und SFV, dass mit der EE-RL eine "freie und individuelle Eigenversorgung" gewährleistet werden müsse "ohne Übergriffe durch neu geschaffene Aggregatoren“.
Damit zeichnet sich einerseits eine Linie ab, die ein Bild davon hat, "ohne Inanspruchnahme des öffentlichen Netzes" und ohne Belastung mit der Sonnensteuer neue und autarke Wege gehen zu können. Gleichzeitig dürfte dies zu Debatten mit denjenigen Sonnenfreunden führen, die sich nur eine Integration der Erneuerbaren in das bestehende, zentrale Energiesystem vorstellen können oder wollen. Die Bürgerenergie und die Solarorganisationen müssen sich, ob sie wollen oder nicht, entscheiden zwischen der Rolle als billiger subalterner Stromlieferant für die Großen oder der Erkämpfung des Rechts auf solare Eigenversorgung.
Klaus Oberzig
Links
Petition „Keine Enteignung von Selbst erzeugtem Strom“
Das Antispeicherpapier der BNetzA, DGS News vom 8. Mai 2020
Prosumermodell mit Aggregatoren – wer füllt die Lücke, DGS News vom 1. Mai 2020