22.02.2019
Die sich wandelnde Rolle der Versorger
Nachdem der Ökostromanbieter Lichtblick angesichts der wachsenden Marktmacht von Eon davor gewarnt hatte, ein Big-Data Monopol sei im Entstehen begriffen, gerät die Rolle der Versorger als digitale Dienstleister, lange nach der Verabschiedung des Digitalisierungsgesetzes, ins Blickfeld der Diskussion. Die These, aus einem Energieversorger, der 80% der Endkundenanschlüsse kontrolliert, könnte einen Moloch ähnlich wie Amazon entstehen, basiert auf der Erkenntnis, wie dynamisch solche Big-Data Plattformen sind und was daraus alles entstehen kann. Mit Gas, Wasser, Strom und Breitband lassen sich digitale Dienste und Modelle entwickeln und abrechnen, die vor kurzem noch undenkbar erschienen. Vom zusätzlichen Verlegen bzw. Betreiben von Glasfaserkabeln bis hin zu Telefonie und Internet, ein Energieversorger der im Netz aktive Technik einsetzt, erweitert oder einkauft, kann recht schnell zum Telekommunikationsanbieter und Mobilitätsdienstleister mutieren. Dass damit längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein dürfte, zeigt das stürmische Wachstum von Amazon, Google oder den Chinesen von Alibaba, dessen Zeuge wir gegenwärtig sind.
Der Hintergrund dieser Entwicklung besteht darin, dass in Zeiten einer sich entwickelnden Null-Grenzkosten-Gesellschaft mit der reinen und ausschließlichen Energieerzeugung kein Geld mehr zu machen sein dürfte. Man könnte es noch extremer ausdrücken: woher und vom wem die Energie erzeugt und geliefert wird, wird unerheblich sein. Das haben die Energiekonzerne verstanden und bauen ihre Geschäftsmodelle strategisch um. Energiedienstleistungen im und rund um das Netz, also die Fähigkeit zum Fluktuationsausgleich - apostrophiert als umfassende Fürsorge und Versorgungssicherheit - werden als lukratives Kerngeschäftsfeld eingerichtet. Und wenn einmal dieser enorme Investitionsaufwand in Netzen, Leistungselektronik und Big-Data Plattform getätigt ist, muss für einen angemessenen Return of Investment und vor allem für permanentes Wachstum gesorgt werden. Das ist für finanzstarke Energiekonzerne, die auch mit Regierung und Politik gut vernetzt sind, kein Problem. Je größer das Netz desto leichter lässt es sich vermarkten und desto mehr Umsatz wird generiert. Das Digitalisierungsgesetz hat die passende Grundlage geschaffen.
Wie steht es aber um die vielen Stadtwerke und kommunalen Unternehmen, die ihre neue Rolle als digitaler Versorger erst noch finden und realisieren müssen? Auch Sie werden sich um Fluktuationsausgleich und die Verbesserung der Netzauslastung in ihrem Operationsgebiet kümmern und Ihre Geschäftsprozesse automatisieren müssen. Auch Sie können sich weitere Nischen erschließen, ist doch in der Regel eine relativ große Zahl von Haushalten vor Ort bei ihnen Kunde. Zudem haben sie den Vorteil, dass sie Partner oder im Besitz der Kommunen sind. Vor dem Hintergrund der regionalen bzw. lokalen Wirtschaft und der Arbeitsplätze wird die Kommunalpolitik sie im Wettbewerb gegen die Großen durchaus unterstützen. Darüber hinaus haben solche Unternehmen innovative Tendenzen, ein Aspekt, den sie den Großen voraus haben. So können sie in den Konkurrenzkampf mit den Konzernen ziehen.
Etwas differenzierter gelagert ist die Situation bei den Unternehmen, die als Bürgerenergie Betreiber von großen Wind- und Solarparks sind. Ihnen fehlt bislang die umfassende Fähigkeit der eigenständigen Vermarktung im Endkundengeschäft. Schließlich sind sie historisch als reine Erzeuger von Biostrom oder -wärme entstanden und auf Basis des EEG gewachsen. Als reine Energieerzeuger sind sie selbst auf Vermarkter und Dienstleister angewiesen. Ausnahmen bilden hier Unternehmen wie etwa die Elektrizitätswerke Schönau (EWS), Naturstrom oder Greenpeace Energy, um die bekanntesten zu nennen, die traditionell auch im Endkundengeschäft aktiv sind. Gerade sie müssen die Fähigkeit des dezentralen Fluktuationsausgleiches entwickeln und anbieten. Auch wenn es schwerfällt, hier von Big-Data-Plattformen und Modellen zu sprechen, haben sich einige der erwähnten Unternehmen längst auf den Weg gemacht, sich diese Ressourcen anzueignen. Gute Voraussetzungen bestehen unter anderem darin, dass sie bundesweit unterwegs sind und diese Präsenz weiter ausbauen können. Ihr Vorteil besteht im Image als „Spezialanbieter von atomstromloser, klimafreundlicher und bürgereigener Energie" (EWS) mit dem sie einen festen Kundenkreis organisieren zu können, der zugleich eine ideologische Bindung an sie hat.
Ob dies den restlichen Betreibern aus der Bürgerenergie gelingen wird, steht in den Sternen. Nur wenige haben die bedrohlichen Zeichen der Zeit erkannt, als reine Energieerzeuger in die Rolle von Zulieferern abzustürzen und mit der Zeit aus dem Markt eliminiert zu werden. Als positives Beispiel für neue konzeptionelle Überlegungen steht die Energie-Genossenschaft Murrhardt (EGM), die einen lokalen Strommarkt etablieren möchte und dafür entsprechende politische Rahmenbedingungen einfordert. Dezentral erzeugte elektrische Energie solle vorrangig in unmittelbarer Umgebung der Erzeugungsanlagen verbraucht werden. Diese Kleinzelligkeit wäre die faktische Grundlage für den lokalen Strommarkt, für bürgerschaftliches Engagement und Investment. Durch die Echtzeitmessung von Erzeugung und Verbrauch ließe sich eine lokale Lieferung definieren und abrechnen. Damit könnte ein lokaler (Bürger-) Strommarkt kaufmännisch abgebildet werden. „Wir wollen über ein bürgerschaftlich organisiertes Energiekonzept beispielhaft aufzeigen, wie darauf eine bedarfsorientierte bürgerschaftliche Selbst-Versorgung mit elektrischer Energie aus erneuerbaren Energien aufgebaut werden kann“, so die EMG in einer Stellungnahme. Die Bedarfsorientierung führe zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage unter Einschluss des Einsatzes von Speichern und dem Verbund von Strom, Wärme und Mobilität und damit zu einem systemdienlichen Verhalten.
Eine solche Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft bildet eine lokale Energiezelle und könne als Genossenschaft organisiert werden. Ziel sei ein möglichst hoher Grad an Selbst-Versorgung bzw. eine vollständige Autonomie. „Daher wollen wir auch nicht, dass von außen in unsere ‚Lokalversorgung hinein gestaltet oder gesteuert‘ werden kann“, so die EGM. Inwieweit sich Konzepte energieautarker Kommunen durchsetzen können, wird die Zukunft zeigen. Auf alle Fälle läuft die Diskussion über Subsidiarität, Dezentralität und zellulare Systeme, wie sich eindrucksvoll an einem zweitägigen Kongress über energieautonomen Kommunen Anfang Februar in Freiburg zeigte. Auch wenn die Ansätze überhaupt nicht einheitlich und noch nicht wirklich weit entwickelt sind, haben sie eines gemeinsam: sie verstehen sich als Gegenentwürfe für die großen Big Data-Plattformen.
Baulösungen zum Anfassen – Die Getec in Freiburg
Eon auf dem Weg zum Big-Data-Monopol – Steigbügelhalter ist die Bundesregierung
Energiegenossenschaft Murrhardt EGM eG