22.01.2021
Energiebeirat Bayern: Wenn ein Wirtschaftsminister das Rad neu erfindet
Ein kommentierender Bericht von Heinz Wraneschitz
10H: Die Verordnung bedeutet, dass in Bayern neue Windräder mindestens zehnmal so weit von Wohnbebauung entstehen dürfen, wie sie hoch sind. 10H ist im südlichen Freistaat ein riesiges Problem. Denn es behindert den Ausbau der Ökostromproduktion ganz massiv.
Als die Freien Wähler (FW) vor gut zwei Jahren in das aktuelle Regierungsbündnis mit der CSU eingestiegen sind, hat Hubert Aiwanger 10H akzeptiert. Doch der ist seither nicht nur FW-Vorsitzender, sondern auch der für Energie- und Wirtschaftspolitik zuständige Staatsminister. Als gelernter Diplom-Agraringenieur sollte er in der Lage sein, zu erkennen: Energiewende ist weit mehr, als Strom aus Kernkraftwerken durch solchen zu ersetzen, den die Natur mittels Wind, Wasser, Biogas, Geothermie oder Sonne erzeugt.
Als der Minister am Dienstag nach der ersten Sitzung des - laut seiner Aussage von ihm erfundenen - Bayerischen Energiebeirats vor die hybrid im Saal und im Netz versammelte Presse trat, sprach er offiziell zwar über die "Fortschritte der Energiewende". Die 75 Mitglieder des Beirats hätten gelobt, was "vor Jahrzehnten noch milde belächelt wurde: Die heute über 50 Prozent Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien; die Wertschöpfung vor Ort; den am Ende preiswerteren Strom als aus Fossilen oder Atom."
Und Bayern habe "Wasserstoff, die perfekte Symbiose aus Ökonomie und Ökologie, von der Leine gelassen, die H2-Strategie mit Leben gefüllt. Bund und EU haben erst nachgezogen", hob Bayerns Wirtschaftsminister seine Vorreiter- und Erfinderrolle bei dieser Speichertechnologie heraus. Doch mit dem Erfinden ist es so eine Sache. Den Energiebeirat hat Hubert Aiwanger keineswegs erfunden. Den gibt es nämlich schon lange. Mit seit 30. Mai 74 gültigem Satzungstext: Der ist auf der regierungsamtlichen Seite gesetze-bayern.de nachzulesen.
Amtsvorvorvorgänger Anton Jaumann (CSU) hat diese Satzung unter dem Aktenzeichen 6200 - VI/1f - 40584 am 3. Dezember 1974 veröffentlichen lassen. Nicht mehr als 30 Mitglieder solle der Beirat haben: aus den verschiedenen Bereichen der Energiewirtschaft. Verbraucherschützer und Verbände sollten dabei sein, welche "durch die Energieversorgung berührte Interessen wahrnehmen". Und "die mit Energiefragen befassten Staatsministerien und unabhängige Sachverständige".
Nicht zu vergessen: "Vertreter des Bayerischen Landtags." Die aber habe Aiwangers Ministerialenriege gar nicht erst eingeladen, ist einer gemeinsamen Presseerklärung der "Demokratischen Opposition im Landtag" zu entnehmen. SPD, Grüne und FDP kritisieren das Regierungsmitglied dafür "scharf", nennen das Vorgehen "absolut inakzeptabel".
Auf jeden Fall widerspricht es der Vorgabe jener besagten Satzung. Deren "Text gilt seit dem 30.05.1974", steht obendrüber, inhaltlich verantwortet von der Bayerischen Staatskanzlei. Der Sprecher des Landtags gibt den Oppositionellen augenscheinlich recht: "Die Tatsache, dass die Ausführungen gegenwärtig online öffentlich einsehbar sind, weist darauf hin, dass die Satzung nach wie vor gültig ist."
Beileibe nicht nur Lob
Wer Teilnehmer der am Dienstag online stattgefundenen Beiratssitzung fragt, erfährt immer wieder: Es sei beileibe keine einhellige Lobesarie auf Aiwanger herabgeprasselt. Immer wieder sei die starke Fixierung auf den Ersatz von Atom- durch Erneuerbaren Strom kritisiert worden.
Raimund Kamm, erster Sprecher der Landesvertretung Bayerns des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE), fehlte ein klare Auskunft auf die Frage: "Wie viel Wasserstoff können wir hier selbst erzeugen, und welche Mengen müssen wir darüber hinaus importieren?" Denn Minister Aiwanger hatte den pauschalen Plan verkündet: "Fossile Energieträger durch Grünen H2 aus aller Herren Länder ersetzen!" Russland oder Rumänien hatte er auf Nachfrage konkret genannt, aber auch "fast ganz Afrika, die H2-Region der Zukunft".
Dieses Ansinnen empfindet beispielsweise Richard Mergner vom Bund Naturschutz als "fast neokolonial. Zuerst haben diese Länder Eigenbedarf an Erneuerbarer Energie." Die Sitzung selbst sei "ein wilder Austausch gewesen. Ohne Vorlagen, um sich vorzubereiten, kann man sich den Beirat sparen", nennt Mergner als große Organisationsschwäche.
Rainer Kleedörfer von der N-Ergie aus Nürnberg haben gerade Ideen "zur Wärmewende gefehlt. Die ist elementar, die muss stärker in den Vordergrund treten." In dieselbe inhaltliche Kerbe haut auch Martin Marcinek, bei ver.di Bayern für den Ver- und Entsorgungsbereich zuständig: "Zu viel Strom, zu wenig andere Energiethemen."<
Stattdessen - wie bereits erwähnt - stand der Strom im Mittelpunkt. Im Beirat wie vor der Presse. Aiwanger hob die Erfolge heraus, die Bayern am Ende der Bundes-Beratungen um das EEG 2021 aufzuweisen habe: In diesem Erneuerbare Energien-Gesetz sei die Erzeugung von H2 nun genauso von der EEG-Umlage befreit wie der Solarstrom aus kleineren Photovoltaikanlagen, der im eigenen Haus genutzt werde. "Wir sind auf einem guten Weg, nicht mit Worten, sondern mit Taten", fand er Eigenlob.
Doch bei der Pressefrage nach dem Windkraftausbau versuchte Aiwanger vom 10H-Dilemma abzulenken: "Das steht so im Koalitionsvertrag. 1.200 Meter sind 5H, das wäre ein guter Kompromiss. Eine gezielte Unterstützung für Kommunen, die von 10H abweichen" versprach er zudem. Und er verwies auf die ebenfalls von ihm ins Spiel gebrachten "Windkümmerer". Die sollen zwischen Nachbarkommunen moderieren, um wieder mehr Windräder auf Felder und in Wälder aufzustellen. Ein Anteil an der Einspeisevergütung solle deren Entgegenkommen "versilbern. Wer Tag und Nacht ein Windrad anschaut, soll etwas davon haben."
OK, sagt Stefan Bachmaier vom Projektentwickler Ostwind aus Regensburg, der nicht dabei war: "Ohne einen deutlichen Zubau an Windenergie binnen der nächsten Jahre werden die bayerischen Klimaziele nicht erreicht." Er nimmt aber auch Aiwangers Chef die Pflicht: "Wo bleiben die von Ministerpräsident Söder angekündigten 100 Windenergieanlagen im Staatswald?"
Doch auch wer dabei war, hatte offenbar nicht viel davon: "Oft abstrakte und detailverliebte Vorträge" lautet eine mehrfach geäußerte Meinung. Und, kein Wunder bei insgesamt 75 Berufenen - maximal 30 empfiehlt die Satzung: Viele Beiratsmitglieder kamen gar nicht erst zu Wort, reichten ihre Ideen schriftlich ein.
Ob die Schriftsätze etwas bewirken? Man darf gespannt sein. Denn immerhin startete die Staatsregierung in den vergangenen Jahren viele Initiativen zu Energiefragen. So Der tagte beispielsweise der Energie-Gipfel gleich mehrfach. "In 70 Punkten eingegangen" sei der, so der Minister. Aber wo genau? Da gab es sehr effektive Windstützpunkte wie in Wildpoldsried oder Uffenheim - werden die noch unterstützt? Was macht eigentlich das Ökoenergie-Institut am Landesamt für Umwelt LfU in Augsburg? Oder was genau hat die Bevölkerung von LENK, der Landesagentur für Energie und Klimaschutz? Seit dem großen Knall beim Startschuss im letzten Sommer war nicht mehr viel zu hören vom "Team Energie" aus Regensburg. Aber vielleicht ist es ja noch nicht ganz fertig mit "wir krempeln die Ärmel hoch und packen die Energiewende gemeinsam an", dem LENK-Motto.
Aus der neuen Beiratsliste - sie liegt uns vor - macht das Ministerium im Übrigen ein Geheimnis ("Nein, die Liste ist derzeit nicht öffentlich...") Stellt sich die Frage: Warum? Weil die Ingenieurvereine VDE und VDI fehlen? Oder, weil mit Albrecht Schleich vom CSU-nahen Wirtschaftsbeirat der Union doch ein regierungsparteinaher Repräsentant dabei war - nicht aber die "demokratische Opposition"?