21.10.2022
Von Energiepreis und Deckel und Solidarität und so
Ein Debattenbeitrag von Heinz Wraneschitz
Der Doppelwumms des leisen Kanzlers von 29. September soll 200 Mrd. Euro wert sein, heißt offiziell (eigentlich irritierend!) „Energie-Abwehrschirm“ – und ist nach Meinung des Bundesrechnungshofs „möglicherweise verfassungswidrig“. Dabei soll der Doppelwumms laut Olaf Scholz „dazu beitragen, dass alle gut zurechtkommen und die Preise bezahlen können“; er soll also etwas mit Solidarität zu tun haben.
Für Solidarität sorgen: Ja, das wäre eigentlich ureigenste Sache der gestaltenden Gesellschaft, also der Politik. Wer aber unbedarft durch das Web duckduckelt, bekommt bei der Suche nach „Energiepreis Deckel Solidarität“ zunächst jede Menge Ergebnisse angezeigt zu einer Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB. Die stammt schon vom 30. August 2022.
Die vom DGB errechneten Kosten für die Preisdeckel von Strom und Gas liegen gerade mal bei 23 Mrd. Euro, und zwar dann, wenn der reale Gaspreis bei 20 ct/kWh liegt. Sorgt also der 200-Mrd.-Doppelwumms gar für zehn Mal so viel Solidarität, wie es sich der DGB wünscht?
Schnelle Hilfe: Fehlanzeige!
Wohl kaum. Und vor allem nicht sofort. Dabei wäre genau das wichtig: Menschen gerade mit geringem Einkommen müssen eine Perspektive bekommen, ihre Energiekosten im nächsten Winter auch tatsächlich tragen zu können.
Und Solidarität mit den dezentral aufgestellten Partnern der Erneuerbaren beim Doppelwumms? Pustekuchen. „Wir werden im Rahmen der aktuellen europäischen Diskussion den vernetzten Ausbau gemeinsamer Flächen für Offshore Wind, den Ausbau von Interkonnektoren sowie paneuropäische Investitionen in Wasserstoff-kompatible Pipeline-Infrastruktur vorantreiben.“ So steht es auf Seite 3 des regierungsamtlichen Doppelwummspapiers.
Ein langfristiges Investitionsprogramm also für die Groß-Energie- und Übertragungsnetzkonzerne, aber nicht für den schnellen Ausbau der dezentralen Bürgerenergie vor Ort.
Eine offensichtliche Lüge enthält dieses Papier vom 29. September zur „EU-Solidarabgabe für Unternehmen im Energiebereich“ außerdem. Darin steht: „Die Bundesregierung unterstützt den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung einer Solidarabgabe für Unternehmen im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich.“ Tatsächlich aber hat unsere Zukunftsampelregierung brandaktuell gerade auch die Erneuerbaren als Ziel der Übergewinnabschöpfung auserkoren – und zwar rückwirkend zum 1. März 2022. Außer, dass der Branchenverband BEE dies als „in Teilen verfassungswidrig“ ansieht:
Für BEE-Präsidentin Simone Peter „gefährdet die Bundesregierung dadurch die gerade jetzt dringend notwendigen Neuinvestitionen in die Sicherheit der deutschen Energieversorgung. Ohne den starken Ausbau der Erneuerbaren Energien wird es nicht gelingen, kommende Energiekrisen zu vermeiden.“ Diesen „Vertrauensbruch“ (BEE) hatte der Verband offenbar nicht erwartet, sondern Solidarität. Und zwar durch konkrete Unterstützungsmaßnahmen, nicht durch Abschöpfung.
Konkretes nur von einem FDP-Mann
Aber Konkretes hat die Zukunftsampel ja in besagtem Papier „Wirtschaftlicher Abwehrschirm gegen die Folgen des russischen Angriffskrieges“ ohnehin nicht verkündet, sondern fast nur Allgemeinplätze. Bislang ist eigentlich nur ein FDP-Mann mit einer eindeutigen Zahl für den Strompreisdeckel für Endverbraucher an die Öffentlichkeit gegangen: 30 ct/kWh Strom, das wäre weniger als vor der Krise. Die hat im Übrigen schon lange vor Putins völkerrechtswidrigem Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen, nämlich im Sommer 2021.
Doch von einem regierungsamtlichen Strompreisdeckel würden nach jetzigem Stand alle gleichermaßen profitieren, Arme wie Superreiche. Andererseits würden im Wärmebereich nur Gas- und Wärmepumpenbeheizte etwas von einem Preisdeckel haben, nicht jene, die Öl, Holz, Pellets verheizen – oder gar Kohle. Dabei sind die Heizkosten für alle im Mehrhunderprozentbereich in die Höhe geschnellt, nicht nur für die Gasbezieher:innen.
Also ist Solidarität wohl doch nicht das, was wir von den Verantwortlichen der Ampel erwarten können, ohne Druck aufzubauen. Und schon sind wir wieder beim DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften, die offenbar die Hüter:innen der Solidarität in diesem unserem Lande sind. „Solidarisch durch die Krise“ will beispielsweise ein Bündnis führen, dem die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di angehört. An diesem Samstag, dem 22. Oktober, plant das Bündnis deutschlandweit Auftritte, von Großdemos bis zu Infotischen.
Und das mit konkreten Forderungen: „Zielgerichtete Entlastungen für dringend Unterstützungsbedürftige. Eine Gesamtstrategie für eine nachhaltige, bezahlbare Grundversorgung sowie massive Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen.“
„Unten entlasten, oben belasten“: Auch das fordern die Gewerkschaften, und zwar seit langem. Doch was plant die Ampel? Sie will offenbar den 200-Mrd.-Doppelwumms nach dem Gießkannenprinzip verteilen: Wer viel hat – wie die übliche FDP-Klientel -, bekommt noch etwas obendrauf.
Wie Solidarität geht
Dem unkonkreten Regierungsprogramm stellen die Gewerkschaften und ihre Partner echte Zukunftsperspektiven entgegen. „Wir überlassen in diesem Herbst nicht den Spaltern und Hetzern die Straße, sondern geben den vielen Menschen eine Stimme, die solidarisch die Krise stemmen wollen. Damit unsere Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet, muss die Ampel die Kosten der Krise endlich fair verteilen. Wir wollen uns dafür stark machen, dass aus der Krise ein Aufbruch erwächst“, sagt beispielsweise Christoph Bautz von der Bürgerbewegung Campact.
Der Energiepreisdeckel ist also nur sehr kleiner Teil dessen, worum sich die Regierung kümmern muss: Es geht schlichtweg um die Zukunftsperspektiven unserer Gesellschaft. Und dafür sind neben Frieden in der Ukraine und dem Rest der Welt „eine solidarische, ökologische Politik in Deutschland und Europa notwendig. Dazu gehört besonders der Klimaschutz einschließlich der Landwirtschaft. Eine solidarische Politik muss gleichzeitig die Weichen stellen, um die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten zu beenden. Und zwar jetzt! Aber leider blockiert die selbsternannte „Zukunftsampel“ immer noch den dafür notwendigen konsequenten, ökosolidarischen Wandel.“ So hat es ver.di Mittelfranken in einem Flugblatt für den „Solidarischen Herbst“ am Samstag in Nürnberg geschrieben. Ein echt solidarischer Ansatz statt Gießkannen-Doppelwumms.