21.07.2023
Weniger tut gar nicht weh
Ein Essay von Götz Warnke
Jedes Jahr im Januar beginnt das große Fest des „Weniger“: Weniger Alkohol, weniger rauchen – oder gleich ganz aufhören –, weniger Gewicht am Bauch und auf den Hüften gehören zu den häufigsten der guten Neujahrs-Vorsätze. Auch wenn sie dann im harten Alltag oft über kurz oder lang wieder vergessen bzw. aufgegeben worden sind, so zeigen sie doch, dass der Begriff „Weniger“ durchaus positiv besetzt sein kann. Schließlich sollen mit diesen Vorsätzen ja mehr Beweglichkeit, Gesundheit und Lebensfreude erreicht werden.
Auch jenseits dieser höchstpersönlichen Ebene erscheint uns das Weniger in unserem Alltag positiv: Weniger Fixkosten im Monat schaffen finanzielle Freiheit, weniger Neues kaufen (müssen) und die längere Nutzung vorhandener Geräte oder deren Reparatur ersparen nicht nur Geld, sondern auch die Zeit für die Lektüre von neuen Bedienungsanleitungen und eventuell Enttäuschungen über die Leistungen des neuen Geräts. Und weniger beruflich pendeln (zu müssen) durch das Homeoffice bedeutet weniger Stress durch volle Straßen oder verspätete Bahnen, weniger verbrauchte Lebenszeit auf Verkehrswegen, weniger Kosten.
Für dieses Weniger gibt es Fachbegriffe wie Degrowth (Wachstumswende) oder Suffizienz (Selbstgenügsamkeit, Orientierung am Bedarf). Schon aus den Begriffen wird deutlich, was dem entgegensteht, was sozusagen der Gegenspieler ist: das ökonomische Wachstum im Sinne des „Mehr, Mehr“, das stets versucht, neue Bedürfnisse zu wecken und diese dann im Sinne der entsprechenden Produzenten profitabel zu befriedigen. Bei diesen „Produzenten“ kann es sich auch um Börsenfantasien produzierende, selbsternannte Topmanager handeln, um Aufstiegsfantasien produzierende Mitglieder der Politikerkaste oder um Wohlstandsfantasien verbreitende Gewerkschaftsbonzen. Allen gemein ist der stete Ruf nach mehr Wachstum.
Dass dieses stete Wachstum kein Wert an sich ist, zeigt sich schon an der Tatsache, wie stark seine Produkte – sei es materiell oder rhetorisch – beworben und verpackt werden müssen – schöner Schein zählt hier viel. Es macht eben einen Unterschied, ob echter Bedarf vorhanden ist („ist unbedingt notwendig, muss ich haben“) oder nur ein – zum Teil herbei manipuliertes Bedürfnis („total in, schick, will ich haben, auch wenn ich es eigentlich nicht brauche!“).
Nun ist, aller Wachstums-Ideologie und -Rhetorik zum Trotz, die Erde ein begrenztes System. Wegen der Planetaren Grenzen kann der Ressourcenverbrauch nicht unbegrenzt ausgedehnt werden. Und auch die Energieträger, ja selbst die Erneuerbaren Energien sind nicht grenzenlos vorhanden. Letztlich wissen das auch die Wachstums-Jünger, weshalb sie gerne auf den Begriff der Effizienz verweisen.
Effizienz ist zweifellos wichtig, da wir ohne – gesteigerte – Effizienz die Energiewende nicht schaffen und die Klimakrise nicht stoppen werden. Hinter der Effizienz stecken bewundernswerte Innovationsideen und Ingenieurleistungen. Die heute längst auf Sparsamkeit getrimmte Struktur eines Motorrads durch Innovationen nochmals z.B. mehrere Dutzend Kilo „abspecken“ zu können, ist zwar einerseits eine hervorragende Ingenieursleistung. Die wäre aber andererseits von geringem Wert, würde das Motorrad fossil betrieben oder bestände die neue Struktur aus energieintensiv herzustellenden oder ökologisch problematischen Stoffen.
Zudem dient bei den Wachstums-Narrativen (und -Narren) die Rede von der zunehmenden Effizienz vielfach nur dazu, nach dem Prinzip Hoffnung die Gesellschaft zu beruhigen, also um so weiter machen zu können wie bisher. Für viele Unternehmen dient Klimaschutz allenfalls als gute Werbestrategie und moralisches Feigenblatt. Und wie wenig erfolgreich die lauthals verkündeten Effizienz-Offensiven der Industrie sind, lässt sich schon an dem alljährlich vorrückenden Erdüberlastungstag (engl. Earth Overshoot Day) ablesen.
Und schließlich sollte doch jedem intelligenten Menschen einsichtig sein: Die Notwendigkeit einer von Klimagas-Emissionen freien Wirtschaft und Gesellschaft eröffnet keine Möglichkeit für weitere, wenngleich geringere Klimagas-Emissionen – „ein wenig schwanger“ gibt es nun mal nicht. Oder um es mit dem Begriffspaar >Effizienz und Suffizienz< zu verdeutlichen: Man kann seinen täglichen Arbeitsweg hinsichtlich Kosten, Energie und Zeiten so effizient gestalten wie man will – man wird nie an die Ergebnisse eines Verzichts auf den Arbeitsweg durch Homeoffice heran kommen.
Wo nun sollte also Suffizienz sowohl privat als auch gesellschaftlich ansetzen? Wo sind die größten „Hebel“ gegen die Klimakrise?
Da sind zum einen der Energie- und Ressourcenverbrauch in den Sektoren Wohnungsbau und Verkehr. Die hinken den Klimagas-Reduktionsplänen am weitesten hinterher.
Beim Wohnungsbau gibt es schon seit Jahren das Motto „Verbietet das Bauen“, was sich primär auf den Neubau und nicht auf den Umbau bezieht – also gerne energetische Ertüchtigung und Erweiterung, Solaranlage und Wärmepumpe statt Gasheizung, aber keinen Neubau mehr. Hier gibt es auch schon Suffizienzbestrebungen in Form der Earthhome- oder der Tinyhouse-Bewegung.
Beim Verkehr kann das heißen, den Nachtzug statt des Flugzeugs zu nehmen und die Städtetour in Prag statt in Casablanca zu machen. Oder beim Auto statt eines SUV auf ein Auto ganz zu verzichten bzw. ein kleines E-Auto zu leasen. Denn für die wenigen Tage im Jahr, an denen man ein größeres Auto braucht, kann man ein solches auch mieten.
Und da sind zum anderen als Hebel die „Energieintensiven Industrien“ Baustoffe, Chemie, Glas, Nichteisen-Metalle, Papier und Stahl mit ihren exorbitanten Energie- und Ressourcenverbräuchen. Hier kann es nur um ein gesellschaftlich gesteuertes Schrumpfen gehen, eine Suffizienz bei energieintensiven Baustoffen durch Recycling-Material und Holzbau, ein Verzicht auf Einmal-Gläser – z.B. für 23 Oliven – und eine grundsätzliche Verwendung von Kreislauf-Behältnissen, ein Verzicht auf Einmal-Verpackungen und eine gesetzliche Verankerung von wiederverwendbaren Briefumschlägen.
Suffizienz ist möglich und tut nicht weh!
„Aber die Arbeitsplätze …“!?
Da gibt es in den Energieintensiven Industrien im Vergleich zum Handwerk relativ wenige, und gerade das Handwerk sucht wie viele andere Industrien dringend neue Arbeitskräfte. Aber dennoch hört man von Ferne schon wieder den gemischten Chor aus Managern, Politikern, Gewerkschaftlern und sonstigen Lobbyisten des Status Quo: „Wir können doch keine Arbeitsplätze vernichten!“ Liebe Leute, soll wirklich wegen des Erhalts einiger Tausend konventioneller Arbeitsplätze in Deutschland das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten gefährdet werden? Und wenn für Euch der Erhalt von Arbeitsplätzen wirklich das höchste Gut ist, warum habt Ihr dann in der Vergangenheit so viele, weit verbreitete, traditionsreiche Arbeitsplätze wie den des Henkers verschwinden lassen – nur um hier mal auf dem gleichen Niveau zu antworten.
Doch im Ernst: Suffizienz vernichtet keine sinnvollen Arbeitsplätze; sie zeigt stattdessen auf, wo wirklich ein Bedarf ist, und was auf Dauer nachhaltig ist. Nur so werden wir auf diesem Planeten überleben.