21.05.2021
E-Mobilitätswende? Doch nicht in Deutschland!
Ein Bericht von Götz Warnke
Bei E-Autos ist es manchmal wie bei Menschen: sie können viel, aber dürfen wenig. Manche Menschen können sich z.B. eine Solaranlage aufs Dach setzen, aber sie dürfen sie nicht lange nutzen, weil etwa der Braunkohlebagger kommt. Manche E-Autos können technisch bidirektional laden …, aber ...
Doch zuerst einmal: was ist bidirektionales Laden? E-Fahrzeuge sind durch ihren Akku im Prinzip rollende Energiespeicher. Das Einspeichern bzw. Laden ist bei E-Fahrzeugen die Regel, aber in vielen Fällen funktioniert auch das Ausspeichern, die Stromlieferung an andere, kleine Stromabnehmer: ein Smartphone per USB aufzuladen, ist in neueren Autos Standard, und selbst manche Pedelecs schaffen das. Etwas schwieriger wird es, wenn größere Stromabnehmer zu versorgen sind, wie etwa der Kühlschrank auf dem Campingplatz, der Elektrogrill am See, oder der Rasenmäher weit weg von der nächsten fest installierten Steckdose: das sogenannte (Vehicle-to-Load/V2L). Das beherrschen nur wenige E-Autos, allerdings deutlich mehr, als offiziell zugegeben wird. Die nächste Stufe ist das Vehicle-to-Home/V2H, die (Not-)Versorgung des eigenen Haushalts mit dem Strom des E-Auto-Akkus. Technisch können das prinzipiell zumindest alle Autos mit dem ostasiatischen CHAdeMO-Gleichstrom-Stecker – doch wer hat zu Hause schon die entsprechende CHAdeMO-Wallbox?! Vorteil der fahrenden Stromspeicher könnte zudem sein, dass sie sehr kostengünstig sind – ein E-Auto-Akku kostet pro Kilowattstunde etwa ein Viertel bis ein Sechstel eines „normalen“ Heimspeichers. Aber vor einer solchen Nutzung stehen in Deutschland erst einmal Normen und Gesetze im Weg: z.B. die neue ISO-Norm 15118-20, die das bidirektionale Laden auch für die CCS Gleichstrom-Stecker implementiert, soll zwar dieses Jahr noch kommen, aber noch ist es nicht soweit. Und zum anderen gibt es das re-/de-formierte EEG, für das E-Autos immer noch nicht als offizielle Speicher gelten. Da muss man sich über die dritte Ausspeicher-Lösung Vehicle-to-Grid/V2G – nämlich als Energieverkäufer und zur Netzstabilisierung – erst gar keine Gedanken machen.
Wie es anders geht, zeigt der immer mal wieder aufschlussreiche Blick jenseits der deutschen Grenzen: Ende April hat in Utrecht die niederländische Infrastruktur-Staatssekretärin Stientje van Veldhoven einen Vertrag mit verschiedenen Akteuren geschlossen, um Utrecht zur ersten Region der Welt mit einem bidirektionalen Lade-Ökosystem zu machen, in dem die Batterien in Elektroautos in großem Umfang als Speicher für Erneuerbare Energien genutzt werden. Schon vor zwei Jahren waren in der Stadt die ersten bidirektionalen Ladesäulen in Anwesenheit des niederländischen Königs Willem Alexander eingeweiht worden; mittlerweile gibt es in Utrecht derer rund 500 Stück. Waren die bidirektional ladenden Fahrzeuge in 2019 noch werksseitig umgebaute Renault ZOE – es geht offensichtlich –, so sind es jetzt serienmäßige IONIQ 5, denn Hyundai ist einer der Vertragsakteure im Utrechter Netzwerk. Die weiteren sind u.a. der Mobilitäts-Dienstleister We Drive Solar, der Netzbetreiber Stedin, der Versicherer a.s.r. Nederland, sowie das Utrecht Sustainability Institute für die wissenschaftliche Begleitung.
Der Projektstart Ende April hat europaweit Beachtung gefunden, von England bis Spanien. Denn die bidirektionale Region soll kein Einzelfall bleiben, sondern überall in Europa in der einen oder anderen Form Nachahmer finden. Immerhin wird das Projekt INCIT-EV ("Large demonstratIoN user CentrIc urban and long-range charging solutions to boosT an engaging deployment of Electric Vehicles in Europe") mit Millionen von der EU gefördert, um über vier Jahre innovative Ladeinfrastrukturen, Technologien und Geschäftsmodelle zur Elektromobilität zu entwickeln. Doch schaut man sich die Karte mit den Projektorten an, so fällt die große freie Fläche in der Mitte des Kontinents auf: Deutschland! Die ehemals führende Automobilnation hat sich unter der derzeitigen Bundesregierung offensichtlich bei der Mobilitätswende weitgehend abgemeldet. In Deutschland gibt es allenfalls ein kleines Follower-Projekt – auf der Nordsee-Insel Norderney, und das nur auf Intervention des spanischen Forschungsinstituts Circe!
Wenn es in Deutschland mal Anstöße zu Innovationen in Richtung einer E-Mobilitätswende gibt, dann kommen die von Startups (Sono Motors, Flin Solar, und vielen anderen) oder von sehr engagierten Personen wie z.B. Stefan Moeller, Geschäftsführer beim E-Mobilitätsdienstleister nextmove. Der hatte Anfang dieses Monats in einem Video mit dem Titel „Nicht nachmachen“ gezeigt, wie man ein vom öffentlichen Stromnetz abgekoppeltes, altes Haus mit Hilfe eines neuen Hyundai IONIQ 5 mit Strom versorgen kann (V2H) – keinesfalls zum Nachmachen, und unter Aufsicht eines erfahrenen Elektriker-Meisters, der allerdings weder genannt und noch gefilmt werden wollte.
Und das ist vielleicht auch der sichtbarste Unterschied hinsichtlich Emobility zwischen anderen Ländern und Deutschland: Während E-Mobilitätsinnovationen z.B. in den Niederlanden stolz von Königen und Staatssekretärinnen präsentiert werden, muss sich in Deutschland ob der Normen und Gesetze ein gestandener Elektriker-Meister dafür verstecken. Innovative E-Mobilitätswende? Doch nicht im Deutschland des Jahres 2021, im 16. Jahr der Regierung Merkel!