21.02.2020
Wohlfühl-Klimamaßnahmen
Schon lange werden wir alle von Rundum-Sorglos-Paketen verwöhnt, die mit „inklusive allem“ werben und uns vertrauensvoll versorgen. Dank Flatrates und flexiblen „wie für uns gemacht-Angeboten“ können wir unser Leben genießen, wie bisher, oder sogar noch unbekümmerter als je zuvor. Denn obwohl unser Bewusstsein „was für die Umwelt tun zu müssen“ mittlerweile sehr groß ist, hat es nur wenig Einfluss auf unser Handeln. Genau deshalb wird uns aber glauben gemacht, dass sich viel ändert und sorgsamer mit unserem Planeten umgegangen wird. Gut verpackt mit einer grünen Schleife wird uns erzählt, dass der Wandel schon längst stattfindet, dank unser aller Engagement und unserem Druck schneidert die Industrie entsprechende Produkte für uns. Aber Achtung: So viele grüne Wäsche wie momentan wurde noch nie gewaschen.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Ein neues RAL-Gütezeichen. Diese anerkannten Gütegemeinschaften sind hinlänglich bekannt. Es gab sogar einmal ein ambitioniertes Gütezeichen für Solarenergieanlagen, das aber letztendlich versandete. Auch wenn es 2014 zu einer Reaktivierung kam, scheint es aktuell keine Notwendigkeit auf dem Markt dafür zu geben. Aber vielleicht passiert hier ja noch etwas, die Qualität im Solarmarkt kann sicherlich noch deutlich erhöht werden. Darum geht es hier jedoch gar nicht. Das schöne neue Gütezeichen nennt sich „RAL-Gütezeichens CO2-kompensierte Energieprodukte“. Der zertifizierte Ablasshandel, soll, so die RAL-Gütegemeinschaft in einer offiziellen Meldung, den „Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase wie CO2 möglichst global verringern“. Das ist jetzt wirklich mal was Neues.
In der Konsequenz soll das so funktionieren: je mehr klimaschädliche fossile Energie von uns verbrannt wird, desto mehr Treibhausgase werden global kompensiert. Damit diese Scheinwelt auch sichergestellt ist, überwacht die Gütegemeinschaft den „lückenlosen und nachvollziehbaren Prozess zwischen erworbenen CO2-Zertifikaten und der verkauften Menge an CO2-neutralen Energieprodukten“. Also geht es nicht um eine Kontrolle der Reduzierung, sondern um eine Kontrolle der Zertifikate, etwa der Gestalt, dass sie von anerkannten und registrierten Dienstleistern stammen.
Mit dieser neuen Kontrolle könne man sich also sicher sein, dass es mit der Klimaneutralität funktioniert. Schließlich dienen die weltweit anerkannten Zertifizierungssysteme, sogenannte Minderungszertifikate für CO2-Ausgleichsmaßnahmen, dazu etwa Waldaufforstungen, Wasserkraftwerke oder auch Solaranlagen zu finanzieren. Anstatt vor Ort eine CO2-freie, oder zumindest CO2-arme Energieversorgung aufzubauen wird woanders investiert. Die Kapitalzirkulation für fossile Rohstoffe bleibt bestehen, die Energiehändler können uns also mit Heizöl oder Flüssiggas beliefern, kostet eben ein klein wenig mehr. Die direkten Auswirkungen unserer klimarelevanten Wärmeerzeugung wirken aber wie bisher. Das kompensierte Heizöl wird somit nicht CO2-frei, darüber muss man sich im Klaren sein.
Anderes Beispiel: der kompensierte Flug. Trotz des Trends zur Kompensation beim Fliegen geht man heute davon aus, dass der weltweite Luftverkehr in den nächsten 20 Jahren um rund 3,7 Prozent jährlich steigen und es 2040 fast zehn Mrd. Flugpassagiere geben wird. In den nächsten 20 Jahren erwartet man mehr als eine Verdoppelung der Passagierzahlen von rund 4 Mrd. (2016) auf über 9,4 Mrd. bis 2040. Die Zahl der Flüge wächst dabei von 35,5 Mio. auf etwa 53 Mio. im selben Zeitraum. Nicht unberücksichtigt lassen sollte man in dem Zusammenhang natürlich den enormen Ressourcenhunger durch den Bau von Infrastrukturen wie Flughäfen oder Hangars und vor allem durch die Herstellung der Flugzeuge selbst. Und ein anderes Themenfeld, über das wir in der SONNENENERGIE bereits einmal geschrieben hatten: Ein Problem des verbrennungsmotorischen Fliegens ist, dass die Abgase in der Reiseflughöhe Ozon aufbauen, was die Sonneneinstrahlung zusätzlich beeinflusst. Sie werden sozusagen in der falschen Etage der Atmosphäre ausgestoßen und wirken dort besonders klimaschädlich. Auch die produzierten Wolken, die man als Kondensstreifen am Himmel sieht, stellen ein Problem dar, weil sie wie eine Art Treibhausdach funktionieren. Durch die Wassertröpfchen kommt die Strahlung der Sonne hindurch, aber die Abkühlungsstrahlung der Erde wird aufgefangen. Deshalb ist es auch eine fast naive Annahme, dass ein Ausgleich emittierter Treibhausgasemissionen durch das Pflanzen von Bäumen kompensiert werden könnte. Ein Sprichwort macht das deutlich: Bäume wachsen nicht in den Himmel!
Wenn nun, trotz Fridays for Future, die SUV-Verkäufe boomen, kann etwas nicht stimmen. Denn so lange es bei den Infrastrukturen und der Technologieentwicklung keine Veränderungen gibt, können sich Verhalten und Verhältnisse nicht ändern. Die Beharrungskräfte werden durch diese Kompensationen sogar noch unterstützt. Dabei wäre einzig sinnvoll die CO2-Emissionen selbst zu reduzieren und dies nicht irgendwo anders gegenrechnen zu lassen. Abgesehen davon, dass sich kaum jemand genauer dafür interessiert, was da eigentlich an irgendwelchen fernen Orten gemacht wird.
Und betrachtet man sich den Kompensationsbetrag des Fliegens genauer, stellt sich heraus, dass dieser viel niedriger ist, als er aufgrund der externen Kosten durch Klimaschäden sein müsste. Genau genommen müsste ein kompensierter Flug deutlich teurer werden, d.h. das Ticket müsste ein Vielfaches des unkompensierten kosten. Hier liegt auch ein Trick dieses Ablasshandelsystems: Es sind immer nur kleine Beträge, die kaum weh tun und das Handeln nicht verändern. Überblicken kann das der einzelne Reisende nicht.
Professor Grießhammer hat das vor Kurzem in der Frankfurter Rundschau wie folgt erläutert: „Die zehn größten Industrieländer verursachen gemeinsam rund 66 Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen. Wenn nun alle anderen Länder der Welt ihre CO2-Emissionen von insgesamt 34 Prozent mit Kompensationsprojekten auf null senken könnten – eine schon irrwitzige Vorstellung – würden die weltweiten CO2-Emissionen immer noch bei den 66 Prozent der zehn größten Industrieländer liegen. Der Klimaschutz muss also schon „Made in Germany“ sein. Im Kern können die CO2-Emissionen nur durch Maßnahmen im eigenen Land gesenkt werden: wie Kohleausstieg, Gebäudesanierung, Tempolimit…“