21.01.2022
Bayern, das wind-wilde Absurdistan
Ein Feature von Heinz Wraneschitz
Karl May ritt einst als Kara ben Nemsi durchs wilde Kurdistan, wo er Abenteuer erlebte, aber auch viele kuriose Dinge. Bundes-Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck (Grüne) reiste an diesem Donnerstag durch Bayern – und dürfte sich schon am Morgen wie im wind-wilden Absurdistan vorgekommen sein. Denn auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Markus Söder (CSU), dem er zu Beginn kumpelhaft auf den Rücken klopfte, hörte er vom freistaatlichen Ministerpräsidenten die mehr als absurde Aussage: „10H (*) liegt im Interesse der Bürger. Wir haben das nicht als Verhinderungs-, sondern als Bürgerbegleitungsidee empfunden.“ (Min. 33:00).
Womöglich hatte Habeck bei seinem Antrittsbesuch in der Bayerischen Staatskanzlei („Danke, dass ich hier so spontan aufschlagen durfte“) mit einer Art Showdown gerechnet, wie man ihn aus „High Noon – zwölf Uhr mittags“ kennt.
Denn im Vorfeld des Treffens hatten beide Seiten ihre bisherigen Positionen bekräftigt. Eine Art 10H-Vorkämpfer hatte CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer in der Augsburger Allgemeinen gegeben: „Wer vorschlägt, dass man 10H abschafft, sorgt dafür, dass die Gemeinden vor Ort und die Bürger bei Entscheidungen über Standorte von Windkraftwerken keinen Einfluss mehr haben.“ Und Habeck hatte laut Medienberichten ganz klar angekündigt, er werde „die 10H-Regel abschaffen“.
Im Pressegespräch am Donnerstag äußerte sich Robert Habeck denn aber sehr verschwurbelt: „Eine Verhinderungsplanung ist nicht akzeptabel. Aber wenn nichts verhindert wird, ist es kein Problem. Das muss man in verlässlichem Szenario nachweisen.“ Einen Termin für diesen Nachweis nannte der Minister auch: Spätestens im März müsse Bayerns Staatsregierung den vorlegen. „Wenn es gelingt, dass die wirtschaftliche Prosperität die Bereitschaft der Menschen zu natürlicher Dynamik führt, sind wir auf den richtigen Pfad, erst dann werde ich über andere Maßnahmen nachdenken.“ Das hörte sich also überhaupt nicht mehr nach „10H abschaffen“ an, sondern eher nach abwarten bis St. Nimmerlein. Denn wann werden die Bayerischen Staatsforsten jenes Windkraftpotenzial tatsächlich ausschöpfen, mit dem Söders Regierung zurzeit so offensiv wirbt? Zumal Regierungsaussagen im Landtag nicht erkennen lassen, wo und wie genau jene 1.000 Windmühlen tatsächlich gebaut werden sollen.
Zur Einordnung von Bayern als Windkraft-Absurdistan springen wir ins Jahr 1994 zurück. Schon damals hatte bei einem Treffen der (damals so genannten) Deutschen Gesellschaft für Windenergie (DGW) in Neumarkt in der Oberpfalz der engagierte Windkraftpionier Josef Heigl über die teilweise irrwitzigen „Gegenargumente gegen meine 100-Kilowatt-Windmühle“ berichtet: „Massenhaftes Mückensterben hat man befürchtet, oder dass die Geräusche für die Nachbarn unerträglich werden.“ Beides erwies sich schnell als völlig falsch.
Schon im Jahr darauf, 1995, hat der Kreisverband Hof des Bund Naturschutz Bayern in Sellanger auf den Höhen des Frankenwalds das erste Bürgerwindrad im Freistaat aufgestellt – es produziert dank eines Vertrags mit den Stadtwerken Wunsiedel bis heute Strom und Einkommen für die über 100 Kommanditist*innen. Auch wenn kurzzeitig wegen ständig veränderter Regeln des EEG das Windrad-Aus drohte – woran aber der Freistaat Bayern keine Schuld trug, sondern Habecks Vorgänger Peter Altmaier (CDU).
Doch dieses von Rot-Grün durchgesetzte EEG hatte ab dem Jahr 2000 auch in Bayern für Windkraftausbau gesorgt. Als eine Dekade später der erste bayerische Windbranchentag in Fürth stattfand, konstatierte der Autor dieses Textes dem damaligen Bayerischen Umweltminister ein „Gespür für Wind“. Dessen Name: Markus Söder.
Doch nur vier paar Jahre danach – Söder wandelte nun als Finanz- und Heimatminister auf offiziell finanzökologischen Spuren – war er einer der größten Unterstützer seines damaligen Chefs, Ministerpräsident Horst Seehofer, der nach einem (so wird kolportiert) bierseligen Treffen mit Windkraftgegnern in Unterfranken jene unselige 10H-Regel eingeführt hat. Und die gilt bis heute.
Genauso, wie die absurdesten Pseudoargumente vorgetragen werden, um diese Abstandsregel 10H zu rechtfertigen. So sprach CSU-Fraktionschef Kreuzer dieser Tage davon, mit 10H halte man Großinvestoren ab. Darüber kann der früher den Freien Wählern angehörige Bürgermeister Erwin Karg aus dem oberbayerischen Fuchstal nur den Kopf schütteln: „Bei diesen laut Kreuzer „bösen Investoren“ da geht mir der Hut hoch. Wenn ein Investor aus Mainz hier eine PV-Anlage bauen will, sage ich: Was soll die Scheiße. Bei uns ist das Wort Investor gestrichen. Klar muss das Geld in der Gemeinde bleiben. Wir haben gerade drei weitere Windräder in der Genehmigung mit 115 lokalen Gesellschaftern. Wir brauchen halt Lokalpolitiker, die den Arsch in der Hose haben. Kollegen, traut`s Euch“, trat Karg an diesem Mittwoch für klare Bürgerbeteiligung ein. Richard Mergner, der Vorsitzende des Bund Naturschutz Bayern (BN) unterstützte ihn ausdrücklich: „An uns echten Umweltverbänden wird mehr Windkraft in Bayern nicht scheitern.“
In den BN-Kernforderungen an Bayern und den Bund steht ganz oben: „Abschaffung 10-H-Regelung.“ Doch der Verband verlangt auch eine „Schaffung von einheitlichen, transparenten und klaren Kriterien für den Natur- und Artenschutz“ bei Wind- und Solarprojekten. Diese Idee hat laut eigenen Aussagen auch Bundesminister Habeck auf der Agenda. „Wir brauchen bei PV und Windkraft ökologischen Patriotismus“, erklärte er beim Besuch in München. Ein Punkt, bei dem auch Markus Söder auf die Bundesregierung setzt: Die solle „Wege aufzeigen, wie zum Beispiel das Naturschutzrecht zu ändern ist“. Klingt wieder nach Absurdistan: Aufgaben werden an andere verschoben. Zumal Söder selbst sagte: „Die Bürger erwarten, dass wir Probleme lösen.“
Aber vielleicht sieht Bayerns Landesvater ja nur Probleme, die es gar nicht gibt. „Windkraft ist aus der Ferne sympathisch, vor Ort aber erdrückend“, gab er im Pressegespräch auch zum Besten. Als er vor ein paar Jahren im Landkreis Neustadt/Aisch den Bau einer Bürgerwindkraft-Anlage beklatschte, klang das noch ganz anders. Bayern scheint also offensichtlich doch das windige Absurdistan zu sein. Hoffentlich hat es Robert Habeck auch so wahrgenommen und glaubt nicht alles, was Markus Söder so von sich gibt.
(*) Zur Erklärung: 10H bedeutet: ein neues Windkraftwerk muss in Bayern den zehnfachen Höhenabstand zur Wohnbebauung einhalten, außer die Standortgemeinde beschließt per Bebauungsplan etwas anderes.