20.09.2024
Zehn Jahre gegen Trassen, aber für dezentrale Erneuerbare Energien
Ein „Festbericht“ von Heinz Wraneschitz
„Zehn Jahre Widerstand - wirkt!“ Diese Zwischenbilanz zog das in Mittelfranken gegründete, aber inzwischen über Bayerns Landesgrenzen hinaus gewachsene „Aktionsbündnis Trassengegner“ am Montag im Kulturtreff Baudergraben in Altdorf bei Nürnberg.
Der Auslöser für den Widerstand waren mehrere Informationsveranstaltungen des damals für die Nord-Süd-Hochspannungsgleichstromtrassen (HGÜ) zuständigen Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) Amprion. Der tourte durch den Freistaat Bayern und tat so, als seien die HGÜ-Links nicht mehr aus der Welt zu schaffen, erinnerte Herbert Galozy die etwa 200 teils aus Hessen, Thüringen oder Baden-Württemberg angereisten Gäste an die Anfänge des Widerstands. Dass Tafeln wie „Hilfe Horst“ Politiker wie den früheren Bayern-Ministerpräsidenten Seehofer zum Umdenken brächten: von dieser Hoffnung wurden die Menschen an und aus den Korridoren von Süd- oder Süd-Ost-Link offensichtlich sehr schnell bekehrt. „Danach schossen die Bürgerinitiativen nur so aus dem Boden“, so Galozy weiter, einer jener Aktiven, die von Beginn an dabei sind.
Zwar wechselte einige Zeit später der Auftragnehmer der Bundesnetzagentur für die HGÜ-Trassen im Süden: Amprion wurde durch den in Bayreuth ansässigen ÜNB Tennet ersetzt. „Doch auch Tennet handelt eiskalt, ist nur auf den eigenen Vorteil bedacht“, stellte der Altdorfer Bürgermeister Martin Tabor in seiner Ansprache fest. Denn auch wenn der Trassengegner die „große“ Politik damals wie heute kaum mit ihren Argumenten gegen „Monstertrassen“ erreichen: viele Lokalpolitiker:innen stehen heute Seit` an Seit` mit Galozy, Martin Stegmair, Olaf Lüttich und wie sie alle heißen.
Kommunalpolitik und Bürgerinitiativen einer Meinung
Armin Kroder ist so einer, der Landrat des Kreises Nürnberger Land von den Freien Wählern (FW). „Ich werde bei meinen Freien Wählern noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Und ich werde es auch weiterhin bei Hubert Aiwanger versuchen“, dem FW-Landes- und Bundeschef, gleichzeitig Bayerns Energie- und Wirtschaftsminister. Kroder sorgt sich konkret um die Stromkosten für Bürger:innen und Wirtschaft. Zwar interessiere das Trassenthema bislang nur wenige Menschen. Doch eine aktuelle Zahl dürfte auch die Desinteressierten aufschrecken: Über 300 Mrd. Euro koste der im aktuellen Netzentwicklungsplan festgelegte Ausbau der Höchstspannungs-Übertragungsnetze, also jener Gleich- und Drehstromleitungen mit mindestens 220.000 Volt Spannung – 2017 waren gerade mal um die 30 Mrd. genannt worden.
„Die Kosten werden auf den Strom umgelegt, die treffen jeden, damit bekommt das Ganze eine soziale Dimension“, erklärt Kroder und denkt vor allem an die weniger betuchten Teile der Bevölkerung. „Kaum ein Bundespolitiker kennt diese Zahl von über 300 Mrd. Euro“, ergänzt Hubert Galozy und wünscht sich deshalb: „Sprechen Sie ihre Abgeordneten drauf an.“
Auch Umweltorganisationen wie der BUND, der sich in Bayern Bund Naturschutz nennt, engagieren sich „gegen den überzogenen Ausbau der HGÜ- und Drehstromtrassen der ÜNB“, ist von Werner Neumann zu erfahren. Der promovierte Energieexperte aus dem BUND-Landesvorstand Hessen sorgt sich um die eine umwelt- und verbraucherfreundliche Energie-Versorgung: „Wir sind dabei, die Energiewende an die Wand zu fahren. Was die Ethikkommission 2011 dafür im Auftrag der Bundesregierung aufgelistet hat, von dezentraler Energieversorgung über Bürgerbeteiligung, das war lange Konsens. Doch jetzt kommt das Gegenteil raus, es ist keine Energiewende mehr. So steht im aktuellen Szenariorahmen bei Biomasse die Null. Wir brauchen aber speicherbares Biogas, und zwar dezentral vor Ort als Ausgleich für die fluktuierenden Sonnen- und Windenergien.“ In seine Kritik schließt Neumann den Grünen Klimaschutzminister Robert Habeck ausdrücklich ein.
Gegen Trassen – für eine „echte“ Energiewende
„Energiewende geht nur mit Bürgerbeteiligung vor Ort.“ Das sagt nicht nur der BUND-Mann, das ist an diesem Festabend einhellige Meinung aller Anwesenden. Denn einerseits steht das Trassengegner-Bündnis für Widerstand gegen den aus ihrer Sicht „überzogenen Übertragungsnetzausbau, der nicht der Energiewende dient, sondern den Interessen der Stromkonzerne für europäischen Energiehandel“. Und andererseits treten die BIs für den Ausbau von Wind-, Solar-, Biostromerzeugung und Speicherung ein. Dazu gehöre besonders die Verstärkung der so genannten Verteilnetze, klärt Dörte Hamann auf, die Bündnis-Sprecherin. Hamann ist als Aktive von Beginn an dabei, für viele ist sie „das Gesicht“ der Trassengegner. „Wir haben gehandelt – auch als Amprion gesagt hat, die Trasse ist gesetzt.“ Doch bis heute gibt es von den Nord-Süd-HGÜ nur Bruchstücke – und das, obwohl sie bis zum endgültigen Atomausstieg Deutschlands hätten fertiggestellt sein sollten. „Die ÜNB verkaufen das Scheitern als Fortschritt“, sagt Hamann und verweist auf die groß aufgezogenen Pressekonferenzen, wenn der Grundstein für eine Konverterstation, den Startpunkt an einem Ende der Trasse gelegt wird.
„Wir legen den Finger in die Wunde des Super Grid, erarbeiten aber auch Lösungen für eine nachhaltige, bezahlbare Energieversorgung. Trassen sind dafür keine Lösung, sondern dezentrale, erneuerbare, bürgerfinanzierte Stromerzeugung mit Speichern.“ Deshalb gelte es, unbedingt zwischen Übertragungs- und Verteilnetzausbau zu unterscheiden. „Und wir fordern die verantwortlichen Politiker:innen immer wieder auf, offen zu bleiben, und die Netzausbaupläne zu prüfen“. Auch Dörte Hamann erinnert an viele Termine, an denen die Trassengegner mit Ministern und Ministerpräsidenten, Kanzlern, Präsidenten der Bundesnetzagentur oder Vorständen von ÜNB-Konzernen Arm in Arm standen und diskutierten. „Doch wenn die die Diskussion verweigern, bleibt nur Kampf und Protest. Dass wir einen langen Atem haben, haben wir bewiesen. Denn die Lage ist ernst, es darf nicht zu sozialen Spannungen kommen. Wir werden also weitermachen.“
Das wollen auch die Landwirte. Denn auch Jochen Loy, der mittelfränkische Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands BBV, ist „die nassforsche Art von Tennet“ ein Ärgernis. „Tennet geht an das Thema Netzausbau so ran, dass man sieht: Geld spielt keine Rolle“, erklärt Loy im Hinblick auf einen Rahmenvertrag, den der BBV für seine Mitglieder mit dem ÜNB abgeschlossen hat. „Damit haben wir ein unteres Netz eingezogen“ für Entschädigungen, falls Tennet eine Leitung über oder unter dem Land eines Grundbesitzenden hindurchführt. „Unwissenden Eigentümern wird es durch das Angebot schmackhaft gemacht, zu unterzeichnen“, doch im Grundsatz sei der BBV gegen die Trasse, so Loy auf Nachfrage.
Manchmal braucht es auch Prozesse…
Dabei haben sie mit Wolfgang Baumann auch einen Juristen an der Seite, der sich bei vielen Umwelt- und Klimaprozessen bis zum Bundesverfassungsgericht einen Namen gemacht hat. Der Würzburger lobt, dass die organisierten Trassengegner „nicht nur die Energie haben, sich mit Traktoren in den Feldern den Trassenbauern entgegenzustellen, sondern auch fachlich versiert sind. Die mit ihrer Erfahrung auch den Politikern sagen können, was vor Ort Sache ist.“ Der Verwaltungs-Fachanwalt sorgt sich aktuell um die demokratischen Rechte bei Vorhaben wie dem Übertragungsnetzausbau: „Seit der Coronapandemie soll in der Gesetzgebung alles digitalisiert ablaufen. Wenn Einwendungstermine nicht mehr öffentlich stattfinden, nur noch formalisiert und digital, dann ist die Bürgerbeteiligung ausgehebelt.“ Nichtsdestotrotz appelliert Wolfgang Baumann an alle, bis Ende des Jahres Einwendungen zum Szenariorahmen Netzentwicklungsplan der Bundesnetzagentur abzugeben.
Dass viele Einwendungen eingehen, hofft auch Werner Neumann von BUND. Zumal gerade in seiner Heimat Hessen noch kaum jemand mitbekommen hat, dass einzelne Trassen mitten durch Weinberge gelegt werden sollen. „Und die Kosten für die Trassen werden dann der Energiewende untergeschoben“, ärgert sich Dörte Hamann. Die erinnert zudem an das Desaster um die gesprengten North-Stream-Gasleitungen oder die zerstörte Energieversorgung in der Ukraine: „Hat denn niemand etwas daraus gelernt, dass Leitungen angreifbar sind? Oder wollen wir wirklich abhängig von Strom aus Nordafrika sein, was schon wieder geplant wird, statt die Energie hier dezentral herzustellen?“ Doch statt zu jammern, endet die BI-Sprecherin ihren Festvortrag mit den Sätzen: „Eine Stromtrasse nicht zu bauen ist realistisch und technisch möglich. Und wie man sieht: Widerstand wirkt.“