20.05.2022
Autos – mögliche Bremser der Klimakrise
Ein Bericht von Götz Warnke
Für eine volle, an ihre Belastungsgrenzen kommende Welt wird das einst als Verheißung von Mobilität und Freiheit gestartete konventionelle Auto immer mehr zur Belastung: durch die schieren Autozahlen, die klimatischen und gesundheitlichen Schäden durch die Verbrennungsmotoren, und die Klimagasemissionen durch den Automobilbau per se.
Doch zuerst ein paar einfache Fakten:
Rund 2 Milliarden motorisierte Fahrzeuge gibt es auf der Welt, darunter über 59 Millionen in Deutschland, wovon wiederum 48 Millionen PKW sind. Jedes Jahr kommen in der Bundesrepublik ca. 3 Millionen Fahrzeuge hinzu bei gleichzeitig nicht ganz so hohen Abgängen, weshalb der PKW-Bestand jährlich um rund ein Prozent wächst.
Während die Frage nach der künftigen Antriebsenergie für Millionen von PKWs schon heute zumindest theoretisch gelöst ist – kleinere, leichtere, stromlinienförmigere Elektroautos mit neuen Batteriechemien und fahrzeugintegrierter Photovoltaik (VIPV), energieautarke Fahrzeuge also, wobei derzeit der niederländische Lightyear One ein Vorreiter ist – , ist die Frage nach der künftigen Herstellungsenergie, der Grauen Energie, die im Fahrzeug steckt, weitgehend ungeklärt.
Bei der Herstellung verursacht ein Verbrenner-PKW der Kompaktklasse unter Einbeziehung der Entsorgung immerhin ca. 9 Tonnen CO2, ein Mittelklassewagen über 10 Tonnen. Ganz abgesehen vom Energieverbrauch beim Fahren ist das Auto also heute schon beim Verlassen des Fließbandes und damit per se ein Treiber der Klimakrise.
Die Hauptlast der CO2-Emissionen beim Bau eines Verbrenner-PKWs – beim E-Auto ist es wegen der Batterie derzeit noch anders, wird sich aber mit neuen und leichteren Batterien den Verbrenneremissionen künftig angleichen – entsteht bei der Stahlherstellung und -verarbeitung.
Nun sollen ja auch diese Industriezweige nach dem Klimaschutzgesetz von 2021 bis 2045 klimaneutral sein. Bei der Stahlherstellung kann das nur durch den massenhaften Einsatz von Wasserstoff geschehen. Doch dazu müssen nicht nur genügend entsprechend umgebaute Stahlwerke vorhanden sein, sondern auch hinreichend erneuerbarer Strom sowie Kapazitäten bei den Elektrolyseuren zur Herstellung von H2.
Gerade bei den beiden letzten Punkten stößt man auf Schwierigkeiten:
- In Hamburg steht das relativ kleine Stahlwerk von Arcelor-Mittal, das als eines der ersten auf H2 aus Erneuerbaren Energien umgestellt werden soll. Für die H2-Pilotanlage sind 22 Offshore-Windkraftanlagen der 5-MW-Klasse notwendig; um das gesamte kleine Stahlwerk gänzlich CO2frei zu machen, wären bereits 174 dieser Anlagen nötig.
- Um aber die gesamte deutsche Stahlindustrie CO2frei zu machen, müsste man sogar 7.000 Offshore-Windräder der 5-MW-Klasse aufstellen. Wohlgemerkt: Heute drehen sich nicht einmal 1.500 Turbinen vor den deutschen Küsten.
Es ist also höchst zweifelhaft, ob wir vor 2045 genügend Offshoreturbinen aufstellen können, ja ob die Anlagenzahlen überhaupt möglich sind – schließlich benötigt die übrige Industrie und der Verkehr auch jede Menge Strom, und der Platz in den deutschen Gewässern ist sehr begrenzt.
Bei den Elektrolyseuren sieht es nicht besser aus: das größte deutsche Stahlwerk ist das von ThyssenKrupp in Duisburg; es macht rund die Hälfte der Stahlproduktion von ThyssenKrupp aus. Allein für die CO2-freie Wasserstoffversorgung dieses Werks, das bisher 20 Millionen Tonnen CO2 jährlich emittiert, benötigt man eine Elektrolyseur-Leistung für 720.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr; derzeit liegt allerdings die weltweite Elektrolyseurleistung bei gerade einmal 200.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr! Und: ThyssenKrupp steht bei den weltweit größten Stahlwerken gerade mal auf Platz 35 – alle zuvor sind riesige Industriekonzerne, die bisher Ihre Klimagase ungebremst in unsere gemeinsame Atmosphäre blasen.
Sieht man sich insbesondere die weltweit gebremste Entwicklung der Erneuerbaren Energien in den letzten 22 Jahren an, so spricht nichts dafür, das die Gesellschaft und insbesondere die Energieintensiven Industrien, wie z.B. der Stahlbereich, eine echte Klimaneutralität bis 2045 erreichen können. Spätestens dann aber wird deutlich werden, dass jedes neue Auto – und fährt es mit seiner Antriebsenergie noch so klimaneutral – zu einem weiteren Beschleuniger der Klimakrise wird. Und spätestens dann werden wir uns eine Individual-Mobilität mit solch’ klimaschädlichen Großobjekten wie dem Auto nicht mehr leisten können.
Naht also das Ende der Autoindustrie oder gibt es Lösungen, gibt es Auswege aus diesem von vielen empfundenen Dilemma?
Ein Ausstiegspfad aus der CO2-Falle ist es, statt der klimalastigen Herstellung neuer Stahlkomponenten recycelte Kunststoffe zu verwenden. Immerhin sind gebrauchte Kunststoffe auf dieser Welt hinreichend vorhanden, wie u.a. viele Mülldeponien besonders im globalen Süden, aber auch die fünf riesigen Plastikmüllstrudel in den Weltmeeren zeigen. An Autoteilen aus recycelten Glasfasern wird geforscht, u.a. im Projekt CosiMo unter Federführung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die TU Eindhoven hat 2020 des Recyclingmaterial-Auto Luca vorgestellt und BMW auf der IAA Mobility 2021 seine Studie BMW i Vision Circular. Bezüglich des Innenraums folgt die Studie Polestar O2 diesem Trend, insbesondere durch recycelte Monomaterialien statt des üblichen Materialmixes.
Ein zweiter Ausstiegspfad sind Holz und biobasierte Materialien. Auch hier ist jede Menge Ausgangsmaterial vorhanden: man denke an die viel zu verbreitete Holzverbrennung oder die Massen an Viehfutter, wie z.B. Stroh. Nun hat Holz bisher den Nachteil, dass es zwar als umweltfreundlicher, aber fälschlicher Weise auch als vorindustrieller, quasi unmoderner Werkstoff gilt. Daher seien hier einige Gegenbeispiele genannt; sie beziehen sich alle auf Luftfahrzeuge, da die hier höheren materialtechnischen Anforderungen den Wert des Werkstoffes Holz nochmals unterstreichen. Holzwerkstoffe sind geeignet für sehr große (Luft-)Fahrzeuge wie die Hughes H-4 Hercules, für schnelle Fahrzeuge wie die über 1.000 km/h schnelle Me 163, oder für die Massenproduktion, wie die innerhalb von zwei Jahren 10.000 Mal hergestellte Lawotschkin La-5 zeigt. In Japan will man 2023 sogar einen hölzernen Satelliten ins All schicken.
Holz ist also ein vielseitig einsetzbarer, hochwertiger Werkstoff mit erprobten Verarbeitungsverfahren. Andere biobasierte Materialien sind ebenfalls meist gut bekannt und mit ebensolchen Verfahren zu verarbeiten. Gemeinsam ist den Verfahren, dass hier niedrigere Prozesstemperaturen als bei der Stahlherstellung benötigt werden, was dem Einsatz von regenerativer Wärme entgegen kommt. Auch gibt es inzwischen biobasierte Prototypen wie Lina und Noah von der bekannten TU Eindhoven. Und Bentley setzt bei seinem Zukunftsauto EXP 100 GT zumindest für das Interieur auf Naturprodukte, teilweise sogar recycelt.
Holz und andere biobasierte Materialien haben, wenn sie langfristig genutzt werden, zudem noch einen weiteren Vorzug: Sie können als CO2-Senken dienen. Vor zwei Jahren hatte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Nachgang zu einer wissenschaftlichen Publikation eine Mitteilung mit dem Titel „Gebäude können zu einer globalen CO2-Senke werden – mit dem Baustoff Holz statt Zement und Stahl“ verfasst. Letztlich geht es darum, das im Holz gespeicherte CO2 langfristig „aus dem Verkehr“ bzw. aus dem Kohlenstoff-Kreislauf zu ziehen, das CO2 quasi in ein „Endlager“ einzubringen. Hingegen sind kurzfristige Kreisläufe wie die Verbrennung oder Papierherstellung ebenso wenig eine Lösung wie ein verabsolutierter Naturschutz, der alle Bäume stehen lassen möchte – ausgewachsene Bäume nehmen kaum noch CO2 auf und tragen daher wenig zum Klimaschutz bei.
Das Konzept, Bioprodukte in dauerhafte technische Produkte umzuwandeln, darf sich dabei künftig nicht auf Baustoffe für Gebäude beschränken: Schiffe/Boote, Flugzeuge (s.o.) sind geeignete Objekte, ja selbst in unseren Wohnzimmern sollten statt des Kunststoff- und Stahlrohrinterieurs dauerhafte Vollholzmöbel Einzug halten. Und nicht zuletzt Autos, die – s.o. – immer noch jährlich zu Millionen auf die Straßen kommen. Deshalb, und weil das Auto nicht mehr aus der Welt verschwinden wird, müssen zumindest die künftigen Exemplare einen deutlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
* Dieser Beitrag wurde in verkürzter Form am 13.05. auf dem DGS Forum der Intersolar in München gehalten: https://www.intersolar.de/messeprogramm/dgs-forum-de, nächste Woche werden wir alle dort gehaltenen Vorträge in den DGS-News zum Download veröffentlichen.