20.01.2023
Klimaschutz nur durch Grundgesetzänderung?
Ein Analysebericht von Heinz Wraneschitz
Das gültige bundesdeutsche Klimaschutzgesetz (KSG) fordert unter anderem Wärmeplanung und Klimaschutzmanagement von den Kommunen. Doch die bekommen vom Bund dafür kein Geld. Denn das Grundgesetz (GG) verhindert bislang die direkte Bundesfinanzierung laufender kommunaler Klimaschutzaufgaben.
Für die Hamburger Verwaltungsjuristinnen Roda Verheyen und Katharina Hölzen ergibt sich die fast logische Konsequenz: „Eine Grundgesetzänderung. Die finanzverfassungsrechtlichen Regelungen des GG sind an die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse und an die durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgegebenen Aufgaben anzupassen.“ So ist es auf Seite 53 des Rechtsgutachtens nachzulesen, das die beiden Juristinnen im Auftrag der Umweltorganisationen Germanwatch e.V. und Klima-Allianz Deutschland e.V. erstellt haben.
„Wir sind verpflichtet, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Doch damit Klimaschutz und Klimaanpassung zur Standardaufgabe von uns Kommunen werden kann, damit wie vereinbart die Klimaneutralität bis 2035 Realität wird, braucht es mehr Unterstützung von Bund und Ländern, eine verstetigte Förderung,“ erklärt Andreas Wolter, im Hauptberuf Bürgermeister von Köln und ehrenamtlicher Vorsitzender des Klimabündnis.
Offiziell heißt der Verein „Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder / Alianza del Clima e.V.“; etwa 600 deutsche Kommunen sind Mitglieder und damit 54 Prozent der hiesigen Bevölkerung. Die insgesamt etwa 2.000 Mitgliedskommunen aus 25 europäischen Ländern haben am 8. September 2021 die „Erklärung von Wels“ verabschiedet. Mit dieser „Charta der Klima-Bündnis-Mitglieder“ haben sie nach eigenem Bekunden „ein Zeichen für ambitionierten Klimaschutz“ gesetzt.
Hilflosigkeit wird deutlich
Doch bei einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag war Wolter die kommunale Hilflosigkeit anzumerken, aus diesem Charta-Zeichen praktizierten Klimaschutz zu machen: „Leuchtturmprojekte sind nicht mehr opportun. Arme Kommunen haben gar keine Kapazitäten für Förderanträge. Das hat die Praxis der letzten Jahre gezeigt.“ Und so setzt er große Hoffnung auf die Wirkung des Gutachtens: „Es zeigt, mit entsprechendem politischem Willen ist es grundgesetzlich möglich, Klimaschutz flächendeckend umzusetzen.“
Wohl auch deshalb war der Klimabündnisvertreter genauso bei der Präsentation der 64-seitigen Rechtsanalyse dabei wie Christoph Schmitz. Das ver.di-Vorstandsmitglied vertrat neben der eigenen auch noch die Partnergewerkschaft IG BAU sowie den Deutschen Gewerkschaftsbund DGB insgesamt. Schmitz bekannte: „Wir Gewerkschaften sind dankbar für das Gutachten. Statt eines Kooperationsverbots fordert es ein Kooperationsgebot ein.“ Erst mit ausreichenden Mitteln seien Kommunen und kommunale Unternehmen in der Lage, „ihre zentralen Rollen bei der Klimawende zu erfüllen.“ Um Energieversorgung und ÖPNV zu dekarbonisieren, brauche es sowohl für Infrastruktur wie für Fachkräfte in Verwaltung und Kommunalunternehmen genügend Geld.
„Ohne Kapazitäten wird Klimaschutz nicht gelingen,“ bestätigte Barbara Metz, die Geschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH). Sie weiß, natürlich auch aus den Erfahrungen vieler DUH-Prozesse gegen Städte, welche Schadstoffgrenzwerte nicht eingehalten werden: „Kommunen rücken immer stärker in den Fokus, wenn die Maßnahmen umgesetzt werden müssen.“ Dabei bekennt sie, dass Kommunen oft weder finanzielle noch personelle Ressourcen haben. „In der Berliner Blase wird von ganzheitlichen Lösungen fabuliert. Aber alles muss von Anfang an mitgedacht werden“ – gerade die Finanzierung. Klimaschutz müsse „jetzt in der Fläche umgesetzt werden. Es ist eine Gerechtigkeitsfrage, dass er allen zugutekommt.“
Bewertung der Autorinnen des Rechtsgutachtens
Juristin Roda Verheyen, eine der beiden Autorinnen des Rechtsgutachtens, fasste die Analyse so zusammen: „Der Bund verstößt gegen grundgesetzlich vereinbarte Klimaschutzziele.“ Die „Krater zwischen Zielerreichung und Zielsetzung“ seien gerade im Gebäude- und Verkehrsbereich sichtbar. Die Aufgabe Klimaschutz habe das Bundesverfassungsgericht (BVG) den Kommunen klar zugewiesen. „Doch wir haben letztlich eine dem Problem völlig unangemessene Gesetzeslage und sehr viele überschuldete Kommunen.“
Verheyens klare Feststellung: Der Bund habe Klimaschutz zur Pflichtaufgabe per Bundesgesetz gemacht, „er überträgt Aufgaben durch die Länder auf die Kommunen, aber beteiligt sich nicht.“ Deshalb wäre „die sauberste und effektivste Lösung eine Grundgesetzänderung. Die Finanzierungsgewalt sollte bei den Länderparlamenten bleiben, um zentralistische Tendenzen zu verhindern.“ Die Kommunen behielten den Spielraum für die konkrete Umsetzung. „Mischfinanzierung für Klimaschutz kann zu schnellen Lösungen beitragen,“ gab sich die Juristin überzeugt. Aber auch: „Ohne Grundgesetzänderung bleibt das Bundesklimaschutzgesetz ein Papiertiger.“
A und O - Anfang und Ende
Die heute 10.799 Gemeinden in Deutschland sind zentrale Akteure beim Klimaschutz. Und sie rechtlich sogar dazu verpflichtet. … Die Frage ist schlicht: Welche Aufgaben sind denn verpflichtend, und woher kommt dann das Geld für die zusätzlichen Aufgaben und Investitionen?
(Aus dem Eingangstext des Rechtsgutachtens „Kommunaler Klimaschutz im Spannungsfeld zwischen Aufgabe und Finanzierung am Beispiel der kommunalen Wärmeplanung und des kommunalen Klimaschutzmanagements“ von Roda Verheyen und Katharina Hölzen vom Oktober 2022)
Die Zusammenschau der kommunalen Aufgaben allein aus dem Koalitionsvertrag zeigt, dass sich wohl langfristig eine Grundgesetzänderung anbietet. Die finanzverfassungsrechtlichen Regelungen des GG sind an die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse und an die durch das BVerfG vorgegebenen Aufgaben anzupassen.
(Die Zusammenfassung am Ende des Gutachtens empfiehlt eine Grundgesetzänderung: entweder die Einführung eines Art. 104 e GG oder die Ergänzung des 91 a GG)
Weitere Zitate aus dem Rechtsgutachten
Die Folgen des Klimawandels betreffen alle Kommunen. Insbesondere bei der Energieversorgung oder Energiesicherung besteht ein örtlicher Bezug, auch wenn vor allem allgemeine Klimaschutzzwecke verfolgt werden. Der Klimaschutz kann dabei auch überwiegender Zweck sein. Klimaschutzmaßnahmen sind insofern auch Teil der Daseinsvorsorge.
Eine Aufgabenübertragung durch den Bundesgesetzgeber ist aufgrund von Art. 84 Abs. 1 S. 7 Grundgesetz (GG) nicht mehr möglich. Nur Landesgesetzgeber können Aufgaben auf die Kommunen übertragen, z.B. durch ein „Gesetz zur Erfüllung nach Weisung“.
Art. 104 a Abs. 1 GG regelt nur die Kostentragung zwischen Bund und Ländern. Aufgabenverlagerungen innerhalb der Länder von der staatlichen auf die kommunale Ebene werden davon hingegen nicht erfasst.
Im Rahmen der Beratungen zum Klimaschutzgesetz (KSG) wies der Bundesrat ausdrücklich darauf hin, „dass über die finanziellen Auswirkungen der Maßnahmen des Klimapaketes keine Verständigung mit den Ländern und Gemeinden erzielt wurde“.
Nach Art. 104 d GG kann der Bund Ländern und Gemeinden Investitionen auch im Bereich des sozialen Wohnungsbaus gewähren. Eine ähnliche Regelung für den Bereich des Klimaschutzes gibt es im Grundgesetz nicht.
Die Forderung nach einer (konkret zu definierenden) Pflicht-Aufgabe Klimaschutz allein wird also nicht reichen, um die Erfüllung in allen Bundesländern sicher zu stellen.
Will der Bund die Länder zum Tätigwerden verpflichten, ist er im Hinblick auf die Kostenübernahme an die Regelungen des Finanzverfassungsrechts gebunden. Eine klare Norm zur Übernahme oder Aufteilung von Kosten, die unbestreitbar zur Erfüllung des Klimaschutzgebots aus Art. 20 a GG und zur Umsetzung der Ziele des Bundes-KSG erforderlich sind, fehlt bislang.
Kommunen können zweifelsfrei im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsgarantie umfassend Klimaschutzmaßnahmen treffen. Den Klimaschutz aber allein der freiwilligen Selbstverwaltung zuzuschreiben ist nicht ausreichend und verkennt, dass Klimaschutz schon jetzt durchaus auch eine Pflicht der Kommunen darstellt.
Als Organe des Staates sind auch die Kommunen zur Beachtung des in Art. 20 a GG verankerten Klimaschutzgebotes verpflichtet, nicht etwa … nur der Bundesgesetzgeber.
Bislang enthält kein Landesklimaschutzgesetz Formulierungen wie: „Der umfassende Klimaschutz ist von den Gemeinden in eigener Verantwortung sicherzustellen.“
Doch davon auszugehen, dass Klimaschutzmaßnahmen nur als freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben anzusehen sind, wird Art. 20 a GG und seiner konkretisierenden Wirkung im Kontext des Grundrechtsschutzes nicht gerecht.
Dementsprechend kann eine vermeintlich freiwillige Aufgabe durch Reduzierung des kommunalen Gestaltungsspielraums auf Null zu einer Pflichtaufgabe werden. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Grundrechte der Bürger:innen bzw. Verfassungsprinzipien geht.
Bei der Frage, warum viele Länder den Gemeinden nicht explizit die Wärmeplanung (oder andere konkrete Klimaschutzaufgaben) übertragen, wird zudem das Argument angeführt, dass Klimaschutz eine komplexe Querschnittsaufgabe darstelle, die die Kommunen besser in eigener Verantwortung übernehmen könnten. Zwar haben die Kommunen hier also eine große Flexibilität, die Finanzierung ist aber wenig gesichert.
Das Gutachten nennt vier Lösungsmöglichkeiten. Die vierte und letzte: Grundgesetzänderung.
Eine Anpassung der Vorschriften im Finanzverfassungsrecht für dieses und die weitergehenden Probleme bei der Finanzierung der Energie- und Verkehrswende und allgemein bei der Transformation bis zur Treibhausgasneutralität 2045 wäre politisch und rechtlich folgerichtig.
Klimaschutz ist nach dem Klimabeschluss des BVerfG eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, also im Grunde Aufgabe des Bundes und der Länder sowie aller Verwaltungseinheiten, einschließlich der Kommunen.
Ein neuer Art. 104 e GG könnte lauten: Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen und diese vorbereitenden Maßnahmen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich des Klimaschutzes gewähren.
Alternativ wäre auch eine Ergänzung des Gemeinschaftsaufgabe- Art. 91 a Abs. 1 GG um eine Nr. 3 wie folgt denkbar:
Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben):
3. Verbesserung der Klimaschutzmaßnahmen und Anpassung an den Klimawandel
Vorteile dabei: der neue Art. 91 a Abs. 1 Nr. 3 GG gäbe dem Bund eine zusätzliche Gesetzgebungskompetenz für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen.