19.11.2021
Das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen
Ein Kommentar von Götz Warnke
Kaum ist die Weltklimakonferenz in Glasgow (COP 26) vorbei, da werden auch schon die Ergebnisse von vielen der dortigen Verhandler gelobt: von Brexit-Premier Boris Johnson bis Bundesumweltministerin Svenja Schultze ziehen sie ein positives Ergebnis ihrer Verhandlungen. Klar, es ist immer schön, irgendwann mal in seinen Politikermemoiren schreiben zu können, man selbst habe doch einfach alles für die Rettung des Planeten getan.
Dabei ist das Ergebnis, gemessen an dem, was für den Stopp der Klimakrise notwendig wäre, mehr als traurig – um es diplomatisch zu sagen. Insbesondere die Beschlüsse zur klimaschädlichen Kohle, die hier von einer schrittweisen Reduktion statt von einem Ausstieg sprechen, sind völlig ungenügend. Sicher, nicht alle Beschlüsse der Konferenz sind verkehrt (so die Übermittlung der einzelstaatlichen Klimaschutzziele für fünf Jahre und deren einheitliche Standards), aber das Selbstlob der Verhandler erinnert eher an die Besatzung eines unkontrolliert abstürzenden Flugzeugs, die sich kurz vor dem Aufschlag noch mal gegenseitig auf die Schulter klopft, weil man trotz der schwierigen Lage noch mit Farbe Leuchtpfeile zu den Ausgängen auf den Flugzeugboden malen konnte.
Blamiert in der Kohlefrage habe sich besonders zwei Länder: Der Sonnenstaat Indien, Atom- und Weltraummacht, dessen herrschende Kaste einen Kohleausstieg nicht hinbekommt. Und das angebliche Entwicklungsland China, aufrüstende Gerne-Großmacht im Südchinesischen Meer, das offensichtlich erkennen muss, dass sich Kohlekraftwerke schwerer abschalten lassen als die mediale Kritik am höchstleuchtenden Staatschef Xi Jinping.
Dabei sollte doch jedem Beteiligten klar sein, dass man unter allen Umständen ein Umkippen der Klimakrise in ein Klimachaos verhindern muss. So beschreibt eine Studie der Autoren David Spratt und Ian Dunlop des australischen Breakthrough National Centre for Climate Restoration die Folgen einer ungebremsten Erderhitzung: Menschen könnten in großen, heißen Teilen der Erde nicht mehr leben; der steigende Meeresspiegel würde fruchtbare Tiefländer vernichten; es käme zu einem Mangel an Wasser und Lebensmitteln. Das Ergebnis wäre letztlich das Massensterben des Menschen.
Doch das ist „nur“ der eine Teil des Bildes; auch die verbleibende Menschheit wäre nicht mehr das, was sie ist und war. Denn dass klimatische Umbrüche auch einen Wandel im Sozialverhalten und Denken von Menschen nach sich ziehen, ist aus der Geschichte bekannt, und sehr schön am Beispiel Europas nach zu vollziehen. Auch wenn diese Klimaumbrüche im Vergleich zu den kommenden Klimazusammenbrüchen eher marginal sind.
Die letzten 1.000 Jahre begannen mit der hochmittelalterlichen Warmzeit. Sie führte zu besseren Ernten, wachsender Bevölkerung, Gründung neuer Städte, Entstehung der Zünfte, zu neuen Techniken wie der Verbreitung von Erneuerbaren Energien in Form von Wassermühlen und den ersten Windmühlen, zu neuen Bauformen wie der Gotik. Die Mobilität der Menschen nahm zu, sowohl räumlich (bessere Ernährungsbasis) als auch geistig: das Interesse an der Rezeption der Antike stieg, die Philosophie, von Anselm von Canterbury über Peter Abaelard und Thomas von Aquin bis zu Roger Bacon, war vernunftbetont und ging neue Wege.
Ab Mitte des 13. Jahrhunderts gab es einen Klimawandel zu einer Kaltzeit. Die Lebensmittelproduktion sank, Hungerjahre folgten, weil häufig Saatgut, aber auch Rebstöcke erfroren. Der Handel ging zurück, in Italien brachen nach 1300 Banken zusammen. Auf diese schlechter ernährte Bevölkerung traf dann rund 50 Jahre später die große Pest. Und die allgemeine materielle Krise zog weiteres Grauen nach sich: es kam vermehrt zu Judenvertreibungen und Verteilungskämpfen (Bauernaufstände), die Hexenverfolgungen setzten ein und erreichten ihren Höhepunkt, Flagellanten zogen durch Europa, peitschten ihre ausgemergelten Körper und hofften so Buße zu tun. Eine weitere Wetterverschlechterung brachte die „Kleine Eiszeit“ ca. 1580 bis 1700. In diese Zeit fällt nicht nur der 30jährige Krieg, in dem sich Männer als Söldner verdingten, weil die Familiengehöfte sie nicht mehr ernähren konnten, sondern auch Teufelglaube, Kometenfurcht und Weltuntergangsphantasien.
Als sich nach 1700 das Klima sowie die Ernährungssituation besserte, und die Angstpsychosen sich nicht erfüllten, begann das Zeitalter der Aufklärung mit Philosophen wie Newton, Leibniz, Wolff, Kant, mit Wissenschaften und Technik sowie ihren Akademien, mit dem Naturrecht und der Verbreitung des Begriffs der Menschenrechte. Dass diese Epoche schon 90 Jahre später wieder zu Ende war, ist primär durch drei Vulkaneruptionen verursacht: Der Ausbruch des isländischen Laki führte zu Missernten, Brotteuerungen und schließlich mit zur Französischen Revolution. 1809 folgte ein unbekannter Tropenvulkan und schließlich 1815 die Explosion des indonesischen Tambora, der uns 1816 das Jahr ohne Sommer bescherte. Die Eruptionen verursachten nicht nur Hungertote, Verschärfung von Konflikten und gesellschaftliche Umwälzungen, sie förderten – abgesehen von den positiven Seiten der Französischen Revolution – auch rückwärtsgewandte Bewegungen wie Romantik, Neuhumanismus, Restauration, Nationalismus, Rassismus, Esoterik, Geisterglaube und Antisemitismus, die bis ins 20. Jahrhundert nachwirkten.
Wenn Klimaumschwünge, ja nur drei Vulkanausbrüche, solche Auswirkungen haben, dann ist unschwer vorzustellen, was passieren wird bei einem weltweiten Klimachaos durch Überhitzung unseres Planeten etc. Es wird sich eben nicht nur auf ein – schon für sich genommen schreckliches – Menschenmassensterben beschränken. Auch die überlebende Menschheit wird nicht mehr dieselbe sein wie vorher, nicht mehr dieselben Werte und Weltsichten teilen. Denn was soll uns der Begriff „Freiheit“ noch sagen in einer Welt, in der Menschen von einer Krise in die nächste gezwungen werden? Was bleibt von der Demokratie, wenn in der Dauerkrise meist nur noch das Recht des Stärkeren gilt? Was soll der Konservativismus noch bewahren? Wie soll ein Moslem seine Religion praktizieren, wenn es in Mekka zum Überleben zu heiß ist? Und: Am Brett des Karneades gibt es keine Solidarität und keinen Sozialismus! Alle können nur verlieren!
Wenn mehr als nur ein kleiner Teil der Menschheit überleben soll, während der Großteil zusammen mit unseren Werten und zivilisatorischen Errungenschaften eliminiert wird, muss Schluss sein mit dieser „Klimapolitik im Schlafwagen“, die offensichtlich nach dem Motto arbeitet: „Nur keine Aufregung, keine harten Maßnahmen; morgen kommen wir schon irgendwo an, wo es nett ist!“ Das einzige, wo wir morgen mit einem solchen „Schlafwagen“ ankommen werden, ist das Klimachaos. Eine solche „Leistung“ wie bei COP 26 darf sich nicht wiederholen.