19.07.2019
Zellularer Ansatz, zum Zweiten
Der VDE versucht es noch einmal: „Statt unbeliebtem Netzausbau: Zellulares Energiesystem.“ In fünf Worten lässt sich diese ganz aktuelle Studie [1] der „Energietechnischen Gesellschaft ETG im Technologieverband VDE“ [2] zusammenfassen. Als dieselbe ETG vor fünf Jahren ihre erste Version vom „zellularen Ansatz“ veröffentlichte, wurde die von Politik und Übertragungs-Netzbetreibern ÜNB einfach ignoriert. War deren zentrale Feststellung zu revolutionär? „Durch mehr lokale Strukturen bei der Energieversorgung weniger Stromnetzausbau und bis zu 45 % weniger Stromtransportbedarf.“ [3]
Dennoch haben damals den „zellularen Ansatz“ besonders nordbayerische Verteilnetzbetreiber wie die Main-Donau-Netz GmbH aufgegriffen. Dies wiederum war nach Aussage von Gerhard Kleineidam aus dem ETG-Autorenteam „Motivation, den beschriebenen Konzeptansatz zu konkretisieren“, damit „eine dezentrale Energieversorgung auf Basis zellularer Strukturen“ tatsächlich Wirklichkeit werden kann.
Dabei sehen die ETG-Fachleute unser Energiesystem bereits heute auf dem Weg „von einer zentralen hin zu einer dezentralen und CO2-armen Energieerzeugung“ – aber mit vielen neuen Anforderungen. Denn nicht mehr wie bislang hauptsächlich die ÜNB, sondern die Verteilnetzbetreiber würden dadurch „zum Rückgrat der Energiewende“. Damit bestätigt die VDE-ETG die „Stadtwerkestudie 2017“ des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW. Denn momentan „erfolgt eine Abkehr von der nachfragegesteuerten Bereitstellung elektrischer Energie und der Wandel zu einer angebotsgesteuerten Energienutzung“, sind sich die VDE-Fachleute sicher. Deshalb haben sie Fragen und Antworten zu Planung, Betrieb, Sektorenkopplung, sinnvoller Digitalisierung und zur Sicherheit der Informationen ins Zentrum ihrer neuen Arbeit gestellt.
Wie muss ein zellulares Energiesystem systematisch und geordnet aufgebaut sein, gerade im Hinblick auf die Anforderung des künftigen „Smart Grid“? Denn die Digitalisierung komme sicher. Die wiederum werde auch die Sektorenkopplung erleichtern; die sei „gemeinhin die energietechnische und energiewirtschaftliche Verknüpfung von Strom, Wärme, Gas sowie Energieträgern für Mobilität und industrielle Prozesse, mit denen verschiedene Arten von Energie miteinander ausgetauscht und optimiert werden können“, bis hin zu „Power-to-X-Technologien“.
Aus diesem Grund auch im ETG-Blick: Wie sind Speicher für Gas und Wärme ins Gesamtsystem einzubinden? Oder: Wie ist „die zeitlich steuerbare Nutzung von Ladeinfrastrukturen für die Elektromobilität zu bewältigen“?
„Jeder Erzeuger, ob Privat, Gewerbe, Industrie, als auch die Netzbetreiber müssen für die Energie, die in ein Netz eingespeist werden soll, eine vorgeschriebene Qualität gewährleisten (Produkthaftung).“ Diesen Aspekt behandeln die Studienmacher ebenso. Und dann definieren sie viel genauer als im „Zellularen Ansatz I“ die einzelne Energiezelle, aber auch „die Verknüpfung der Zellen untereinander sowie über alle Ebenen von der Übertragung bis zur Verteilung“.
Am Ende des Papiers stehen jede Menge praktische Beispiele, in denen zellulare Energiesysteme heute schon realisiert sind. Nach außen erkennbar arbeitet nur an einem der Projekte – am Netzlabor Freiamt – ein ÜNB maßgeblich mit. Dagegen sind in der überwiegenden Zahl der beschriebenen Projekten Stadtwerke und Regionalnetzbetreiber die treibenden Kräfte für das Vorantreiben der Dezentralität.
Wie schon vor vier Jahren, hebt das ETG-Team diesmal wieder heraus: Damit Energiezellen funktionieren können, geht es im Wesentlichen zunächst darum, dezentrale Erzeugung und lokalen Verbrauch aufeinander anzupassen. Dann sei auch der (notwendige) verstärkte Ausbau Erneuerbarer Energien problemlos machbar. Und zwar nicht (nur) in Groß-Windparks im Meer, sondern (vor allem) dezentral, vor Ort, unter Einbindung der Bevölkerung, in Energiegenossenschaften oder von Bürgern finanzierten Beteiligungsprojekten.
Die Autoren geben zwar zu, „nicht alle Fragen im Zusammenhang mit dem zukünftigen Energiesystem umfassend zu beantworten. Dazu sind weitere Arbeiten notwendig.“ Aber sie sind bereits jetzt sicher: „Durch die lokale oder Regionale Organisation der Energiebereitstellung, -speicherung und –bilanzierung der Zellen kann der Netzausbau reduziert werden.“
Hoffentlich erzeugt deshalb der „Zellulare Ansatz“ im zweiten Anlauf mehr Resonanz. Diesmal ist die Studie kostenlos abzurufen im Internet. Der erste „Ansatz“ kostet übrigens weiterhin 250 Euro für Nicht-VDE-Mitglieder.
Heinz Wraneschitz
[1] Abruflink der Studie: https://shop.vde.com/de/zellulares-energiesystem
[2] www.vde.com/de/etg
[3] www.vdi-nachrichten.com/Technik-Gesellschaft/Energie-besser-lokal-austarieren