19.04.2024
Kurspeilungen der Energiewende Teil 3: CO2-lastige Stoffe vermeiden
Eine Skizze von Götz Warnke
Ein Skipper auf dem Meer muss sich bei heraufziehendem Unwetter überlegen, welchen Kurs er anlegen bzw. wohin er sein Boot steuern will. Der Skipper muss sich also verschiedene Kurse überlegen, auf denen er unter den gegebenen Umständen einen sicheren Platz zum Festmachen erreicht. Wie und mit welchen Manövern er diesen Platz dann auf den letzten paar Hektometern erreicht, ergibt sich dann aus der aktuellen Situation. Wichtig ist, den richtigen Kurs zu wählen und sichere Gewässer zu erreichen.
Das gilt auch für die Energiewende. Denn das heraufziehende Unwetter ist die Klimakrise mit immer häufiger und zum Teil auch stärker auftretenden Extremwetter-Ereignissen. Ihr gilt es möglichst weitgehend zu entkommen, die richtigen Kurse anlegen. Dabei geht es um die richtige Richtung, um grundsätzliche Orientierungen, nicht um Einzelmaßnahmen, auch wenn die zu laufenden Kurse immer mit Einzelmaßnahmen als Beispiele unterlegt werden. Dabei erheben weder die hier abgesteckten Kurse/Grundorientierungen noch die einzelnen Manöver/Maßnahmen zu ihrer Umsetzung Anspruch auf Vollständigkeit.
CO2-lastige Stoffe vermeiden
In einem überwiegend fossilen Energiesystem tragen alle geschürften, synthetisierten, produzierten Stoffe und Waren eine, wenn auch unterschiedliche, CO2-Last. Denn machen wir uns bitte nichts vor: auch wenn unser Strom zu über 50 Prozent mit Erneuerbaren Energien erzeugt wird, so sind die Sektoren Wärme und Verkehr so überwiegend fossil, dass wir über alle Sektoren hin gerade einmal auf einen EE-Anteil von knapp über 20 Prozent kommen. Die fossile Energie-Epoche seit 1850 hat nicht nur das Klima zunehmend aufgeheizt, sondern uns durch viele Lebenserleichterungen, Neuheiten und Vorteile auch hochgradig abhängig gemacht.
Das beginnt bereits mit den Grundstoffen des modernen Lebens, mit Stahl, Aluminium, Glas, Beton, Plastik, die uns im Alltag dauerhaft umgeben. Die hier entstehenden CO2-Emissionen zu reduzieren, ist zum einen im Bereich der Produktion die Aufgabe der Energieintensiven Industrien: beim Stahl, beim Glas und in anderen Bereichen gibt es dazu Ansätze.
Aber es muss zum anderen auch in den gesellschaftlichen Konventionen eine Veränderung geben, einen Abschied von den materiellen Neuheiten von gestern, ein Bruch mit manchen Konstruktionstraditionen der Ingenieure.
Da ist z.B. der Gebäudesektor, in dem weltweit rund 40 Prozent der Klimagas-Emissionen anfallen – die Hälfte davon bei der Gebäudeerrichtung und ihrer Vorketten, die andere bei der (Energie-)Versorgung über die Nutzungsdauer in und beim Abbruch. Insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Bauwirtschaft stark auf die CO2-intensiven Materialien Glas, Stahl und Beton gesetzt; erst mit dem neuen Jahrtausend begann ein langsames Umdenken. Naturbaustoffe wie Holz und Lehm erleben seitdem eine Renaissance: Holzhochhäuser oder Gewerbeimmobilien in Holz-Hybrid-Bauweise sparen nicht nur CO2, sie speichern es auch in ihrer hölzernen Bausubstanz. Lehmputze oder gepresste, aber nicht gebrannte Lehmsteine für den Innenausbau sparen zudem noch Strom für die Klimatisierung. Andere, fast CO2-freie Naturprodukte warten noch mehr oder minder auf ihre Wiederentdeckung: heimische Schieferdächer, deutlich klimafreundlicher als gebrannte Tondachziegel oder Dachpfannen aus Beton, führen weiterhin ein Nischendasein. Säulenbasalt, schon von Natur aus meist sechseckig „zugeschnitten“ und u.a. beim Bau des Kölner Dom verwendet, wird heute praktisch nicht mehr eingesetzt.
Ähnlich sieht es im Verkehrssektor aus: selbst E-Fahrzeuge tragen hier durch die Materialien Stahl, Glas, Kunststoffe einen erheblichen Klima-Rucksack. Zwar gibt es inzwischen Fahrräder aus Bambus und Holz, aber beim E-Auto schaffte es keiner der in der TU Eindhoven gebauten Prototypen aus Naturmaterialien in die Serienproduktion. Immerhin wollen jetzt im Rahmen des EU-Projekts ZEvRA das Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) sowie weitere Partner bis 2026 ein vom Material kreislauffähiges E-Auto entwickeln. Dabei ist es keine 80 Jahre her, dass in der Luftfahrt das schnellste Flugzeug der Welt, der Raketenjäger Me 163, das größte Flugzeug der Welt, die Hughes H-4 Hercules, und eines der am meisten gebauten Flugzeuge der Welt, das russische Jagdflugzeug Lawotschkin La-5, hauptsächlich aus Holz bestanden. Weder Geschwindigkeit noch Größe noch Massenproduktion sprechen also gegen das nachhaltige Material.
Dass sich auch die Technik der Erneuerbaren Energien so weit wie möglich von CO2-lastigen Stoffen verabschieden muss, versteht sich von selbst. Mittlerweile gibt es Holztürme für große Windkraft-Anlagen und das Konzept eines Montagesystems aus nachwachsenden Rohstoffen für Agri-Photovoltaik-Anlagen. Bei manchen neuen Technologien kann man gleich zu Anfang die Weichen für CO2-arme Versionen stellen. Denn z.B. bei der Entscheidung für ein solches E-Auto-Ladesystem sind auch für die kommenden Jahrzehnte die CO2-Lasten durch Verlegung von tausenden Kilometern stählernen Leiterplatten garantiert.
Doch die Entscheidung für klimafreundliche Rohstoffe ist längst nicht nur Sache der Anderen; sie beginnt bereits im eigenen Haushalt: wer einen schicken Glastisch im Wohnzimmer, elegante Stahlrohrstühle im Homeoffice, viele bunte Plastikteile in Küche und Bad, sowie einen schönen Stahlgitterzaun rund ums Grundstück hat – statt hier überall nachwachsende Rohstoffe zu verwenden – , der hat die Klimakrise bereits selbst ordentlich befeuert. Und da haben wir von der FastFashion im Kleiderschrank, den vierteljährlich wechselnden, plastikreichen „Outfits“ noch nicht einmal gesprochen.
Dabei stehen uns die schwierigen Probleme der Klimagas-Vermeidung noch bevor: Z.B. Helium ist ein wichtiges Edelgas, was für die Kühlung von supraleitenden Magnetspulen in Kernforschungszentren und Magnetresonanztomographen, als Auftriebsgas für Luftschiffe und Ballons, als Tauchgas und für viele industrielle Zwecke wie z.B. die Glasfaser-Herstellung verwendet wird – es ist also nicht zu ersetzen. Gewonnen wird es allerdings aus der Erdgasförderung, weshalb es wegen des Methanschlupfes auch einen erheblichen Klimafußabdruck trägt. So wird man künftig selbst in einer CO2-freien Gesellschaft weiterhin Erdgas fördern, das Helium abscheiden, und das Methan mittels CCS wieder in die unterirdischen Lagerstätten zurück befördern müssen.
Teil 1: Temperaturen senken, Verbrennung beenden
Teil 2: Ein EE-System installieren
Teil 3: CO2-lastige Stoffe vermeiden
Teil 4: Geschwindigkeiten anpassen
Teil 9: Fußabdruck verschlanken