18.12.2020
Desinformationskampagnen
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Wir können auf Jahrzehnte umfassende Erkenntnisse der Klimaforschung zurückblicken. Dennoch gibt es auch beim Thema Erderwärmung viele Menschen, die nicht der Meinung sind, dass sich die Erde in den vergangenen 150 Jahren erwärmt hat. Wie kommt es, dass viele Menschen, Falschinformationen als wahr betrachten?
Die Erderwärmung findet statt...
Ende November teilte der Deutsche Wetterdienst mit, dass der Monat November mit einem Temperaturdurchschnitt von 6,0 °C in Deutschland im Durchschnitt 2,0 °C über dem Wert von 1961 bis 1990 war (international gültige Referenzperiode). Das waren die Ergebnisse erster Auswertungen der Daten von etwa 2.000 Messstationen. Im Vergleich zur wärmeren Periode 1981 bis 2010 betrug die Abweichung +1,6 °C. Knapp eine Woche später verkündeten die Vereinten Nationen, dass 2020 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen werden kann, und dass die Welt auf eine Erderwärmung von 3,2°C zusteuert ("Emissions Gap Report 2020"). Die Weltgemeinschaft ist somit noch weit entfernt davon, die durchschnittliche Erdtemperatur deutlich unter 2°C im Vergleich zu vorindustriellen Werten zu halten oder das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. So wie es die Vertragsparteien der 21. Vertragsstaatenkonferenz (COP) des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) vor fünf Jahren beschlossen hatten. Auch wenn auf politischer Ebene Rahmengesetze - wie das Klimaziel der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % im Vergleich zu 1990 zu reduzieren - und Instrumente - wie der CO2-Preis in Höhe von 25,- € ab Januar 2021 - beschlossen werden, haben Antiklimaschutz-Netzwerke oft damit Erfolg, mit Desinformationskampagnen die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern (Die DGS News berichteten).
... auch wenn das manche in Frage stellen wollen
In den USA sind Verschwörungserzählungen, die wissenschaftliche Fakten zur Erderwärmung in Zweifel ziehen, weit verbreitet. Ein Beispiel, dass die Autorinnen Katharina Nocun und Pia Lamberty in Ihrem Buch "Fake Facts" nennen, ist: jeder Vierte US-Amerikaner denkt, es gäbe in der Wissenschaft große Kontroversen zum Thema Klimawandel. Außerdem "gibt es bei den Republikanern heute nur noch eine Minderheit, die sich öffentlich zum Klimaschutz bekennt". Das Yale Program on Climate Change Communication hat Umfrageergebnisse veröffentlicht, die das in einer Karte gut veranschaulichen (Abbildung oben).
Zum Klimawandel kursieren seit Jahrzehnten Falschinformationen. Solche Arten von Meldungen beschreiben Stephan Lewandowsky und John Cook und zwanzig weitere wissenschaftliche Autoren im Debunking Handbook als falsche Informationen, die verbreitet werden, "unabhängig von einer Absicht in die Irre zu führen". Zudem seien Falschinformationen "oft von einer emotionalen Sprache durchdrungen und so gestaltet, dass sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und eine sehr überzeugende Wirkung haben". Das erleichtere ihre Verbreitung und kann ihre Wirkung verstärken. Nach Meinung der Autoren habe es sich gezeigt, dass Falschinformationen die politische Agenda bestimmen. Das Autorenteam bezeichnet falsche Informationen, die mit Absicht zur Irreführung verbreitet werden, als Desinformation. Im Unterschied dazu sind Fake News falsche Informationen, die Nachrichtenmeldungen nachahmen und oft reißerisch formuliert sind.
Wenn Desinformationen einmalig wiederholt werden, helfe das bei der Aktualisierung von Überzeugungen. Allerdings können Menschen davor gewarnt werden, dass sie falsch informiert werden, und das allein verringere bereits "die Gefahr, dass sie sich später auf die Falschinformation verlassen". Zudem zeigen ihre Forschungen, dass es einen "Scheinwahrheitseffekt" gibt: häufig gehörte Informationen werden vertrauter und deshalb eher als wahr angesehen. Dabei sei die objektive Wahrheit weniger wichtig als Vertrautheit. Zudem beeinflussen Falschinformationen oft weiterhin das Denken der Menschen, "auch wenn Richtigstellungen den Einfluss von Falschinformationen zu verringern scheinen". Ein solches fortgesetzte Vertrauen auf falsche Informationen im menschlichen Gedächtnis und im Denken, nachdem eine glaubwürdige Korrektur vorgelegt wurde, bezeichnen die Autoren als "Effekt anhaltender Wirkung". Einige Methoden der Desinformation sind in der Klimakommunikation weit bekannt, wie die von Klimafakten unter dem Kürzel #PLURV veröffentlichte Übersicht. Das Präsentieren von "Pseudoexperten", unqualifizierte Personen oder Institutionen, als Quelle relevanter Einwände ist eine dieser Desinformationsstrategien. Eine andere ist das Einbauen von "Logikfehlern" in Argumentationsketten, so dass aus korrekten Aussagen falsche Schlüsse gezogen werden. Mit "unerfüllbaren Erwartungen" ist das Verlangen von Belegen gemeint, die nicht erfüllt werden können, wie etwa ein sehr hoher Grad an Gewissheit. Die Taktik "Rosinenpickerei" ist eine bewusste lückenhafte Auswahl von Quellen oder Sachverhalten, so dass diese die Aussagen des Manipulierenden zu stützen scheinen. Laut der Neurowissenschaftlerin Maren Urner verstärken das Rauspicken solcher "Rosinen" und eine Vermeidung von Information die gesellschaftliche Polarisierung. Wie sie in ihrem Buch "Schluss mit dem täglichen Weltuntergang" (Seite 179) schreibt, sorgen diese Mechanismen dafür, dass Menschen in einer Diskussion oder beim Medienkonsum noch stärker vom eigenen Standpunkt überzeugt sind.
Identitätsgefährdende Informationen
Ein starkes Werkzeug sei es laut Urner, ein bestimmtes Thema zum Teil der Identität von Menschen" zu machen. "Ist das einmal passiert, kann das gesellschaftliche Diskurse nicht nur erschweren, sondern gar unmöglich machen. Denn dann führt jedes Gegenargument lediglich dazu, dass sich die eigene Position noch stärker festsetzt." Je stärker wir uns gegen Argumente zur Wehr setzen, die unsere Identität bedrohen, "desto aktiver sind Gehirnregionen, die für Angstgefühle wichtig sind. Im Gehirn werden also ähnliche Mechanismen aktiviert, wenn wir mit einem Messer oder mit Argumenten bedroht werden." Menschen die mit Fakten konfrontiert werden, die mit den eigenen Überzeugungen kollidieren, integrieren diese nicht einfach in das eigene Wissen. Denn sie wollen ihr bisheriges Weltbild und die eigene Identität aufrechterhalten. "Wenn Du Werte und Standpunkte einer Gruppe verteidigst, geht es meist nicht darum, die Wahrheit herauszufinden, sondern darum, die eigene Identität zu schützen.", so Urner.
Medienkompetenz
Um sich vor Desinformationsversuchen zu wappnen, gibt es mehrere Aspekte, die es sich lohnt bewusst zu machen. Zum Beispiel zu bedenken - wie oben beschrieben - dass häufig gehörte Informationen vertrauter werden, und deshalb eher als wahr empfunden werden. Auch die sprachliche Einrahmung eines Arguments - das Framing - kann das Verhalten von Lesern und Zuhörern beeinflussen. Laut Urner mache es für die Akzeptanz von Maßnahmen gegen den Klimawandel einen Unterschied, ob von CO2-Steuern oder CO2-Ausgleich gesprochen wird. Das gelte für die "Menschen, deren Werte durch die für sie mitklingende Bedeutung des Wortes Steuern herausgefordert werden." Außerdem tendieren wir alle dazu, neue Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen und die eigene Weltanschauung bestätigen. Diese kognitive Verzerrung wird "confirmation bias" genannt. In ihrem oben genannten Buch übersetzt Urner diesen Effekt mit "Bestätigungsfehler", denn er sorgt dafür, dass wir dazu tendieren unser Weltbild zu verfestigen, anstatt es zu hinterfragen. "Informationen, die die eigenen Erwartungen nicht bestätigen, werden entweder ganz ignoriert, anders wahrgenommen oder gleich wieder vergessen.", so Urner. Das Debunking Handbook empfiehlt etwa: Informationen beim Lesen kritisch bewerten und Querlesen: selbständig die Glaubwürdigkeit einer Website bewerten indem andere Quellen genutzt werden.
Anmerkung: Der Klimaforscher Michael E. Mann beschäftigt sich als "Betroffenerr" auch bereits seit Jahren mit der Thematik. Anfang des Jahres erscheint sein neues Buch, der Text für die deutschsprachige Ausgabe des Buchs von Michael Mann wird gerade produziert, d.h. das Buch wird gerade in diesem Moment übersetzt. Die DGS wird, wie auch schon bei dem Vorgängerwerk „Der Tollhauseffekt“, dabei Herausgeber sein. Hier können Sie es vorbestellen.