18.10.2019
CDU-Initiative zu Infrastrukturbeschleunigung: Geplanter Angriff aufs Umwelt-Völkerrecht?
Generalsekretär Paul Ziemiak und weitere vier namhafte CDU-Politiker haben vor wenigen Wochen ihren „11-Punkte-Plan für schnelleres Planen und Bauen“ veröffentlicht. Punkt 1 fordert schlichtweg das Schleifen des Umwelt-Völkerrechtsvertrags „Aarhus-Konvention“. Und weil die CDU-Zentrale Konrad-Adenauer-Haus in Berlin auf Nachfrage bestätigt, „Generalsekretär Ziemiak spricht für die Partei“, ist diese Forderung demnach offizielle CDU-Politik.
Die in vielen Medien abgedruckte DPA-Meldung suggerierte dagegen: Der CDU-„11-Punkte-Plan für schnelleres Planen und Bauen“ sei eine Reaktion auf den nervigen Umweltverband Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Regierungspartei wolle offensichtlich die DUH in die Schranken verweisen, so der dpa-Tenor. Bekanntlich klagt der Verband DUH beharrlich gegen Städte, die Schadstoffgrenzwerte nicht einhalten oder gegen Autohersteller, welche Betrugssoftware einsetzen. Und seit Monaten heißt es aus konservativen Kreisen von CDU, CSU oder FDP, man solle solch aufmüpfigen Verbänden wie DUH oder auch Attac die Gemeinnützigkeit entziehen.
Autoren des aktuellen, fünfseitigen 11-Punkte-Papiers sind neben Generalsekretär Paul Ziemiak unter anderem Carsten Linnemann, MdB und Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union. Auch dabei war Hendrik Wüst, Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur des Landes Nordrhein-Westfalen.
Die Fünf betonen besonders die Chancen, die ihr „Punkt 6: Verbandsklagerecht einschränken“ böte: Dieser Vorschlag könnte nationale Infrastrukturprojekte stark beschleunigen. Doch das soll womöglich vom ersten der 11 Punkte ablenken. Der lautet „Reform der Aarhus-Konvention“.
Denn was so unscheinbar daherkommt, ist aber ein offensichtlich von der CDU „geplanter Angriff auf die Grundfesten von Umwelt-Völkerrecht und Umwelt-EU-Recht“: So erklärt Wolfgang Baumann aus Würzburg, einer der profiliertesten deutschen Umweltrechtler diesen Satz.
Kaum bekannte Aarhus-Konvention
Mit dem Begriff „Aarhus-Konvention“ können die wenigsten Menschen etwas anfangen. Dabei ist dieses 1998 im dänischen Aarhus unterzeichnete Übereinkommen laut UNECE, der europäischen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen, „der erste völkerrechtliche Vertrag, der jeder Person Rechte im Umweltschutz zuschreibt“.
Neben der Europäischen Union haben inzwischen 47 Länder „Aarhus“ ratifiziert. Darunter sind alle Mitgliedsstaaten der EU, also auch die Bundesrepublik Deutschland. Ganz weit vorne in diesem völkerrechtlich bindenden Vertrag stehen die frühzeitigen Klagerechte sowie die Öffentlichkeitsbeteiligung in allen Umweltangelegenheiten.
Deshalb sind bis heute Klagen vor nationalen und internationalen Gerichten gegen die BRD anhängig, beispielsweise wegen des deutschen Umweltrechtsbehelfsgesetzes UmwRG. Dieses kaum bekannte Gesetz ist die Grundlage für viele andere Gesetze und Verordnungen, die hierzulande zu umweltrelevanten Investitionen beschlossen wurden und werden. Beispiele dafür sind Bundesbedarfsplangesetz BBPlG und Netzausbau-Beschleunigungsgesetz NABEG, beide gerade für den Ausbau von Höchstspannungs-Stromtrassen bedeutsam.
Mit Aarhus unvereinbare Gesetze?
Nach Meinung von Klägern sind einige Vorschriften im UmwRG nicht mit der Aarhus-Konvention vereinbar. Denn laut Aarhus müssen Bürger und Verbände die Möglichkeit haben, „die Durchsetzung von Rechtsvorschriften vor Gericht einzuklagen, damit die nicht nur auf dem Papier stehen“, erläutert Anwalt Baumann. Ein Aspekt, der nicht nur, aber gerade im Zusammenhang mit der aktuellen Stromnetzplanung sehr wichtig erscheint. Nun aber fordert das CDU-Papier: „Die Bundesregierung muss die EU-Ratspräsidentschaft 2020 für eine Initiative zur Reform der Aarhus-Konvention nutzen, um damit eine Verfahrensbeschleunigung und Modernisierung der Beteiligungsverfahren zu erreichen.“ Damit würde die Politik Bürgern und Organisationen die Möglichkeit entziehen, frühzeitig gegen neue umweltrelevante Gesetze und Projekte zu klagen. Dabei steht in der Einleitung zu den elf Punkten das genaue Gegenteil. Direkt vor der Aarhus-Reform-Forderung ist zu lesen: Die Regierung solle Maßnahmen in die Wege leiten, welche die „frühzeitige Einbindung von Bürgerinteressen gewährleisten“. Denn laut den CDU-Autoren um Generalsekretär Paul Ziemiak sei „das Vertrauen der Bürger in den Staat bei großen Bauprojekten spürbar gesunken.
Widerstand gibt es dann, wenn persönliche Belange oder Umweltbelange betroffen sind oder der Sinn und die Kosten eines Projektes nicht verständlich vermittelt werden.“ „Punkt 9 - Neue Beteiligungskultur etablieren“ bedeutet aber: Statt dem laut Aarhus-Konvention offenen Klageweg gegen ein Projekt sieht das CDU-Papier „professionelle Verfahrenskommunikation“ vor, also mehr Werbung und PR. Doch auch konkrete Beteiligungsmöglichkeiten schlagen die Verfasser vor. So sollen Bürger und Verbände ihr Missfallen „digital, zum Beispiel in verpflichtenden Online-Foren“ kundtun. Das würde aber gerade ältere Betroffene benachteiligen. Ein Satz fasst den auf die Wirtschaft ausgerichteten Ansatz der elf Punkte zusammen: „Grundsätzlich sollten zukünftig bei der Verabschiedung von Umwelt- und Naturschutzregelungen auf europäischer Ebene stärker die möglichen Auswirkungen auf Belange von Mobilität und Logistik berücksichtigt werden.“Es ist demnach klares CDU-Ziel, den gültigen Aarhus-Völkerrechts-Vertrag schleifen zu wollen.