18.08.2023
Gentechnik – ja, bitte!
Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke
Mut hat sie ja – Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne). Hat sie doch zusammen mit ihrer Baden-Württembergischen Amtskollegin Petra Olschowski (ebenfalls Grüne) eines der lang gehegten (Vor-)Urteile der Grünen grundsätzlich in Frage gestellt: Die pauschale Ablehnung der Gentechnik. Fegebank hatte ihren Tabubruch – so wurde er zumindest von einigen Grünen empfunden – mit der Ernährungssicherheit und mit der Sicherung einer entsprechenden Forschung in Europa begründet.
Hintergrund ist die Absicht der EU-Kommission, die Neuen Gentechnischen Verfahren (NGT) wie Crispr/Cas von der strengen EU-Gentechnik-Regulatorik auszunehmen, da die Verfahren sehr präzise arbeiten und solange ihr Ergebnis nicht von dem abweicht, was auch auf natürliche Weise oder durch herkömmliche Züchtung entstehen könnte. Damit würde auch eine strenge Risikoüberprüfung entfallen; immerhin unterscheiden sich solche Pflanzen nicht von natürlich entstandenen, und daher ist der gentechnische Eingriff wissenschaftlich gar nicht nachweisbar.
Der Aufschrei der Naturschutzverbände kam ebenso erwartbar wie prompt: der BUND-Landesverband Hamburg zeigte sich „entsetzt“ und sprach von einem „Frontalangriff auf den Verbraucherschutz“. Nun muss man im Allgemeinen nicht allzu viel auf die Aufgeregtheiten der spendengetriebenen Naturschutzverbände geben. Immerhin steht ja bei manchen Naturschützern selbst der Naturschutz zur Disposition – der Klimaschutz sowieso –, wenn es um die Bewahrung des ach so geliebten Landschaftsbildes geht.
Direkt betroffen von einer solchen EU-Änderung wäre ja das Selbstverständnis der Biolandwirtschaft. Hier haben die Vertreter sich zwar nicht so lautstark geäußert, aber die Position der Biobauern und ihrer Pflanzenzüchter ist prinzipiell klar: Gentechnik? Nein Danke! So schreibt das renommierte und um die Biozüchtungen verdiente Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in seinem Magazin Bioaktuell vom 24. Januar 2023: „Der gentechfreie Biolandbau gerät dadurch zunehmend unter Druck, denn auch er braucht für die Zukunft Pflanzenzüchtungen, die den veränderten Umweltbedingungen besser angepasst sind. Hier bietet die Biozüchtung Lösungen an, da sie im Gegensatz zu Gentechnikverfahren den biologischen Grundsatz von der Unversehrtheit der Zelle respektiert.“
Schließlich ruht die Biolandbau auf drei Säulen:
- Keine chemischen Düngemittel! Das ist aus verschiedenen Gründen richtig und wichtig, u.a. weil die intensive Düngung erhebliche Mengen an Lachgas freisetzt und so als Klimakiller fungiert.
- Keine chemischen Pflanzenschutzmittel! Das ist aus verschiedenen Gründen richtig und wichtig, u.a. weil die Pestizide auch Bestäuber-Insekten wie Bienen oder Schmetterlinge vernichten, sowie die den Boden lockernden Regenwürmer reduzieren.
- Kein gentechnisch verändertes Saatgut! Das war aus verschiedenen Gründen richtig und wichtig, u.a. weil die damalige, noch wenig präzise Gentechnik vielfach Bakteriengene auf Pflanzen übertrug, also transgen arbeitete.
Doch was so konsequent erscheint, hat einen Haken: Der Grundsatz von der Unversehrtheit der Zelle ist nicht überall gleichermaßen gültig. Schon in den 1930er Jahren begannen Pflanzenforscher, den Pflanzenzellen mit Chemie oder radioaktiver Strahlung zuzusetzen, um schneller zu Reaktionen in Form von Mutationen zu kommen und so die Züchtungen voran zu treiben; insbesondere ab Mitte der 1960er Jahre wurde die Mutagenese mittels atomarer Strahlung systematisch in der Pflanzenzüchtung eingesetzt. Die Zufallsergebnisse solcher „Schüsse in Blaue“ decken heute bei vielen Pflanzen einen großen Teil der Produktion ab. Was manche Grüne geradezu schönfärberisch als „Die Pflanzen oder deren Zellen werden Reizen ausgesetzt“ bezeichnen, ist in Wirklichkeit knallharter Strahlenbeschuss oder scharfe Chemie. Dagegen sind die neuen Genome-Editing-Methoden wie Crisper/Cas hochpräzise „Feinmechanik“ – nicht umsonst sind ihre Ergebnisse praktisch nicht von natürlichen Mutationen zu unterscheiden (s.o.). Doch Wunder über Wunder: Die durch Mutationszüchtung erzeugten Pflanzen werden in den EU-Gentechnik-Gesetzen zwar den „gentechnisch veränderten Organismen“ (GVO) zugerechnet. Sie sind jedoch von allen für GVO geltenden Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschriften ausgenommen und können so ohne besondere gesetzliche Auflagen genutzt werden. Hintergrund könnte einerseits sein, dass man in der EU annimmt, bei den schon vor langer Zeit mutagenisierten und daher bekannten Pflanzen seien mögliche „Nebenwirkungen“ ausgeschlossen – was insbesondere bei langfristig-unspezifischen Folgen wie Zunahme von Lebensmittelunverträglichkeiten und Autoimmunerkrankungen ein Irrtum sein könnte. Andererseits könnte es um den Biolandbau gehen, der sich z.T. auch auf mutagenisierte Pflanzen stützt. Zwar gibt es auch im Biolandbau Richtungen, die nur alte, samenfeste, regionale Sorten anbauen und vertreiben, aber viele bauen auch Mutagenese-Pflanzen, nur ohne Kunstdünger und Pestizide an.
Angesichts dieser Pflanzenbauhistorie, die natürlich seit Jahrzehnten in allen Fachkreise weitgehend bekannt ist, wirken Vorwürfe wie „Frontalangriff auf den Verbraucherschutz“ aus dem Lager des Naturschutzes geradezu skurril. Die Naturschützer erinnern an Ärzte, die Amputationen mit einer abgesägten Schrotflinte für völlig normal halten, aber sofort Schnappatmung bekommen, wenn jemand mit einem Skalpell im OP auftaucht.
Die pauschale Ablehnung birgt zudem die Gefahr, dass wichtige Details erst gar nicht in den Blick genommen werden. So sind Rechte am geistigen Eigentum für Saatgut und Züchtungsmethoden ein zentrales Thema. Es macht für Landwirte hinsichtlich der Nutzbarkeit von Samen einen erheblichen Unterschied, ob ein Züchter für neues Saatgut ein auf 20 Jahre geltendes Patent anmelden darf, oder nur ein für drei bis 10 Jahre geltendes Gebrauchs-/Geschmacks-Muster, das zudem leichter anzufechten wäre, wenn eine genidentische Pflanze bereits in der Natur vorkommt. Auch würde es einen Unterschied machen, wenn staatlich finanzierte (Universitäts-)Forschung nur zu samenfesten Sorten oder/und mehrjährigen Pflanzen führen darf, die von Berufs- und Hobby-Gärtnern frei reproduzierbar sind, und so deren Unabhängigkeit bewahren. Wegen der Totalverweigerung in der Vergangenheit besteht hier bei der sinnvollen Normierung ein erheblicher Nachholbedarf.
Warum ist Gentechnik überhaupt wichtig?
+ Künftig müssen wir aus Energiespargründen vermehrt Stahl durch Holz ersetzen – bei PV-Aufständerungen, Windkrafttürmen und sonstigen Gebäuden. Für hohe Belastungen eignet sich „Eisenholz“ wie Pockholz aus der Karibik oder Bongossi aus Westafrika, die jeweils mehr als die doppelte Brinellhärte haben wie die deutsche Eiche. Könnte man Eichensorten mit ähnlicher Härte züchten, müsste man nicht anderswo Wälder abholzen.
+ Mehrjährige Pflanzen ersparen die – oft maschinelle – Aussaat, halten den Humus und die Bodenfeuchte fest. An der Uni Düsseldorf arbeitet man im Projekt CEPLAS daran, einjährige Gerste auf zweijährige Ertragszeit umzuprogrammieren. Aber auch die mehrjährige Tomate und die mehrjährige Buschbohne wären nicht der Untergang des Abendlandes.
+ Wenn wir von der energieintensiven chemischen Industrie zumindest teilweise weg wollen, brauchen wir geeignete Naturstoffe, die die Funktionen der Chemie übernehmen, z.B. der Ersatz der Chromgerbung durch eine pflanzliche Gerbung mit Extrakten aus Eichen- oder Walnuss-Blättern, denen man genetisch einen höheren Gerbstoffanteil anzüchten könnte.
+ Gentechnisch erzeugte krankheitsresistente und genügsame Pflanzen könnten eine moderne Biolandwirtschaft, die auf Pestizide und Kunstdünger verzichtet und so Klima sowie Umwelt Schäden erspart, zur Regelanbauform machen.
+ Gentechnik könnte helfen, schädliche Neophyten wie den Riesenbärenklau in ihrer Schädlichkeit und Ausbreitungsgeschwindigkeit einzudämmen.
+ Wegen der notwendigen Klimaanpassung: viel Pflanzen und Insekten können vor der schnell voranschreitenden Erderhitzung nicht schnell genug nach Norden ausweichen. Nur wenn wir die Pflanzen dem Hitzestress anpassen, erhalten wir auch die von ihnen lebenden Insekten – das Insektensterben darf nicht noch größer werden.
Die o.a. Beispiele bilden bei weitem nicht das Spektrum an Möglichkeiten ab, zeigen aber verschiedene Anwendungsrichtungen. Wie schnell und weitreichend dann solche Neuerungen wirken, demonstriert die Geschichte der Insulinproduktion: Bis Anfang der 1980er Jahre mussten Diabetiker das allergieträchtige Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern und Schweinen nutzen. Dann wurde seit 1982 gentechnisch hergestelltes Humaninsulin verfügbar. Heute spritzen fast alle Diabetiker rund um den Globus gentechnisch hergestelltes Humaninsulin in ihre Körper – auch Naturschützer und Biolandwirte sollen darunter sein.
Fazit
Es gibt viele Möglichkeiten eines sinnvollen, nicht nur profitorientierten Einsatzes der Gentechnik. Und diese Möglichkeiten müssen längst nicht zu neuen Abhängigkeiten von Konzernen führen. Vielleicht tritt eines Tages neben den SolarRebell auch ein GentechnikRebell, der mittels eines technischen Baukastens Pflanzen den Bedürfnissen des eigenen Gartens anpasst – in anderen Bereichen wie Energie/SolarRebell und 3-D-Druck gibt es ja bereits heute die Tendenz zur individuellen Selbstermächtigung.
Jedenfalls besteht kein Grund, über die Gentechnik im Allgemeinen und die neuen Genome-Editing-Methoden im Besonderen Horrorszenarien zu verbreiten, wie es manche Naturschützer tun.
Vor einiger Zeit sagte ein politischer Spötter, ohne Kopftuchzwang und Frauenunterdrückung würde die Islamische Republik Iran ihren Kern und Sinn verlieren. Vielleicht ist das ja beim Naturschutz hinsichtlich Gentechnik-Ablehnung und Verbotsforderungen ähnlich.