18.04.2019
Wind in Hamburg, Flaute in Berlin – die Hamburg Offshore Wind Conference
„10 Jahre Offshore Wind in Deutschland“ – der Rückblick auf die Leistungen innerhalb dieser ersten Dekade war sicherlich eine Ermunterung für viele der rund 200 Fachbesucher auf der zweitägigen 16. Hamburg Offshore Wind Conference (HOW 2019), die auch dieses Mal wieder vom internationalen, technischen Prüf- und Beratungsdienstleister DNV GL und von der Clusteragentur Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) organisiert wurde. In der Tat ist die deutsche Offhore-Wind-Entwicklung technisch eine Erfolgsgeschichte: bei der Windturbinen-Basis gibt es statt der komplex zu bauenden Tripods (Dreibeine) immer mehr günstigere Jackets (Gittermasten, auf dem Meeresboden stehend) oder Monophiles (lange, in den Meeresboden gerammte Stahlröhren) und weitere schwimmende Konstruktionen. Die Schallschutzmaßnahmen wurden zu Gunsten von Fischen, Meeressäugern etc. erheblich verbessert durch künstliche Luftblasenschleier im Wasser und das Einsaugen der Gründungen statt des Rammens. Um Metallemissionen an das Meereswasser zu verhindern, wurden die „Opfer-Anoden“ (Korrosionsschutz) an den Metallfundamenten durch Alu-Anstriche ersetzt. Die Umrichter-Plattformen, sowohl bei Gleich- als auch bei Wechsel-Strom, hat man inzwischen standardisiert, neue und schnellere Spezialschiffe gebaut, und dabei zugleich die Wartungsarbeiten um ein Drittel, in manchen Bereichen wie bei den Kränen, sogar auf ein Viertel des bisherigen Aufwandes gesenkt. Alles richtig gemacht, eigentlich könnte doch die Branche ganz zufrieden sei – eigentlich!
Denn das Problem ist kein technisches, sondern ein politisches: um den Anteil der Erneuerbaren Energien in 2030 auf die von der Bundesregierung geplanten 65% des Stroms zu erhöhen, muss das Ausbauziel für Offshore Wind von 15 auf 20 GW installierte Leistung angehoben werden, wie die Windbranche eindringlich fordert (Cuxhavener Appell). Der Unterschied von 5 GW hört sich vielleicht im ersten Moment nicht so gewaltig an, aber bei 5.000 Volllaststunden im Jahr ergibt sich daraus eine Jahresproduktion von 25 Terrawatt-Stunden (TWh). Das entspricht etwa 16,7 Millionen E-Autos wie ein Renault ZOE mit einer Jahreslaufleistung von 10.000 Kilometern und einem Verbrauch von 15 kWh pro 100 km – oder 11,1 Millionen 150-qm-Häusern mit einer Wärmepumpenheizung mit JAZ 4. Derzeit sind gerade einmal 6,5 GW am Netz, wovon in 2018 weniger als 1 GW neu hinzukam. Auch in diesem Jahr soll es zum Ende allenfalls eine Sonderausschreibung von maximal 1,5 GW geben. China hingegen hat seinen Offshore-Ausbau auf 1,8 GW/Jahr erhöht, Großbritannien kam 2018 schon auf über 1,3 GW. Selbst für die wenig ambitionierten Ziele der Bundesregierung bräuchte man jährlich ca. 1,3 GW, und das kontinuierlich.
Denn dass Kontinuität und Planbarkeit für die Branche wichtig sind, darauf wiesen Irina Lucke, Geschäftsführerin von EWE Offshore Service & Solutions sowie Holger Matthiesen, Geschäftsführer von Eon Climate & Renewable Services bei einem Podiumsgespräch nachdrücklich hin. Es gehe darum, die Servicetechniken zu erneuern und mit den steigenden Anforderungen wachsen zu lassen, wozu eine stetige „Auftragspipeline“ auf Basis von verlässlichen Ausbauzielen notwendig sei. Letztere seien auch entscheidend für das Halten des hochqualifizierten Personals und die Verhinderung eines „Braindrains“, z.B. nach Ostasien, wo Taiwan und Japan Offshore-Projekte in großem Stil planen.
Doch bei positiven Anstößen für die Windenergie-Wirtschaft herrscht in der derzeitigen Bundesregierung große Flaute. Dabei schläft die internationale Konkurrenz bei den On- und Offshore-Installationen nicht: nach Weltmarktführer Vestas (DK) folgt Goldwind (China/CN), General Electric/GE (USA), Siemens-Gamesa (D), Envision (CN), Enercon (D), Mingyang (CN), Nordex Group (D), Goudian (CN), Windey (CN). Dabei überwiegen unter den ersten 10 die chinesischen Hersteller nicht nur zahlenmäßig, sondern auch bei der installierten Leistung – eine Folge des schwachen deutschen Heimatmarktes.
Dass in Deutschland deutlich mehr installierte Leistung auf See möglich wäre, zeigte das Referat von Anna Hunke, Rechtsberaterin beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), und dort zuständig für den Standortentwicklungsplan/die Sektorplanung bei den Offshore-Parks. Für den Strom-Transport von den Offshore-Konverter-Plattformen zum Festland könnte man z.B. die Stromspannung auf 550 kV erhöhen, um so größere Strommengen transportieren zu können. Zwar konzentriere sich das BSH auf das von der Regierung beabsichtigte Ausbauziel von 15 GW in 2030, aber es seien auch andere Ausbaupfade bis 2030 in der Größenordnung von 17-23,2 GW installierte Leistung möglich, was natürlich ggf. mit der BundesNetzAgentur abgestimmt werden müsste… In Conclusio: die Forderung der Offshore-Wind-Industrie nach 20 GW in 2030 ist also nicht unrealistisch bzw. aus der Luft gegriffen, sondern durchaus umsetzbar.
Es folgten zwei interessante Vorträge von Dr. Henrich Quick, Leiter der (Ostsee-)Offshore-Projekte beim Netzbetreiber 50 Hertz und von Dr. Athanasios Krontiris, internationaler Produktmanager bei ABB. Insbesondere Krontiris verwies auf Möglichkeiten der Anbindung (North Sea Power Hub) deutscher Windparks an andere europäische Netze, wie z.B. in den Niederlanden oder Dänemark, so dass deutsche Netzengpässe für deutsche Windparks keine KO-Kriterien seien.
In der Service-Session lag zwar der Schwerpunkt auf Digitalisierung und künstlicher Intelligenz zur Früherkennung von technischen Problemen und beim Management der Anlagen, doch am beeindruckendsten war zweifellos der Vortrag von Iris Stempfle, Generaldirektorin der Windcarrier-Abteilung der Reederei Fred Olsen, die die Möglichkeiten moderner Reparatur-Schiffe zeigte. Diese können sich auf ihren eigenen Jackets aufständern, um anschließend defekte Rotorblätter in verschiedenen Reparatur-Hallen auf dem Schiff wieder in Stand zu setzen – das spart Zeit und Kosten.
Die Entscheidung über den Gewinner des Offshore Innovation Awards 2019 überließen die Veranstalter dann kluger Weise dem fachkundigen Publikum, denn alle vier Kandidaten hatten beeindruckende Innovationen aufzuweisen. Gewinner des eher symbolischen Preisgeldes von 2.000 € war letztlich das spanische Bau-Unternehmen Esteyco mit seiner „Elisa“-Technologie, die es erlaubt, Offshore-Windturbinen effizienter zu errichten. Dabei werden die Turmsegmente bereits an Land vorproduziert, im Hafen montiert und dann als fertige Windkraftanlage (WKA) zum Standort geschleppt, wo sie durch ein durchdachtes hydraulisches System sich selbst aufbaut. Das spart teure Kranschiffe und das Warten auf längerfristig stabile Wetterverhältnisse.
Im Rahmen der letzten Keynote, die sich mit dem Thema Floating Offshore beschäftigte, zeigten Jörg Philp, als Vizepräsident beim WKA-Hersteller Senvion für das Offshore-Geschäft zuständig und sein Mitarbeiter Dr. Fabian Vorpahl, dass die schwimmenden WKAs von den um Jahrzehnte vorausgehenden Erfahrungen mit schwimmenden Ölbohrplattformen profitieren, inzwischen aber auch eigene Wege gehen. Als zu verankernde Schwimmplattformen gäbe es inzwischen Barges (breite, schwimmende Kästen/Pontons), Spars (längliche Auftriebskörper mit Ballast am unteren Ende) und mehrbeinige Halbtaucher (Tension Leg Plattform/TLP). Für Floating Offshore spräche u.a.: 80% der weltweiten Starkwindgebiete hätten Wassertiefen über 60 m ; 80 % der Weltbevölkerung – d.h. der Stromabnehmer – lebten in einem Radius von nur 50 km von den Küsten entfernt, ab 2020 gäbe es zudem taifunresistente Windturbinen. Inzwischen habe die deutsche Windindustrie Büros in Japan, Taiwan und Südkorea, auch um der Flaute im Heimatmarkt zu entgehen.
Auffällig war auf der gesamten Konferenz die Zurückhaltung gegenüber immer neueren und größeren Windturbinen (z.B. 15 MW-Klasse); fast alle Teilnehmer setzten mehr auf Verbesserungen bei Fertigung und Wartung vorhandener WKA-Typen. Laut sagen wollte es niemand, aber unter der Hand war vielfach zu hören, dass man der andauernden geistigen Flaute im politischen Berlin herzlich überdrüssig sei.
Götz Warnke