17.07.2020
Wasserstoff: Europa, Kritik und aktuelle Schritte
Ein Bericht von Jörg Sutter
Jetzt hat auch die EU eine Wasserstoff-Strategie vorgelegt, mit der dieser Energieträger in den kommenden Jahren vorangetrieben werden soll. Doch schon am deutschen Vorgehen gibt es Kritik, während die ersten Schritte des nationalen Strategieplans bereits umgesetzt werden, wenn auch nur bürokratisch. Erste großtechnische Demoprojekte dagegen werden ausgebremst.
Nachdem in den vergangenen Wochen sowohl eine bayerische als auch eine deutsche Wasserstoffstrategie vorgelegt wurde, siehe auch DGS-News vom 12.06, präsentierte die EU am 8. Juli eine europäische Antwort zu diesem Thema: Gleich zwei Strategiepapiere, die „EU-Strategie zur Integration des Energiesystems“ und die „Wasserstoffstrategie“ wurden vorgestellt. Das Papier zur Integration betont drei Ziele:
- a) ein kreislauforientiertes Energiesystem, bei dem Effizienz im Vordergrund steht und welches z.B. Abwärme aktiv nutzt
- b) eine direkte Elektrifizierung von Endverbrauchern (Wärmepumpen, Elektroautos, Solarstromanlagen)
- c) die Nutzung sauberer Brennstoffe wie Wasserstoff oder nachhaltige Biokraftstoffe für Anwendungen, die nicht elektrifiziert werden können.
Das Verfolgen dieser Ziele soll die Energiewende in Europa schneller und günstiger machen als der getrennte Ausbau der verschiedenen Technologien. Die Wasserstoffstrategie der EU will unter anderem Industrie und Verkehr bei der Dekarbonisierung unterstützen, vorrangiges Ziel ist die Verwendung von grünem, also aus regenerativem Strom erzeugten Wasserstoff, was im nationalen Papier übrigens nicht eingefordert wurde. 6 GW Elektrolyse-Kapazität sollen bis 2024 gefördert werden, um einen ersten Einstieg zu schaffen. Im Gegensatz zum nationalen Wasserstoff-Papier wird seitens der EU auch die wichtige Funktion von H2 als Speichermöglichkeit herausgestellt. Dass das auch bereits großtechnisch funktioniert, zeigt ein Projekt im Nordosten Englands, dort werden in einem Salzstock 1 Mio. m3 reiner Wasserstoff in 400 m Tiefe bei 50 bar Druck gespeichert.
Der Ausbau der Infrastruktur (Wasserstoff-Gasleitungen, Transport per Tankwagen, Speicher) werden als notwendige Maßnahmen im Strategiepapier der EU ebenfalls aufgeführt.
Kritik an der Strategie
Schon die deutsche Wasserstoffstrategie zog Kritik auf sich: Professor Volker Quaschning von der HTW Berlin hat in einem Interview die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung als „Ablenkungsmanöver“ bezeichnet. Viele seiner Argumente gelten analog für die europäischen Planungen. In dieser Woche hat sich Prof. Claudia Kemfert vom DIW in einer Kurzstudie klar zum Thema Gasinfrastruktur geäußert: Danach halten die DIW-Wissenschaftler einen möglichen Ausbau für überflüssig. Mit Blick auf die Pariser Klimaziele sagt Kemfert: „Dies bedeutet den Verzicht auf fossile Energieträger wie Erdgas. Der „Gas Exit“ wird neue Pipelines zusätzlich überflüssig machen.“ Auch eine Refinanzierung von Infrastruktur-Investitionen ist fraglich, ist doch der Spotmarkt-Preis auch bei Gas vor allem seit 2019 stark abgefallen (siehe Bild 2)
Das DIW weiter: „Deutschland und auch Europa wären gut beraten, die Energiewende weg von jeglichen fossilen Energien - inklusive Erdgas - hin zu einer Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien mit allen Kräften zu unterstützen. Jegliche neue Energieinfrastruktur sollte sich an den Zielen der Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien ausrichten.“ Konkret bedeutet das: Die Planung der LNG-Terminals abblasen und prüfen, ob diese als Drehscheibe für grünen Import-Wasserstoff dienen könnten. Und: Eine Wasserstoffwirtschaft aufbauen, bei der Wasserstoff in Methan umgewandelt wird und damit das bestehende Gasnetz weiter genutzt werden kann.
Die Gasnetzbetreiber haben dagegen Anfang des Jahres ein H2-Netz für Deutschland vorgeschlagen. Im Bild 3 sichtbar: Der denkbare Start des Netzbaus bis 2030 (blau, hauptsächlich im Nordwesten) und in Grün die visionäre flächige Versorgung, vor allem von Raffinerie und Chemie-Industriestandorten in Deutschland.
Ebenfalls in dieser Woche hat sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zur aktuellen Diskussion geäußert: So schreibt Jekaterina Boening von der Wasserstoff-Arbeitsgruppe des BDI: „Ein kritisches Hinterfragen der aktuell euphorischen Auseinandersetzung mit dem Thema Wasserstoff ist [..] dringend notwendig, um eine womöglich harte Landung in der Realität frühzeitig abzufedern.“ Sie warnt, dass mit Saudi-Arabien und Russland nur schwer über die „Farbe“ von Wasserstoffimporten diskutiert werden kann und auf dem Weltmarkt - gerade bei den größten Wasserstoff-Abnehmern wie Japan und Südkorea - klar die Kosten und nicht die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt stehen. Und sie weist darauf hin, dass jetzt auch unangenehme Fragen nach der Verteilung von Industriestandorten gestellt werden müssen. Australien denkt über den Export von grün reduzierten Eisenerz nach, Marokko hat Interesse an einer Stahlproduktion, die dort grün mit Solarenergie und Wasserstoff erfolgen könnte.
Doch die Politik bei uns stellt sich diesen Fragen nicht, sondern protektioniert: In Berlin hat die Bundesregierung am Mittwoch beschlossen, die deutsche Stahlindustrie zu unterstützen, sie ist derzeit angeschlagen, bietet Tausende Jobs und soll ihre Produktion ja auf umweltfreundliche Verfahren umstellen, denkbar dabei: Hochofenprozesse mit Wasserstoffeinsatz. Ganz wichtig sei es daher, diese Industrie zu fördern, so das Wirtschaftsministerium. Doch in Zahlen: Im Jahr 1980 gab es in der deutschen Stahlindustrie 288.000 Beschäftigte, 2019 nur noch 86.000 bei nahezu gleicher Stahlproduktionsmenge. Auf die Analogie zur Kohle darf verwiesen werden. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl betont daher lieber, dass 4 Mio. Menschen in Deutschland in „stahlintensiven“ Branchen arbeiten, das klingt dann nach deutlich mehr (gibt es eigentlich „solarintensive“ Branchen?). Und: Der Hinweis sei erlaubt, dass vor einigen Jahren die Energiebranche (Windkraft und Leitungen für Öl und Gas) größter Abnehmer der Stahlrohrproduktion war. Nur der amtierende Wirtschaftsminister dachte vermutlich, dass ein wirtschaftspolitisches Abwürgen der Windenergie, kombiniert mit Investitionsstopps bei fossilen Förderfirmen, an der Stahlindustrie spurlos vorbeigeht.
Start mit Regulierungsfragen
Doch wie soll es mit Wasserstoff bei uns losgehen? Bürokratie First! Als einen der ersten Schritte der nationalen Wasserstoffstrategie hat die Bundesnetzagentur ein Konsultationsverfahren gestartet, um eine Regulierung der Infrastruktur zu prüfen. Die Agentur schreibt dazu: „Aufgabe der Bundesnetzagentur ist es, sich mit den regulatorischen Aspekten einer Ausweitung der Nutzung von Wasserstoff zu beschäftigen“. Fraglich ist, in welcher Form Infrastruktur aufgebaut wird und wie diese zukünftig reguliert werden kann und soll. Sollten nur einige wenige kleine Inselnetze (z.B. für Stahlwerke und andere industrielle Großverbraucher) entstehen, brauchen diese nicht reguliert zu werden. Entwickelt sich der Ausbau jedoch hin zu Fernleitungen und engmaschigen Verteilnetzen analog dem Erdgasnetz, so ist eine behördliche Überwachung von Netzzugang, Netzentgelten usw. aus Sicht der BNetzA unbedingt erforderlich. Doch wer weiß, was kommt? Aktuell wird Wasserstoff weltweit zu 95% direkt am Herstellungsort verbraucht, nur 5 % werden überhaupt transportiert.
Aktuell existieren in Deutschland auch nur zwei kleinere Wasserstoffnetze im Ruhrgebiet und Mitteldeutschland, größere Leitungen und weitere Netze sollen aber errichtet, beziehungsweise bestehende Gasleitungen auf H2-Nutzung, umgestellt werden. Die Behörde schätzt eine umfangreichere Beimischung von Wasserstoff ins Erdgas als unwahrscheinlich ein und erwartet das Erwachsen einer vollständig eigenen Wasserstoff-Netzstruktur, damit in Zukunft Erdgas und Wasserstoff getrennt für die Kunden verfügbar sind. Im ersten Schritt erfolgt mit dem Konsultationsverfahren nun eine Abfrage der Marktentwicklung, um die denkbare Zukunft - und damit den Regulierungsbedarf - abschätzen zu können. Als sinnvoll erachtet die Behörde schon einmal einen privilegierten Zugang für grünen vor grauem oder blauen Wasserstoff an.
Spannend sind im dazugehörigen Katalog der BNetzA auch Fragen wie „Wer sollte die Kosten der Infrastruktur tragen, z.B. alle Abnehmer von Strom und Gas, alle Erdgaskunden, oder nur die Nutzer von Wasserstoff?“. Sollte da gar versucht werden, die neuen Infrastrukturkosten auf die Stromkunden zu wälzen? Fragen, die im Laufe der Konsultation, für die Rückmeldung des Fragenkataloges an die BNetzA ist bis Anfang September Zeit, beantwortet werden sollen.
Modellprojekte ausgebremst
In der Praxis geht es nach Angaben des Handelsblatts vom Mittwoch der Bundesnetzagentur aber zu schnell: Gemäß Punkt 2 der nationalen H2-Strategie sollen rasch Modellanlagen aufgebaut werden, um Kooperationsmodelle von Strom- und Gasnetzbetreibern mit Betreibern von großen Elektrolyseuren zu testen. Zwei Projekte sind dazu derzeit in Vorbereitung, über die wir bereits Anfang letzten Jahres berichtet hatten:
Das Projekt „Element Eins“ von Tennet, Gasbetreibern und Thyssengas sowie das Projekt „Hybridge“. Hybrigde soll im südlichen Emsland als Power-To-Gas-Anlage mit 100 MW an einem Knotenpunkt von Strom- und Gasnetz entstehen, „Element Eins“ soll ebenfalls mit 100 MW in Diele/Niedersachsen aufgebaut werden. Für beide Projekte wurden 2019 Investitionsanträge bei der Bundesnetzagentur gestellt, die jedoch noch nicht bewilligt wurden. Die Bundesnetzagentur ist bislang der Ansicht, dass es nicht Aufgabe von regulierten Netzbetreibern ist, per Elektrolyse zum Stromerzeuger zu werden. Das ist aber genau das Ziel bei den beiden Projekten.
Früher schien alles problemlos möglich
Am Ende sei noch auf die Historie verwiesen: Mit der Überschrift „Weg zur Einführung des Solar-Wasserstoffs“ war dieser Artikel in der SONNENENERGIE überschrieben, der schon im Jahr 1997 die Herstellungsmöglichkeiten und Lehrmodelle für das Verständnis dieser Technologie aufzeigte. Das Fazit damals: „Da die grundlegende Technik bekannt ist, ist die technische Realisierung von noch höheren Leistungen denkbar, ohne dass neues Know-how erarbeitet werden müsste“.