17.07.2020
Die Parteien in der Klimakrise (IV.): Schlussfolgerungen
Eine Kritik von Götz Warnke
Die deutschen Parteien wirken, so will es das Grundgesetz laut Artikel 21, bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Diese umfängliche und durch höchstrichterliche Urteile ausgestaltete Mitwirkung ist aber nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Verantwortung. Dieser Verantwortung werden die verschiedenen Parteien je nach Thema in unterschiedlichster Maß (nicht) gerecht. Insbesondere im Zusammenhang mit der Klimakrise und den deutschen Verpflichtungen gemäß des Pariser Klimaabkommens von 2015 ist von den Klimabewegungen „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ etc. immer wieder der Vorwurf erhoben wurden, keine der deutschen Parteien würde mit ihren Konzepten dem Ernst der Klimakrise gerecht. Dieses ist ein verheerendes Zeugnis angesichts einer Krise, die völlig aus dem Ruder laufen und bis Mitte diesen Jahrhunderts dem größten Teil der Menschheit das Leben kosten könnte.
Wie sieht nun aber das Ergebnis aus, nachdem wir die sechs in Deutschland maßgeblichen, weil im Bundestag vertretenen Parteien, unter die Lupe genommen haben? Kurz gesagt: die Kritik der Klimabewegungen „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ etc. trifft in vollem Umfang zu. Mag man bei der AfD mit ihrer ideologisch-neurotischen Wirklichkeits-Verweigerung auch nichts anderes erwarten, so ist dieses Ergebnis bei den anderen Parteien erschreckend. Zwar erkennen alle fünf Parteien (CDU und CSU hier zusammen genommen) die Ergebnisse der Klimaforschung an – die „Geistesgrößen“ der bayrischen Werteunion (CSU) sind eine sehr spezielle Minderheit – , und bekunden verbal in unterschiedlicher Intensität auch einen Handlungsbedarf, doch was dann in der politischen Praxis als Handlungen daraus erfolgen, wird der Bedrohung durch die Klimakrise in keinem Fall gerecht. Immer ist es zu warm, zu kalt, zu nass, zu trocken, zu hell, zu dunkel etc., um ernsthaft und einschneidend zu handeln. Sprich: je nach politischer Couleur sind stets andere Dinge „augenblicklich“ wichtiger: Wirtschaftswachstum, Steuersenkungen, freie Märkte, außenpolitische Rücksichten, Arbeitsplätze, soziale Gerechtigkeit, Mindestlohnerhöhung, Naturschutz, Landschaftsschutz, offene Grenzen…
Dies macht deutlich, dass die deutsche Parteienlandschaft derzeit nicht in der Lage ist, ihre Handlungsmaximen an die neue Bedrohungslage anzupassen, und die bisherigen politischen Prioritäten umzustellen. An mangelnder Bildung im Bereich der Klimawissenschaften und einer diesbezüglichen fachlichen Überforderung unserer Politiker kann es jedenfalls nicht liegen. Denn jeder Mensch mit einem höheren IQ als dem eines grenzdebilen Hamsters kann zu dem Schluss kommen, dass die Häufungen von Temperaturrekorden, sowohl international als auch regional (38° C in Nordsibirien!) in den letzten zwei Jahrzehnten eine abnorme, auffällige Entwicklung darstellen, dass Anomalien wie der immer frühere Frühlingseintritt, das Abschmelzen der Alpen-Gletscher, extreme Trockenheiten, steigende Meeresspiegel oder nie zuvor gesehene Aerosolwolken eine baldige, tiefgreifende Veränderung ankündigen. Dazu braucht man kein Klimawissenschaftler oder studierter Statistiker zu sein. Jeder Unternehmer oder Buchhalter ist alarmiert, wenn plötzlich aus ungeklärter Ursache die Lagerbestände schwinden oder sich die roten Zahlen häufen, jede Krankenschwester und jeder Arzt wird hellhörig, wenn sich im Wartezimmer immer mehr Patienten mit merkwürdigen Symptomen versammeln. Und jeder Fußballfan weiß, dass etwas Schwerwiegendes wie ein emotionaler Zusammenbruch passiert ist, wenn ein Rekordweltmeister wie Brasilien bei der WM 2014 schon zur Halbzeitpause 0:5 Tore zurück liegt; da muss der Fan nicht gleich als promovierter Psychologe „um die Ecke kommen“.
Doch die deutschen Parteien reagieren nicht, zumindest nicht adäquat, nicht einmal die Grünen, die noch die größte Affinität zum Thema Klima haben. Sicher, einerseits ist es schwer, sich eine solche Klimakrise bzw. Klimakatastrophe mit ihren Umwälzungen vorzustellen, da hierfür die Erfahrungen beim menschlichen Individuum aber auch im kollektiven Gedächtnis der Menschheit fehlen. Andererseits stellte ein ungebremste Erderhitzung die Existenz der Menschheit in Frage; das nächste Artensterben wird nicht nur irgendwelche kuriosen Lebewesen wie Ammoniten und Dinosaurier betreffen, sondern den Menschen selbst. Natürlich werden ein paar Millionen von unserer Art überleben, aber die Überlebenden werden nicht mehr so sein wie wir – bezüglich ihres Verhaltens, ihrer ethischen Normen und Einstellungen. Dies zeigen schon größere Ereignisse wie die Weltkriege mit ihren seelisch-moralischen Verwerfungen, Traumatisierungen und Entwurzlungen. Dabei sind selbst Weltkriege Petitessen gegenüber einer Klimakatastrophe, die weniger als eine Milliarde Menschen auf diesem Planeten überleben lässt.
Eigentlich müssten die Parteien, die stets mit ihren Programmen Zukunftsentwürfe präsentieren, im Sinne des Vorsorgeprinzips dringend einschneidend tätig werden, eigentlich … Da, wie gesagt, nicht einmal die Grünen fähig und willens sind, die Rolle einer Klimaschutz-first-Partei zu übernehmen, hat sich aus dem Umfeld der Klimabewegungen „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ als Partei die „Klimaliste Deutschland“ gegründet, deren höchste Priorität die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ist. Zwar tritt diese Liste bisher nur bei Kommunalwahlen an, aber der Weg zu einer Klimaschutzpartei ist vorgezeichnet.
Und Deutschland braucht dringend eine Klimaschutzpartei – sowohl für das Klima, als auch für die Demokratie. Denn sollte es aus den Reihen der parlamentarischen Demokratie keine effektive Antwort auf die Überlebensfrage „Klimakrise“ geben, würde das auf Dauer auch die Legitimität der parlamentarischen Demokratie in Frage stellen.
Teil I: Die Volksparteien SPD und CDU
Teil II: Die Klientel-Parteien FDP und DIE LINKE
Teil III: Die Gesinnungs-Parteien AfD und GRÜNE
Teil IV: Schlussfolgerungen