17.04.2020
Barometer-Gutachten – Unterbindung der Eigenversorgung
Der Begriff Barometer-Gutachten ist bislang in der Solarbewegung nicht angekommen. Auch die Tatsache, dass es eigentlich Barometer zur Begutachtung der Digitalisierung der Energiewende heißt, ändert daran nichts. Das liegt nicht unbedingt daran, dass die Bundesregierung und der zuständige Fachminister Peter Altmaier ein großes Geheimnis daraus gemacht hätten. Der Grund besteht wohl einfach darin, dass die Solarbewegung sich bisher nicht für die kontroversen Vorstellungen der fossilen Energieversorger über die Veränderung des Energiesystems interessiert hat. Bei der Mehrheit der Solarfreunde scheint es nach wie vor wichtiger, neue Rekordwerte bei der Ökostromerzeugung zu feiern und die Behinderungen beim Ausbau von PV und Wind zu beklagen. Den Anlagenbetreiber ging es unter dem EEG bislang recht gut, auch wenn in der letzten Zeit mehr Flaute als Ausbau herrscht. Aber dass die fossilen Energieversorger einen radikalen Umbau des Energiesystems betreiben, bei dem die Erneuerbaren Energien nicht einfach integriert, sondern auf die Rolle des Zulieferers zurechtgestutzt werden sollen, das hält eine Mehrheit immer noch für undenkbar.
Dabei sind die Bemühungen der fossilen Energieversorger und Netzbetreiber, ein neues, Geschäftsmodell für den Ausgleich der Schwankungen im Stromnetz einzuführen, alles andere als neu. Schon seit fast vier Jahren wird in Forschung und Entwicklung daran gearbeitet, den Fluktuationsausgleich, der durch die Erneuerbaren notwendig geworden ist, zur Domäne der großen Versorger zu machen. Da in Zeiten der immer kostengünstiger werdenden PV- und Windanlagen mit der Stromerzeugung nicht mehr so viel zu verdienen ist, wie zu Zeiten der klassischen Kohleverstromung, rückt die neue Dienstleistung des Fluktuationsausgleiches in den Mittelpunkt des Geschäftsinteresses. Sie basiert technisch darauf, mit großer Leistungselektronik und Speichern diesen Ausgleich im Netz zu betreiben, kontrollieren und zum Kern der veränderten Geschäftsmodelle zu machen. Allerdings nennen sie es jetzt „Spitzenglättung“.
Den Fortschritt bei der Umsetzung des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende – auch das existiert ja schon eine Weile – sollen die Barometer-Gutachten monitoren, wie das heute so schön heißt. Sie sollen zum Jahr 2021 jährlich den aktuellen Stand und den Fortschritt des Umbaus des Energiesystems darstellen. Bereits im Jahr 2018 waren damit die Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY), das Beratungsunternehmen BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH (B E T) sowie das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) beauftragt worden. Das Ganze war in drei Themenkomplexe unterteilt worden. Bereits erschienen sind die Topthemen 1 „Verbraucher, Digitalisierung und Geschäftsmodelle“ und Topthema 2 „Regulierung, Flexibilisierung und Sektorkopplung“ und als drittes „TK-Infrastruktur und TK-Regulierung“.
Die Mehrheit der Marktakteure aus der Bürgerenergie scheint die Tragweite dieser zentralisierten Form der Digitalisierung gering eingeschätzt zu haben. Ihnen galten Ziele wie die Etablierung einer sicheren Kommunikationsplattform, eine bessere Integration von Elektromobilität und die Neuordnung der Zuständigkeiten für das sogenannte intelligente Netz der Zukunft als neutrale Themen, die mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen der Akteure nicht in Verbindung gebracht wurden und werden. Aber unter Digitalisierung der Energiewende verstehen die fossilen Energieversorger als erstes eine komplette Neuauflage ihrer Geschäftsmodelle. Mit einem zentralen Energiemanagement unter ihrer Regie wollen sie die spärlicher sprudelnden Profitquellen wieder zu neuem Leben erwecken. Dezentrales Energiemanagement im einzelnen Gebäude eines Prosumers entspricht nicht ihren Vorstellungen und Interessen. Mehr noch, die Eigenversorgung mit Solarstrom soll unterbunden werden.
In den Barometer-Gutachten wird nicht nur der angebliche Fortschritt der Digitalisierung vorgestellt. Es werden vielmehr neue Modelle entworfen und simuliert, mit denen der Markt der dezentralen Eigenerzeugung ausgetrocknet werden kann. Im zweiten Gutachten Ende 2019 wird zwar viel vom Zusammenspiel der Akteure und von neuem Marktdesign geredet, aber es wird schnell ersichtlich, dass es vor allem um eine neue „Netzentgeltsystematik“ geht. Ihr soll auch die Eigenversorgung unterworfen werden. „Es wurde ein Werkzeugkasten „Netzentgeltsystematik“ entwickelt, der neben konventionellen Instrumenten wie dem Leistungs-, Arbeits- sowie Grundpreis auch „innovative Instrumente“ wie die Bestellleistung oder die bedingte Netznutzung beinhaltet.“ Dazu gehören natürlich unterschiedliche Kosten und Tarife. Und, um das Fass gleich ganz voll zu machen, entwickelt das Gutachten „konkrete Anpassungs- und Umsetzungsmaßnahmen im Rechtsrahmen für die Einführung der Spitzenglättung“. Es werden die betroffenen Gesetze aufgeführt und wie die „Eckpunkte einer Anpassung aussehen sollen.“ So werden heute Gesetze gemacht.
In verschiedenen „Ausgestaltungsvarianten“ werden Besitzer von PV-Anlagen, Elektrofahrzeugen und Energiespeichern oder E-Flottenbetreiber und deren Jahresenergiebedarf, ihre nachgefragte Leistung oder die Wirkungsgrade der einzelnen Verbrauchseinrichtungen durchgespielt. Aber alle Prosumer sollen zu Kunden des neuen Energiesystems werden. Ihnen wird zwar ein Bündel unterschiedlicher Leistungen angeboten, aber genau das soll ja die Rendite bringen. Die Unterscheidung in klassische, teilflexible und vollflexible Kunden führt nur scheinbar zu finanziellen Vorteilen bei den Besitzern von Solaranlagen, Wärmepumpen, E-Autos oder Speichern. Die Vorschläge zu einem neuen Tarifsystems, das sich auf das „netzorientierte Management der teilflexiblen und vollflexiblen Kunden beschränkt“, sind so ausgetüftelt, dass in Zukunft die Bereitstellung zum Hauptkriterium wird und der Arbeitspreis nebensächlich. Über eine andere Parametrierung lässt sich das Verhältnis von Arbeitspreisen zu Leistungspreisen aber jederzeit verschieben. Zudem ist ein Baukostenzuschuß für den Netzausbau im Gespräch.
Teilflexiblen und vollflexiblen Netznutzern soll über die bedingte Leistungsbestellung ein „Anreiz zur effizienten Netznutzung“ geboten werden. Zudem wird die Option, zwischen unbedingter und bedingter Leistung wählen und deren Höhe variieren zu können, als Vorteil und „Möglichkeiten für neu Geschäftsmodelle“ dargestellt. Dass eigenerzeugter Strom zu kleinem Geld eingespeist werden soll, um ihn dann danach teuer aus dem Netz zu kaufen, wird nicht thematisiert. Das soll dann die Bundesnetzagentur dekretieren. Über konkrete Zahlen wird im Barometer-Gutachten ja nur am Rande geredet, sondern hauptsächlich über Methoden. Eike Weber, ehemals Direktor des Fraunhofer ISE in Freiburg, bringt es folgendermaßen auf den Punkt: "Der Hauptvorteil von Eigenstromerzeugung wird mit dem vorgeschlagenen Modellen zerstört. Nicht nur für Altanlagen, auch für Neuanlagen“. Die BNetzA will, dass in Zukunft Strom, den man selbst produziert, komplett ins Netz eingespeist wird. Das grenzt nahe an altbekannte Regelungen des Anschlusszwangs. So wird der Eigenverbrauch systematisch unwirtschaftlich gemacht. Das Barometer-Gutachten zeigt, wie das geht und wie weit man damit gekommen ist.
Klaus Oberzig
Barometer 1: Ein neues Denken und Handeln für die Digitalisierung der Energiewende 2018
Barometer 2: Regulierung, Flexibilisierung und Sektorenkopplung
Barometer 3: Telekommunikationsinfrastruktur und -regulierung